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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zu Moment fester geworden. Draußen im Corridor stand der alte Kammerdiener mit zwei Wachskerzen, obgleich es in dem Vorsaale hell war, wie bei Tage, und ging dem Freiherrn und dessen Begleiter voran. Sie durchschritten mehrere erleuchtete Gänge. Am Ende eines langen Corridores öffnete der Kammerdiener eine Seitenthür, die in ein hell erleuchtetes Zimmer führte. Hinter einer andern Flügelthür, in einiger Entfernung, war es laut. Man hörte dort eine Menge Stimmen, die durcheinander sprachen, riefen - Gläser klangen dazwischen. Es war ein ähnlicher Lärm, wie die Beamten bei ihrer Ankunft vor dem Schlosse ihn an jenen erleuchteten unregelmäßigen Fensterreihen des burgartigen Hintergebäudes vernommen hatten. Der Freiherr horchte einen Augenblick hin; dann trat er mit dem Justizamtmann in das helle Zimmer.

Das Gemach, in dem eine behagliche Wärme herrschte, war rund, groß, fast ein Saal, und mit grauen Tapeten behangen. Auch die sämmtlichen reichen Möbel darin waren grau. Zu der Mitte hing ein Kronleuchter von mattem Silber, in dem Wachskerzen brannten – Armleuchter mit brennenden Wachskerzen standen umher; Alles zeigte den Reichthum und den vornehmen Luxus des Hauses in diesem vielleicht entlegensten Gemach. Erschöpft setzte sich der Freiherr auf einen Divan, das Sagenbuch, das er mitgenommen hatte, neben sich. Dem Justizamtmann wies er wieder mit der Hand einen Stuhl an.

„Mein Sohn!“ sagte er dann zu dem Kammerdiener.

Der Diener ging. Der alte Freiherr wandte sich zu dem Justizamtmann.

„Sie sind jetzt Herr hier,“ sagte er. „Ich bitte, jene Klingelschnur zu ziehen; der Castellan wird darauf erscheinen. Ertheilen Sie ihm Ihre Befehle, aber draußen, wenn ich bitten darf.“

Der Justizamtmann zog die Klingel. Wenige Minuten nachher näherte sich im Corridor ein Schritt. Der Justizamtmann ging hinaus und sprach mit dem Castellan. Nach einigen Augenblicken kehrte er in das Zimmer zurück und nahm seinen Stuhl wieder ein.

Der Freiherr saß noch auf dem Divan. Beide schwiegen.

Der Gerichtssecretair trat in das Zimmer, denn zu dem, was weiter geschehen sollte, war ein vollständig besetztes Criminalgericht erforderlich, zu welchem der Gerichtsschreiber gehörte. Er ließ sich schweigend neben seinem Vorgesetzten nieder.


6. Der Richter.

In dem großen Rittersaale der restaurirten Burg Freienstein herrschte ein lustiges, lärmendes Leben. Der junge Freiherr Waldemar von Bergen hatte mit seinen Freunden und Genossen der Gegend eine große Jagd in den weitläufigen Forsten des Gutes Freienstein abgehalten, und der Abend vereinigte die ganze Jagdgesellschaft zu einem Banket bei ihm in dem Rittersaale der Burg, welche der junge Freiherr allein bewohnte, darin schaltend und waltend, wie er wollte. Nur sein Vater hätte ihn an seinem Treiben hindern können; allein dieser kümmerte sich darum nicht.

Der große Rittersaal der alten Burg war mit neuem Glanz in seiner frühern Form wieder hergestellt. Die hohe, gewölbte Decke war durch breite Goldleisten in Felder getheilt, von denen jedes eine Malerei, Geschichten aus der Bibel, enthielt. Die hohen Bogenfenster hatten Glasmalereien, alte Geschichten aus der Familie, von den Kreuzzügen an. Die Wände bestanden aus den feinsten, schneeweißen, glänzend neu aufpolirten Kacheln. Aber man sah sie nur oben; bis zu ihrer Mitte hinan war Wand an Wand mit alten Ahnenbildern bedeckt. Eine lange, breite Tafel zog sich durch die Länge des weiten Gemachs. An ihr saßen zechend der junge Freiherr von Bergen und seine Gäste. Die Becher kreisten, die Gläser klangen, alte Humpen von schwerem Silber, Pocale von Gold, hohe Gläser von edlem Kristall. Scherze flogen umher, Gelächter erschallten, Abenteuer renommirten, Abenteuer mit Pferden, mit Hunden, mit Frauen.

Abenteuer gehören nur der Jugend.
Die ganze Welt gehört nur ihr.
O, wir Alten sind auch noch da!
Für die alten Weiber!

„Bravo! Die Liebe und die Lust sind nur für uns Junge.“

„Und das Glück! Abgemacht! Die Frage ist nur: wo ist die meiste Liebe, das meiste Glück? In den Städten oder auf dem Lande? In der Heimath oder in der Fremde?“

„In den großen Städten - am Hofe!“

„Bah, ich ziehe das stille, heimliche Land vor.“

„Und ich vor Allem die Heimath.“

„In der Fremde ist man freier, durch nichts gebunden.“

„Entscheide Du, Waldemar!“

Der junge Freiherr Waldemar von Bergen war inmitten seiner Gäste der Lustigste, der Uebermüthigste.

„Glück und Liebe,“ rief er, „sind überall, wo man jung und muthig ist und schöne Weiber findet, in der Stadt, auf dem Lande, in der Fremde, in der Heimath. In der Fremde sollte ich freier sein, als hier? Nur der Feige ist unfrei. Ich fühle mich überall frei, auch –“ Er sah nach den Bildern seiner Ahnen, die überall in dem Saale umherhingen. „Ja, auch hier, unter diesen ehrsamen Herren und tugendreichen Damen. Ei, Ihr alten Gesellen, Ihr blickt wohl verzweifelt streng auf mich nieder, als wenn Ihr meine Worte und mein Thun dabei so recht herzlich verachten und verdammen wolltet? Aber wer waret Ihr denn? Wer seid denn Ihr gewesen? Ja, ja, jetzt, auf der alten Leinwand da, in den goldenen Rahmen, seht Ihr wohl recht streng aus, und ehrbar und tugend- und sittsam! Aber zu Euren Lebzeiten, als Ihr Herren jung waret, wie wir, und Ihr Frauen schön und reizend, wie wir sie lieben – ei, waret Ihr da besser, als wir? Gehet, Ihr habt den Schelm im Nacken.“

Die Andern lachten. Nur Einer hatte eine Bemerkung.

„Wenn unsere Nachkommen nach hundert Jahren von uns so sprächen, Waldemar?“

„Hätten sie Unrecht?“

„Aber von unseren Frauen?“

Après nous le déluge!

Sie lachten wieder.

„Stoßt an! Uns gehört die Welt! Nach uns lebe die Sündfluth!“

Alles stieß an, Alles jubelte.

Die große Thür des Saales öffnete sich. Der Kammerdiener des alten Freiherr trat ein. Alle kannten den alten, stillen, ernsten Mann, der jetzt in das laute, fröhliche Fest trat als eine fremdartige Erscheinung. Es wurde still im Saal, als man den Alten sah, der auf den jungen Freiherrn zuging.

„Gnädiger Herr, Seine Gnaden, Ihr Herr Vater, läßt Sie zu sich bitten.“

Auch der junge Freiherr hatte gestutzt, als er den alten Diener sah. Er hatte lustig mit angestoßen auf die Sündfluth, die nach ihm kommen solle; er hatte den schäumenden Wein hinuntergestürzt: seine Lippen waren noch keck aufgeworfen, seine Wangen glühten noch, seine Augen blitzten. So stand er da, die hohe, schlanke Gestalt, das schöne, stolze Gesicht, als wenn er das Verderben, auf das er angestoßen hatte, herausfordern wollte, schon jetzt über ihn einzubrechen. Da sah er den alten Diener so still und ernst auf sich zuschreiten, still und ernst, wie das Unglück einherschreitet. Die kecken Lippen senkten sich; durch das geröthete Gesicht zog sich etwas, wie eine Ahnung.

„Jetzt gleich?“ fragte er den Diener.

„So befahl der gnädige Herr mir, Ihnen zu sagen.“

Der junge Freiherr sah auf seine Gäste.

„Laßt Euch nicht stören, meine Freunde. In wenigen Minuten bin ich wieder da.“

Er hatte die Lippen wieder aufgeworfen, und stand wieder hoch und stolz. So verließ er, gefolgt von dem alten Bedienten, den Saal. Sein Gäste ließen sich nicht stören, sie zechten und jubelten weiter. Durch mehrere Gänge kam man aus der Burg in das neue Schloß. Vor einer Thür blieb der Diener stehen.

„Hier, gnädiger Herr!“ sagte er, während er sich still entfernte, nachdem er dem jungen Mann die Thür geöffnet hatte.

„Hier? Im grauen Salon?“ rief der junge Freiherr.

Es durchzuckte ihn von Neuem, wie eine finstere Ahnung.

Der junge Freiherr hatte sich wieder zusammengenommen und trat mit seiner ganzen stolzen, vornehmen Haltung in das Zimmer. Nur das keck herausfordernde Selbstbewußtsein legte er in Gegenwart des alten, strengen, stolzen Vaters ab. Er verlor seine Haltung auch nicht, als er die Fremden in dem Zimmer sah. Er nahm keine Notiz von dem unbekannten Justizamtmann, sondern ging an ihm vorüber zu dem Divan, auf dem der alte Freiherr saß.

„Du hast befohlen, Vater!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)