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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Glaube an Unschuld und Herzenseinfalt erschüttert. Siech und gebrochen schleppte er sich nach Bern, wo er auf das Krankenlager niedersank und mehrere Wochen in Gefahr schwebte. Die Seelenkämpfe und Erschütterungen seines Gemüths, so wie die Ueberanstrengung seiner geistigen Kraft drohten ihn aufzureiben, doch seine gesunde Natur und die Pflege seiner Freunde retteten ihn.

Mit gebrochenem Herzen verließ er die Schweiz, wo er ein kurzes Liebes-Idyll geträumt.




In Oßmanstädt, einer ländlichen Besitzung in der Nähe von Weimar, lebte der liebenswürdige Dichter des Oberon, der alte Wieland, im Kreise seiner zahlreichen Familie, umringt von sechs blühenden Töchtern und vier begabten Söhnen, ein heiteres, poetisches Stillleben. Poetische Arbeiten wechselten mit angenehmen Spaziergängen und Ausflügen in die reizende Umgegend. Das einfache Mahl wurde mit heiteren, attischen Scherzen gewürzt, und es gab wohl so leicht kein glücklicheres Haus als das des allgemein verehrten Dichters, der wie ein ehrwürdiger Patriarch mitten unter seinen schönen, wohlgerathenen Kindern erschien. In diesen Kreis guter und bedeutender Menschen trat der schwer geprüfte, ruhelose Kleist. Eine dringende Empfehlung von dem jugendlichen Ludwig Wieland, dem er in der Schweiz einen bedeutenden Freundschaftsdienst geleistet, verschaffte dem seltsamen Gast eine herzliche Aufnahme, obgleich der alte Wieland keineswegs ein Freund der sogenannten „romantischen Schule“ war, zu der sich Kleist offen bekannte. Manche Eigenheit des wunderlichen Besuchers, der in Oßmanstädt längere Zeit verweilte, konnte nicht unbemerkt bleiben. Seine Absonderlichkeiten traten jetzt weit schärfer, als früher hervor, besonders seine zunehmende Zerstreutheit. Ein einziges Wort genügte, ihn dermaßen zu fesseln und sein ganzes Nachdenken in Anspruch zu nehmen, daß er von Allem, was man zu ihm sprach, nichts vernahm und auch keine Antwort auf die an ihn gerichteten Fragen gab, ganz in Selbstvergessenheit versunken. Oefters saß er auch bei Tisch, für sich zwischen den Zähnen murmelnd, mit der Miene eines Menschen, der sich allein glaubt, oder mit seinen Gedanken fern von der Gesellschaft weilt. Nicht ohne Bedenken beobachtete Wieland das seltsame Treiben seines Gastes, dem er mit der ihm angeborenen Liebenswürdigkeit und Offenheit entgegengekommen war, ohne daß derselbe eine gewisse Scheu und Zurückhaltung ablegte und ihm mit gleichem Vertrauen vergalt.

Nach und nach befreundeten sich jedoch der greise Dichter und seine Familie mit dem Wesen Kleist’s, der unwillkürlich Theilnahme erweckte. Die reizende Lieblingstochter Wieland’s, ein sinniges, echt poetisches Mädchen von neunzehn Jahren, ahnte mit weiblichem Instinct ein tiefes Leiden in der Seele des melancholischen Gastes und fühlte sich dadurch zu ihm um so mehr hingezogen. Die Liebe, welche ihm von allen Seiten entgegen kam, löste endlich die Rinde von seinem Herzen und öffnete die verschlossene Brust. Eines Tages, als ihn Wieland in schonender Weise wegen seiner Zerstreutheit und Geistesabwesenheit mit freundlichem Lächeln zur Rede stellte, gestand er ihm, daß er in solchen Augenblicken mit der Dichtung eines neuen Dramas beschäftigt sei. Als Wieland darauf in ihn drang, entschloß er sich ihm einige Bruchstücke seiner unvollendeten Tragödie „Robert Guiscard“ aus dem Gedächtnisse mitzutheilen. Der Eindruck war so mächtig, daß Wieland keinen Ausdruck für seine Bewunderung fand. „Wenn die Geister des Aeschylus, Sophokles und Shakespeare’s sich vereinigten,“ rief er bei dieser Gelegenheit begeistert aus, „eine Tragödie zu schaffen, sie würde das sein, was Kleist’s Tod Guiscard’s des Normannen, sofern das Ganze demjenigen entspräche, was ich gehört.“ Es stand bei ihm fest, daß Kleist dazu geboren sei, die große Lücke in unserer dramatischen Literatur auszufüllen, die, nach Wieland’s Meinung wenigstens, selbst von Schiller und Goethe noch nicht ausgefüllt worden ist. Er bat und beschwor ihn, das angefangene Werk zu vollenden, indem er hinzufügte: „Nichts ist dem Genius der heiligen Muse, die Sie begeistert, unmöglich. Sie müssen Ihren Guiscard vollenden, und wenn der ganze Kaukasus und Alles auf Sie drückte.“

Der liebenswürdige Enthusiasmus des Vaters theilte sich natürlich dem noch leichter entzündlichen Herzen der Tochter mit. Zu der aus Mitleid entsprungenen Neigung trat noch die Bewunderung für den Genius, in dessen Verehrung sie aufgewachsen und erzogen war. Sie liebte Kleist und verbarg ihm nicht ihre zärtlichen Gefühle, die er jetzt doppelt liebesbedürftig bald erwiederte. Mit Freuden sah Wieland dies Verhältniß entstehen, das seinen Wünschen für das Wohl seines Kindes vollkommen zu entsprechen schien. Noch einmal lächelte das Glück dem armen Dichter, aber er selbst zerstörte es schnell wieder. Trotz der Bewunderung Wieland’s genügte ihm nicht das Geschaffene, er verzweifelte und vielleicht nicht ohne Grund daran, seine Tragödie so zu vollenden, wie er sie angefangen; sie blieb in der That nur ein Fragment. Mit demselben grübelnden, zersetzenden Verstande betrachtete er seine Liebe. Er fühlte sich unfähig, ein Mädchen noch glücklich zu machen. Flüchtig, heimathslos, ohne Beruf, den eigenen Heerd zu bauen, glaubte er, entsagen zu müssen. Was konnte er ohne Vermögen, ohne Stellung der Geliebten bieten? Nichts, als ein zerrissenes Herz, eine unsichere Zukunft und jenen unnennbaren Drang nach dem Ideale, der ihn der Wirklichkeit entfremdete. Er prüfte sich und fand, oder glaubte wenigstens zu finden, daß kein irdisches Weib ihn ganz auszufüllen im Stande sei. Sein Herz gehörte der Poesie und ihr allein sein Sinnen und Trachten. „Ich habe hier,“ schrieb er an seine Schwester, der er Alles anvertraute, „mehr Liebe gefunden, als recht ist, und muß über kurz oder lang wieder fort; mein seltsames Schicksal!“

Nicht ohne Schmerz und nach schweren Kämpfen riß er sich los und verließ das friedliche Oßmanstädt, den väterlichen Freund und das geliebte Mädchen, welches weinend von ihm Abschied nahm, seine Gründe ahnend und ehrend.

Durch eigene Schuld hatte er den schönen Liebestraum seines und ihres Lebens für immer zerstört.




Mehrere Jahre waren seitdem vergangen: nach manchen Irrfahrten lebte Kleist in Dresden, wo ihm sein bedeutendes Talent in den ersten Kreisen eine günstige Aufnahme verschaffte. Das Schicksal schien müde, ihn zu verfolgen. Er fand Freunde und Anerkennung, die bedeutendsten Männer und Frauen interessirten sich für ihn. Auch seine Stimmung war eine andere geworden, die finstere Melancholie geschwunden, sein Herz voll Hoffnung für die Zukunft; er selbst heiter, zuweilen fast übermüthig. Bei dem österreichischen Gesandten, der in Dresden damals den Ton angab, wurde auf der eleganten Privatbühne ein eben vollendetes Stück von ihm mit großem Beifall von vornehmen Dilettanten aufgeführt. Nach beendeter Vorstellung erhob sich das schönste Mädchen Dresdens, um ihn mit einem Lorbeerkranz zu krönen. Man verglich ihn mit Tasso, mit dem er in der That so manche Aehnlichkeit hatte, vor Allem die gleiche Neigung, vom tiefsten Schmerze sich zur höchsten Freude aufzuschwingen. Hinter Kleist lag die düstere Vergangenheit, vor ihm die heiterste, lachende Zukunft. Auch die Liebe regte sich in seiner Brust von Neuem; die holde Kranzspenderin hatte es ihm angethan. Sie war nicht nur das schönste, sondern auch das reichste Mädchen Dresdens und lebte in dem Hause des bekannten Appellationsraths Körner, dem Sammelplatz und Mittelpunkt aller geistigen Elemente. Hier war Kleist ein täglicher, willkommener Gast, und seine aufkeimende Liebe fand kein Hinderniß. Die Geliebte hatte keine Eltern mehr, und ihr Vormund, der treffliche Körner, gab von ganzem Herzen seine Einwilligung zu dieser Glück verheißenden Verbindung des Talents mit der Schönheit, um so mehr, da für die Zukunft des liebenden Paares ausreichend gesorgt war.

Kleist war glücklich, aber er gehörte leider zu jenen Naturen, die das Glück nicht zu ertragen vermögen. Wieder regte sich der alte Dämon, jene unheilvolle Neigung, sein Glück auf die Probe zu stellen. Von dem Gedanken erfüllt, daß die Geliebte ihm ganz und ausschließlich angehören müsse, verlangte er von ihr, ohne allen Grund, ohne jede Veranlassung, daß sie ihm ohne Vorwissen ihres Vormundes, des alten Körner, schreiben solle. Lächelnd schlug sie ihm die seltsame Bitte ab, in der sie nur eine vorübergehende Laune erblickte. Drei Tage ließ er sich darauf nicht sehen, und als sie ihn trotzdem freundlich empfing, wiederholte er sein wunderliches Verlangen nur noch dringender, als das erste Mal. Da sie sich von Neuem weigerte, ging er fort, um erst nach drei Wochen wiederzukehren. Auf ihre zärllichen Vorwürfe antwortete er nur mit der Erneuerung seiner Forderung. Auch diesmal wurde er von ihr zurückgewiesen, indem sie zwar liebevoll, aber ernst auf das Unstatthafte seines Betragens hinwies. Er verließ sie bereits mit dem festen Entschlusse, noch einen Versuch zu machen und dann das ihm so theuere Verhältniß für immer zu lösen. Volle drei Monate wartete der Sonderling, ehe er zu ihr zurückkehrte. Selbst

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