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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

träumerisch niederblickte, kamen drunten zwei Männer über die lange, bedachte Holzbrücke gegangen, welche da über den Strom gelegt ist, wo er aus dem großen See tritt.

Im belebtem Redetausch stiegen die Beiden gemächlich den sanft emporführenden Weg hinan. Ihr Gespräch hatte Ton und Färbung alter Befreundung, auch mochten sie auf gleicher Altersstufe stehen, etwas näher dem vierzigsten, als dem dreißigsten Jahre, und doch waren die Beiden in ihrer äußern Erscheinung grundverschieden.

Der Eine der Freunde war eine lange, hagere, schlottrige, so zu sagen abstracte Gestalt, welcher man auch ohne ihren weithinabreichenden schwarzen Rock das „Wort Gottes“, ja, das „Wort Gottes vom Lande“ unschwer ansehen konnte. Es war auch in den grauen Augen der weltbekannte theologische Essigblick. Die decidirte Mephistonase, sowie die sarkastisch niedergezogenen Mundwinkel thaten dem Theologismus des langgezogenen, gescheidten Gesichts mit nichten Eintrag. Denn es ist eine unbestreitbare Thatsache, daß es unter den „Hirten“ unendlich viel mehr Ironiker und Sarkastiker giebt, als die guten „Schafe“ sich träumen lassen. Der Andere konnte mit seinem schwarzen, üppigen, noch von keinem einzigen Silberfädchen durchzogenen Kraushaar und Vollbart, mit seinem kühn geschnittenen, blühenden, durch ein dunkelblaues Augenpaar von schelmisch keckem Falkenblick belebten Antlitz für einen Typus männlicher und mannhafter Schönheit gelten, falls die Wohlgeformtkeit seiner hohen, breitschultrigen Figur nicht etwas beeinträchtigt worden wäre durch einen Anflug von Beleibtheit, welcher zwar der Leichtigkeit seiner Bewegungen für jetzt noch keinen Abbruch that, aber doch den armen Lord Byron zur Verzweiflung gebracht haben würde. Uebrigens in Haltung und Gebahren ein Gentleman jeder Zoll, einfach, ohne Ziererei, aber auch ohne affectirte Nachlässigkeit sich tragend, ein Gentleman, der augenscheinlich viel „in der Welt“ gelebt, vielleicht ein bischen zu viel, jedoch immerhin eine Frische sich bewahrt hatte, welche von dem Hautgout der Blasirtheit nicht entfernt angeflogen war.

„Und so hast Du Dich also entschlossen,“ fragte im Geben der Abstracte den Concreten, „unser Vaterland für immer zu verlassen?“

„Für immer.“

„Unglückliches Vaterland!“

„Spotte nur zu, lieber Alter. Aber in allem Ernste, ich werde keinen Fuß mehr nach Michelien setzen und möchte nicht einmal dort begraben sein.“

„Armes Deutschland! Wie spricht der große Scipio? Ne ossa mea quidem habeas, ingrata patria!“ (Nicht einmal meine Gebeine sollst Du haben, undankbares Vaterland!)

„Kerl, Du bist doch der ewige Mephistophel! Gieb acht, daß ich Dich nicht an das Sprüchlein erinnere, welches zu unserer Zeit auf der Universität umging.“

„Was für ein Sprüchlein?“

„Stiftler[1]
Sind Diftler,
Mitunter auch Giftler.“

„Bah, lieber Junge, Stiftler sind heutzutage nur noch correcte Setzlinge im Weinberge des Herrn, sonst nichts mehr. Aber laß Dir sagen, ich war nicht wenig erstaunt, als ich Dich gestern Abend da unten in der Nußbaumallee hinter den pyramidalischen Gestalten der fabelhaft aufgedonnerten drei Engländerinnen plötzlich auftauchen sah. Nach dem, was ich zuletzt von Dir hörte, vermuthete ich Dich in der schönen Hauptstadt meines engeren Vaterlandes (von uns Deutschen hat ja jeder bekanntlich ein engeres und ein weiteres Vaterland, also, beiläufig bemerkt, keines, denn Null mal Null gleich Null), ja, in der Hauptstadt meines Heimattlandes vermuthete ich Dich.“

„Ich war dort, konnt’ es aber nicht lange aushalten.“

„Wie so?“

„Weil ich daselbst vor lauter ‚gemüthlichen Leuten‘ keine Menschen zu finden vermochte.“

„Lästerer! Ich sehe, der Reichthum hat Dich übermüthig gemacht. Deine selige Tante hätte wohl etwas Klügeres thun können, als Haus und Hof, Schloß und Park, Geldkiste und Capitalienbriefsammlung ihrem Heiden und Sausewind von Neffen zu vermachen.“

„Sie hat auch diese hübschen Sachen mir nicht vermacht, die Gute, welche lind und weich in Abraham’s oder eines beliebigen andern Patriarchen Schooße ruhen möge. Sie wollte ja ihren ‚leidigen Mammon‘, welchen sie zusammenhielt wie eine Kneipzange, der ‚inneren‘ oder gar der ‚innersten Mission‘ vermachen, hatte aber glücklicher Weise keine Zeit mehr zur Ausführung dieses frommen Vorhabens, maßen sie, nachdem sie sich eines Abends beim Tischrücken und Geisterklopfen übermäßig angestrengt und aufgeregt hatte, in der Nacht durch einen Nervenschlag diesem irdischen Jammerthal entrückt wurde. So war ich ihr Erbe von Rechtswegen.“

„Glücklicher Millionär Du! Nun, ich werd’ es mir in Deinem Schlosse, welches, sagst Du, wenige Stunden von hier an dem unteren See liegt, etliche Tage oder auch Wochen lang gehörig wohl sein lassen.“

„Das sollst Du, und Du wirst sehen, daß ich den Grandseigneur ganz leidlich spiele.“

„Ich glaub’ es. Du hattest, ohne Compliment, schon in der Studentenzeit etwas Lordmäßiges an Dir, obgleich Du damals häufig genug nur Lord John mit der leeren Tasche gewesen bist. Ich hab’ es darum nie recht begriffen, wie Du mit Deinen aristokratischen Neigungen, Bedürfnissen und Manieren unter die guten Demokraten gerathen bist, welche so märchenhaft naiv waren, eine gewisse ewige Schlafkappe für die phrygische Mütze von Anno 1789 oder gar von 1792 anzusehen.“

„Du hast Recht. Es war für einen im Heimathlande des beschränkten Unterthanenverstandes Geborenen die dümmste der Dummheiten, nach etwas Anderem zu streben, als nach einer Hofrathscarrière und nach dem gelben Spatzenorden vierter Classe. Aber so wahr ich Siegfrid von Lindenberg heiße, ich bin durch meine Villeggiatur in der Einzelhaftzelle des berühmten Zuchthauses zu B. von der leidigen Romantik des Idealismus und Patriotismus vollständig curirt und von dem Wahnglauben der Begeisterung zum Dienst der holden Göttin Ironie bekehrt worden. Süße Ironie, du allein bist die wahre Freiheit! Du erlöstest mich von der Narrheit der Großmannssucht, von der Parteisclaverei, von der Ehrfurcht vor Schlagwörtern, von der Bewunderung angeblich großer Persönlichkeiten, von den Mystificationen der Politik, von –“

„Halt’ ein! Ich kenne dieses Proudhon’sche Gebet sattsam.“

„Ganz richtig. Proudhon und meine Erfahrungen haben mitsammen mich zum heiteren Ironieglauben herübergeführt.“

„Bah!“ sagte der pastorliche Mephistophel, indem er stehen blieb und den Rauch seiner Cigarre mit einem pfeifenden Ton in die sonnige Luft blies. „Wie doch die Menschen darauf versessen sind, sich selbst zu belügen! Was hast Du, altgebackener Phantast und neugebackener Millionär, mit Proudhon und der Ironie zu schaffen? Du bist heute noch derselbe Urromantiker und Hyperidealist, welcher Du gewesen zur Stunde, wo Du als Fuchs in die damals streng verpönte Burschenschaft tratest und bereit warst, für die schwarz roth goldene Schleife an Deiner Uhr Leib und Leben zu riskiren oder wenigstens einen so tüchtigen Schmiß, wie nur je eine Corpsburschenklinge einen gegeben hat.“

„Was schwatzest Du da für verdammten Kohl!“

„Kohl? Bewahre! Die pure, blanke, nackte Wahrheit sag’ ich, die aber freilich auch Dir, wie allen Menschenkindern, unangenehm in die Nase sticht. Aber trotzdem. Du bist und bleibst Einer von Denen, auf deren Augenhornhaut die Welt sich spiegelt, nicht wie sie ist, sondern wie sie den Einbildungen der Ideologen zufolge sein sollte. Ich wette, Du machst immer noch Verse.“

„Nicht einmal mehr Spottverse; denn sonst würd’ ich Dir jetzt zur Stelle in solchen sagen, daß Dein Gerede sehr an den Kanzelton streife.“

„Bah, nur nicht empfindlich, alter Junge! Ich wollte Dir nur andeuten, daß ich fast überzeugt bin, Du habest ganz das Zeug, allen Deinen Erfahrungen und Deinem angeblichen Ironikerthum zum Trotz das Zeug, Dich einmal bei Gelegenheit mittelst irgend einer romantischen Narrheit zu Grunde zu richten.“

„Das werd’ ich bleiben lassen, schon Dir zum Possen,“ entgegnete Sigfrid lachend. „Aber komm, wir müssen dort rechts den Fußpfad hinan, wenn ich Dich zu dem prächtigen Aussichtspunkt bei der Ruine da droben bringen soll.“




3. Ich kam, sah und – ward besiegt.

„In der That, das Ding hat Styl und läßt sich ansehen,“ sagte der Pfarrherr, seine Brille zurechtrückend, um sich auf der Höhe des Burgruinenhügels mit Behagen der Betrachtung des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_067.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
  1. Stiftler heißen die im sogenannten „Stifte“ zu Tübingen gebildeten protestantischen Theologen.                  D. Red.