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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

herrlichen Landschaftsbildes zu überlassen, welches sich allerdings „ansehen ließ“.

Es giebt freilich in dem schönsten und glücklichsten Lande Europas viele Aussichtspunkte, welche umfassendere oder auch großartigere Blicke darbieten, als der, auf welchem die beiden Freunde standen, unfern der Bank, worauf Brunhild von Hohenauf noch immer saß. Aber es dürfte wenig Stellen im Umfange der Alpen geben, wo das Erhabene und Anmuthige in so reicher Fülle auf so engem Raume sich beisammen findet, wie gerade hier. Wendet man sich scharf zur Linken, so schweift das Auge an einer Bergwand voll wechselnder Formen bin, aus deren felsigen Schluchten weißschäumende Wildwasser thalwärts springen und längs deren Fuß da und dort eine Kirchthurmspitze aus dem Grün üppigen Baumwuchses hervorlugt. Geradeaus fällt der Blick zunächst auf den mehrerwähnten kleinen Hochsee, hinter dessen dunkler, mit Weiden, Rüstern und Ahornbäumen bestandener Muldenwand eine große, stahlblau und silbern schimmernde Spiegelfläche sich aufthut, die weithin gedehnte Wassermasse eines der schönsten Seen des Landes. Gen Osten und Süden zu ist dieser See von Gebirgen eingefaßt, welche sich in ungeheuren Stufen mählich zu Bergriesen aufthürmen, deren Brust den Gletscherpanzer und deren Haupt den Firnschneehelm trägt. Wendest du dich, an den Rand des Hügels vortretend, zur Rechten, so siehst du tief unten den Strom aus dem großen See, worin er sich vom Gletscherstaub reingewaschen, hellgrün hervorkommen und in sanften Windungen längs eines paradiesischen Thalbodens von mäßig großer Ausweitung hinfließen, um nach etwa dreiviertelstündigem Laufe abermals in ein Seebecken sich zu ergießen, in den unteren See, dessen Gewässer fernher duftig zu dir heraufblauen. Das Gelände zwischen den beiden durch den Strom also verbundenen Seen bildet vielleicht den schönsten Park, welchen es auf Erden giebt. Es ist eine Harmonie in diesem Landschaftsbild, welche selbst durch die an der Südseite des Stroms sich hinziehenden Gruppen von Hotels und Pensionen eines Curorts von Weltberühmtheit nicht gestört wird. Oder aber, falls deine Landschaftsästhetik das Vorhandensein dieser Institute als Störung empfinden sollte, so würde dich ein Blick wieder darüber wegheben, der Blick über die Thalebene südwestwärts dorthin, wo dir aus einer riesigen Spalte der von der Natur wie eigens zu diesem Zweck auseinandergeschobenen Bergwände die Königin der Alpenkolosse im Vollglanz ihrer wunderbaren Majestät entgegenleuchtet.

Ehrwürden Schwarzdorn – so hieß der Herr Pastor – sog so zu sagen mit vollen Zügen die vor seinen Augen entrollte Schönheit in seine Seele. Da er aber ganz entschieden zu jenen Leuten gehörte, die sich daran gewöhnt haben, ihren Empfindungen keinen vollen Ausdruck zu gestatten, sagte er nach einer Weile: „In der That, recht niedlich.“

„Niedlich,? O, Du stroherner Philister! Ein Wunder von Schönheit, ein helles, liebes Wunder!“

„Nun, nun, nur nicht gleich so obenhinaus, alter Junge. Habe denn doch während der letzten Wochen landschaftliche Scenen gesehen, welche –“

„Ach was! Glorios, sag’ ich Dir!“

„Wohl, wohl; aber ich behaupte dessenungeachtet –“

„Geh’, geh’! Es ist, beim Jupiter, ganz unmöglich, daß Du jemals etwas so Herrliches gesehen!“

Schwarzdorn kehrte sich verwundert um: es war in der Aeußerung seines Freundes ein so ganz eigener Ton! „Was hast Du denn?“ wollte er fragen, verschluckte aber die Frage, spitzte seinen Mund zu einem leisen Pfeifen und murmelte dann, während seine Mephistonase sich so weit herunterzog, daß ihre Spitze fast das Kinn berührt hätte, vor sich hin: „Ah so? da haben wir’s! Und der schwatzt von Proudhon und Ironie! … Schön ist sie allerdings, merkwürdig schön, originell, pikant! … Aber was ist das? Ich glaube gar, der tolle Mensch will die Schöne im Sturm erobern.“

Er that einige Schritte gegen die Bank am Fuße des halbzerfallenen Wartthurms hin und blieb dann stehen, um, getheilt zwischen Verblüffung und Neugier, die Entwicklung des kleinen Drama’s abzuwarten, welches er vor sich sah.

Angefaßt von einer jener plötzlichen, unerklärlichen Regungen, welche schicksalsmächtig den Menschen überfallen und überwältigen, war Sigfrid, nachdem er, während sein Freund in der Schönheit der Aussicht schwelgte, die junge Dame mit steigendem Staunen betrachtet hatte, auf sie zugeschritten.

Selbstverständlich war es ihr nicht entgangen, daß sie der Gegenstand der entzückten Verwunderung des fremden Mannes war; aber solcher Huldigungen gewöhnt, fühlte sie sich davon weiter nicht berührt. Oder doch? Denn möglicher Weise konnte das blitzende Aufleuchten ihrer Augen, als Sigfrid mit seinem Freunde den Hügel heraufgekommen war, bezeugen, daß sie den Fremden schon einmal bemerkt, vielleicht drunten im Curort, und von seiner allerdings imponirenden Erscheinung einen ungewöhnlichen Eindruck empfangen habe. Wie dem sei, sie machte, als sie ihn jetzt auf sich zukommen sah, eine Bewegung, um aufzustehen. Allein sie unlerließ es, und als Sigfrid, zwei Schritte vor der Bank stehen bleibend, sie mit einer tiefen Verbeugung grüßte, erhob sie mit dem Ausdruck kalten und stolzen Befremdens ihre Augen zu den seinigen.

Aber aus diesen Mannesaugen schimmerte ihr ein unbekanntes Etwas entgegen, ein Etwas, von welchem sie sich etwas erschreckt und beleidigt fühlte und doch zugleich gebannt und bemeistert. Sie wollte ihren Blick abwenden, vermochte es jedoch nur mit großer Anstrengung, und wie ihr Antlitz ein heißes Roth, so überflog die Seele ein Geheimnißvolles, von dem sie um keine Welt zu sagen gewußt hätte, ob es schluchzendes Weh oder jauchzende Wonne.

(Fortsetzung folgt.)




Sonntagsälpler.
Von Ludwig Steub.

Um eine Alpenfahrt handelt es sich also wieder, aber nicht um eine rauhe, halsbrecherische, wie sie der wilde Gemsenjäger unternimmt, sondern um eine feine, anmuthige, wie sie die gebildeten Stände, angesehene Väter, hochgeachtete Mütter, wohlerzogene Jünglinge und schöne Fräulein zu Stande bringen, um eine unvergeßliche Erinnerung für’s ganze Leben nach Hause zu tragen. Die Aufgabe, einen solchen monumentalen Tag durch den Bleistift oder die Feder zu schildern, hat ohne Frage ihre großen Reize und ist von beiden Seiten mit lobenswerthem Eifer unternommen worden, nur sind der Zeichner und der Beschreiber zu sehr verschiedenen Zeiten an die Arbeit gegangen und daher auch zu sehr verschiedenen Zeiten damit fertig geworden. Der Zeichner nämlich, der noch in der Blüthe seiner Jahre steht und den letzten Sommer zu Brannenburg am Inn verlebte, hat erst neulich die bedeutenden Motive gesammelt und auf’s Holz gebracht, welche ihm aus den schönen Tagen, wo man gen Alm fährt, im Gedächtniß haften geblieben. Seine Darstellung, seine Herren, seine Damen gehören daher der frischesten Gegenwart an, und wer in denselben Kreisen mit ihm gelebt hat, der würde auch leicht die Originale, die ihm vorschwebten, anzugeben wissen. Derjenige dagegen, der den Text verfaßt, gehört nachgerade der reiferen Hälfte der Menschheit an und hat sich mit der Aufgabe, seine Almenpartie zu schildern, schon vor etwelcher Zeit auseinander gesetzt. Seine jungen Herren, die damals „wie Zicklein voraushüpften“, sind jetzt schon alle in hohen Würden; seine rosigen Mädchen, die damals „wie dienende Engel in der Alpenluft strahlten“, sind mittlerweile alle etwas bräunlich und meistens Mütter geworden, deren Söhne und Töchter nunmehr ebenso voll Lieb und Lust in den Bergen herumklettern, wie weiland die lieben Eltern gethan. Seiner Zeit hat er dann auch, was ihm der Genius in diesem Betreffe zugeflüstert, mit mehreren andern Bildern aus der Alpenwelt unter den Druck gegeben; es ist aber selbiges Büchlein, wie es dem Verfasser auch in anderen Fällen begegnete, nicht gar viel oder eigentlich nur von sehr Wenigen gelesen worden, und darum möchte es wohl nicht indiscret erscheinen, wenn er hier diese Schilderung daraus gewissermaßen als etwas Frisches und Neues wieder auf die Tafel bringt, um so mehr als seine Beschreibung recht wohl zu dem neuen Bilde stimmt. In anderer Weise hätte der Schilderer sich nicht zur Sache zu stellen gewußt, denn die ganze Beschreibung wieder mit neuen Farben und neuen Bildern herzustellen, schien ihm fast unmöglich. – –

Es ist ein wesentlicher Bestandtheil eines Aufenthaltes im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_068.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)