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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)


Der alte Freiherr blickte einen Augenblick forschend in das Gesicht des Sohnes. In seinem eisernen, strengen Gesichte veränderte sich keine Miene.

„Der Herr hat mit Dir zu sprechen,“ sagte er, „in meiner Gegenwart. Er ist der Justizamtmann, der auch hier im Schlosse die Gerichtsbarkeit hat.“

Er sah noch einmal den Sohn scharf an, der plötzlich erbleichte. Der alte Freiherr – er hatte, während er sprach, wenig das Haupt erhoben – lehnte sich wieder zurück und deckte die eine Hand über das Gesicht. So konnte er sehen, ohne daß man es gewahrte. Der junge Freiherr wandte sich zu dem Justizamtmann; die Blässe seines Gesichtes war schnell verflogen, wie sie plötzlich gekommen war.

„Was wünschen Sie von mir, mein Herr?“ fragte er mit seinem ganzen Hochmuthe.

„Sie sind der Herr Freiherr Waldemar von Bergen?“ fragte der Justizamtmann den jungen Freiherrn mit der ruhigen, ernsten Würde seines Amtes, dem außer dem sittlichen Stolze kein anderer imponiren konnte.

„Ich bin es,“ erwiderte der junge Mann.

„Sie waren im vorigen Frühjahre in der Schweiz?“

„Ich war bis vor Kurzem seit drei Jahren auf Reisen, auch in der Schweiz,“ antwortete er rasch und ausweichend.

„Ich erlaubte mir die Frage an Sie,“ sagte der Gerichtsbeamte, „ob Sie im vorigen Frühjahre in der Schweiz waren?“

„Ja!“

Der junge Mann sprach das Wort fest und bestimmt aus, man glaubte ihm aber anzuhören, daß er sich dazu hatte zusammennehmen müssen.

„In welcher Gegend der Schweiz?“ fragte der Justizamtmann.

„In Genf.“

„Waren Sie nicht auch am Bodensee?“

„Nein!“

„In der Nähe von Friedrichshafen?“

„Nein!“

„Haben Sie nicht ein Dorf, Namens Schönthal, kennen gelernt?“

„Nein!“

Der junge Freiherr antwortete jedesmal rasch, ohne sich nur eine halbe Secunde zu besinnen, ohne alle Verlegenheit, ohne irgend eine Bewegung, und so blieb er ferner.

Der Justizamtmann fragte weiter:

„Waren Sie in Schaffhausen?“

„Mehrere Male – am Rheinfall.“

„Ich sprach von dem Dorfe Schönthal. Daselbst lebt ein Prediger Gerlach; haben Sie ihn gekannt?“

„Weder den Mann, noch den Namen.“

„Der Prediger Gerlach hatte eine Tochter. Sie wurde im Mai dieses Jahres entführt. Ist Ihnen etwas davon bekannt?“

„Nein.“

„Haben Sie einen Herrn Bormann aus Hamburg gekannt?“

„Nein!“

„Haben Sie selbst niemals diesen Namen geführt?“

„Nein, mein Herr –“

Keine einzige Frage hatte den jungen Edelmann auch nur in die geringste Verlegenheit bringen, ihn weniger stolz und zuversichtlich machen können.

„Sie sind,“ fuhr der Justizamtmann fort, „vor zwei Monaten hierher zurückgekehrt? Zu Ende Octobers?“

„So ist es.“

„Von woher?“

„Aus Frankreich.“

„Wie reisten Sie?“

„Auf der Eisenbahn.“

„Sie waren nicht im mittleren Deutschland?“

„Aus Frankreich führt kein Weg durch das mittlere Deutschland zum Rheine.“

Erinnern Sie sich einer Poststation, die Buchhauser Linde genannt?“

„Nein, mein Herr.“

„Dort wurde zu Ende Octobers ein Giftmord verübt.“

„Gebt mich das etwas an?“

„Haben Sie von ihm gehört?“

„Nein.“

„Die Ermordete war eine sehr junge und sehr schöne Dame –“

„Ich bedaure sie.“

„Der Mörder war ein junger Mann, der sich Bormann aus Hamburg nannte.“

„Ich glaube, ich sagte Ihnen schon, daß ich keinen Herrn Bormann aus Hamburg kenne.“

„Herr Bormann war am Abend in einer vierspännigen Extrapost mit der Dame, die er seine Frau nannte, angekommen und hatte sich mit ihr ein Zimmer geben lassen. Man hatte in der Nacht die Dame wimmern und aufschreien hören, wobei sie über furchtbare Schmerzen geklagt und zuletzt gerufen hatte: ‚Ich sterbe!’ Ihr Begleiter hatte kalten Trost für sie gehabt, denn ihre Klagen hatten ihn gelangweilt. Am andern Morgen war der junge Mann allein aus dem Zimmer hinab in die Wohnstube gekommen, hatte kurz und kalt gesagt, seine Frau sei in der Nacht gestorben, hatte hundert Thaler auf den Tisch gezählt, um die Kosten der Beerdigung davon zu bestreiten, und war dann weiter gefahren. Die bestürzten Wirthsleute hatten nicht daran gedacht, ihn zu halten.“

(Schluß folgt.)



Der Gang zum Friedhofe.

Er kam zurück und fand sein Weib nicht mehr;
Gebroch’nen Herzens ist auch er erlegen,
Die Waisen stehen schluchzend um ihn her
Und harren auf des Vaters letzten Segen.
Drei Mal verjüngt schaut er die Mutter dort –
Er segnet sie mit schon verklärten Mienen,
Doch eine Klage blieb sein letztes Wort:
Drei Kinder und kein Rächer unter ihnen!

Nun ruht er aus; der treue Wanderstab
Führt’ in die Heimath ihn zurück zum Sterben,
In deutscher Erde grub man ihm sein Grab,
Um höhern Lohn blieb ihm versagt zu werben;
Dem wilden Flüchtling, der am fernen Strand
Des Hasses Lied sang zu des Weltmeers Schäumen,
Wehrt Keiner mehr, im eig’nen Vaterland
Den süßen Traum der Freiheit still zu träumen.

Zum ersten Male schlingt um seinen Traum
Der nahe Lenz die früh erschloß’nen Blüthen,
Da nahen sie, die jenen engen Raum
Wie ihres Lebens Heiligthum behüten,
Und freundlich durch das finstre Gitter blinkt
Des Vaters Grab, vom Sonnenstrahl beschienen,
Da eilen sie, als ob er selber winkt,
Drei Kinder und kein Rächer unter ihnen.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_052.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)