Seite:Die Gartenlaube (1865) 076.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zu verwenden. Diday, der berühmte Genfer Landschaftsmaler, der mit Calame die Palme theilt, nahm den Jüngling in sein Atelier, und hier machte der Schüler so überraschende Fortschritte, daß sein Gönner auch den letzten Zweifel an der glänzenden Zukunft des jungen Künstlers aufgab und ihn selbst bewog, der kaufmännischen Laufbahn völlig zu entsagen. Schon nach zwei Jahren verließ Calame Diday’s Werkstatt als ebenbürtiger Rivale seines Meisters. Damals schon fanden seine Bilder schnell ihre Liebhaber und gute Preise.

Alexander Calame.

Im Jahre 1837 stellte er sieben Oelgemälde im Genfer Museum aus, welche trotz des Wortspiels eines eifersüchtigen Künstlers, der dieselben „Calamitäten“ nannte, großes Aufsehen erregten. Schon vor diesem Erfolge hatte sich Calame mit einem liebenswürdigen Mädchen verheirathet, und nun war sein Leben getheilt zwischen dem Heerde friedlicher Häuslichkeit und der doppelten Werkstätte seines genialen Schaffens: der Alpenwelt, wo er seine großartigen Eindrücke sammelte, und dem Atelier, wo er die Bilder schuf, die nun die Museen und Galerien zweier Welten schmücken. Obgleich seine ersten Versuche ebensoviele glänzende Siege waren, machte er unablässige Studien für sich und seine Schüler, die aus ganz Europa und selbst über den Ocean herüber nach Genf strömten. Mit ihnen und einigen Herzensfreunden durchwanderte er jeden Sommer die Schweiz und kannte diese bald so genau, daß er jedes Plätzchen wußte, wo er diese oder jene Studie für einen Baumstamm, eine Gletscherform oder den Wuchs einer seltenen Pflanze zu suchen hatte.

Vor Diday hatten die Künstler höchstens am Fuße des Gebirgs die Motive zu ihren Bildern gesucht, erst jener stieg in die mittlere Zone, in die Gebirgsthäler, auf die Alpenpässe, und dort machte auch Calame als Diday’s Schüler in den ersten Jahren seiner Meisterschaft Halt. Das Hauptbild Calame’s aus der mittleren Zone der Alpenwelt, welches zuerst seinen europäischen Ruf gründete, ist „der Sturm auf der Handeck.“

Wer kennt nicht die Handeck, mit dem prachtvollen Wassersturze der Aare auf dem vielbetretenen Pfade zur Grimsel? Ein Felsen – einige Tannen – ein Bergstrom – das ist Alles, und doch macht das Bild einen unbeschreiblichen Eindruck. Es graut einem vor diesem Kampf der Elemente, der schon ausgetobt hat, dessen zerstörende Wuth sich aber an den Opfern offenbart. Die Tannen sind so wundervoll plastisch gemalt, daß man glaubt, man brauche nur hineinzutreten in ihr Dickicht, allein man bebt davor zurück, man hört die vom Sturm gepeitschten Bäume seufzen und stöhnen und leidet mit den zerbrochenen Aesten, die wie jammernd am Boden liegen. Und der Felsen! Calame’s Felsen sind keine glatten oder eckigen Gebilde, die mit dem Roth der Alpenrosen übertüncht werden. Nein, seine Felsen erzählen die Geschichte von Jahrtausenden; sie tragen die Spuren des Wildwassers, das sie übertost, der Quelle, die sie tropfenweise ausgehöhlt; die Spur der Lawine, des Blitzstrahls, des nistenden Mooses, der üppig wuchernden Baumflechte; man glaubt den Sturm zu hören, der sich heulend an ihnen bricht. Und doch verläßt die Seele befriedigt dieses Schauspiel, weil die Kunst, die das Einzelne zur allgemeinen Weihe ruft, über die Schrecken und die Unordnung der Elemente triumphirt hat und im Herzen des Beschauers die Ahnung des siegreichen Menschengenius weckt.

Wie aber hat Calame diese Naturwahrheit so unnachahmlich getroffen? Etwa zufällig durch flüchtiges Beschauen mittels des Fernrohrs aus den Fenstern des schützenden Hotels? Nein, in sein dünnes Plaid gehüllt eilte er hinaus in den markdurchdringenden Nebel, in die eisigen Regen- und Hagelschauer, in den wüthenden Schneesturm, um dem Herzschlag der Natur zu lauschen, der Natur in’s Angesicht zu schauen. Einer seiner nächsten Freunde erzählte mir vor drei Jahren, als Calame schon von Krankheit gebeugt nur noch mühsam Athem holte, als er bereits eine Million besaß und seit Jahren auf dem Gipfel des Ruhmes stand, sei er einen ganzen Tag am Fuße eines nackten Felsens in der verzehrenden Gluth der Augustsonne vor einem Bache stehen geblieben, um die Farbe der Steine im Sonnenglanze zu studiren. Wie seine Ausdauer, so war auch sein Muth und seine Wahrheitsliebe in der Kunst. Calame hatte für eine Pariser Ausstellung einige Eichen im Sturm gemalt. Das Original befindet sich jetzt im städtischen Museum in Leipzig. Zwei Bekannte besuchten den Künstler, um das vollendete Werk zu bewundern. Sie fanden den Freund in fieberhafter Aufregung. Seit drei Nächten hatte er kein Auge geschlossen. „Es fehlt etwas an dem Bilde, ich weiß aber nicht was; helft mir, saget mir wo es fehlt!“ ruft Calame den Eintretenden zu und eilt nach dem Atelier zu seinen Schülern.

„Ich weiß, was fehlt,“ sagt der Eine leise zu dem Andern, „die Eiche, die auf dem Vorderplan lang hingestreckt am Boden liegt, wundervoll als Detail, stört die Harmonie des Ganzen.“

In diesem Augenblicke tritt Calame in den Salon. „Was hast Du gesagt? Du weißt etwas, sprich.“

Zögernd rückt Töpffer – denn er war’s, der bekannte Verfasser der „Genfer Novellen“, der die Bemerkung gemacht hatte – mit seiner Vermuthung heraus.

„Das ist’s, das ist’s!“ jubelt Calame, nimmt das Radirmesser und im Nu ist die prachtvolle Eiche vom Bilde entfernt. Es waren nur noch einige Tage bis zum letzten Termin der Einschickung. In dieser kurzen Zeit malt der Künstler einen einfachen Vordergrund, und das Meisterwerk wird mit der goldenen Medaille belohnt. Eben diese Treue im Detail, diese meisterhafte Ausführung des Vordergrundes, welche die französische Schule achselzuckend

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_076.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)