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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Gesichte, in den harten Zügen, in den hellgrauen, stechenden Augen, die unter den tief herunterhängenden schneeweißen Augenbrauen noch immer Blitze hervorschießen konnten, las man nach wie vor den stolzen Geist, den harten Sinn, den eisernen Willen, der selbst noch leidenschaftlich werden konnte.

Großvater und Enkelin waren allein in dem großen, eleganten Zimmer. Sie hatten den Thee schon genommen; die Bedienten waren abgetreten.

Der Freiherr lag lang ausgestreckt auf einem Sopha, vor welchem der Theetisch stand. An dem Tische, dem Greise gegenüber, saß in einem Fauteuil die Enkelin, in deren noch fast kindlicher Jugend sich das brave, stille und milde Herz ausprägte. Sie las dem Großvater aus einer Sammlung von Schildsagen vor; mit ihrer reinen, klangvollen Stimme las sie eben die folgenden Worte:

- „Aber damit er nicht wie ein Missethetter gefhürt würde, mußte ihne der Nachrichter“ -

Da wurde an die Thür des Gemaches geklopft.

„Herein!“ rief der Freiherr ruhig.

Er hatte auch mit voller Ruhe der Vorleserin zugehört; die Nachricht des Castellans, daß der Justizamtmann mit einem fremden Polizeibeamten da sei, hatte ihn nur einen Augenblick beunruhigt, dann hatte die plötzliche Anwesenheit der Beamten des Gerichts und der Polizei, die Ungewißheit, was sie im Schlosse wollten, jene eisige, unheimliche Ruhe in ihm hervorbringen können, die ihm zu Zeiten eigenthümlich war.

„Herein!“ hatte er völlig ruhig gerufen, obschon er wußte, wer kam. „Einen Augenblick, Theodora,“ sagte er zu dem Fräulein, freundlich und mild, wie das Kind selber.

Sie hielt mit dem Lesen inne.

Der Justizamtmann und der Castellan traten ein.

„Der Herr Justizamtmann, Euer Gnaden,“ sprach der Castellan und entfernte sich wieder.

Der Freiherr warf unter den dichten, weißen Augenbrauen einen kurzen Blick auf den Gerichtsbeamten.

„Setzen Sie sich,“ sagte er dann eben so kurz und zeigte auf einen Stuhl, der neben dem Tische stand.

Der Justizamtmann setzte sich.

„Fahre fort, Theodora,“ wandte sich der Freiherr wieder freundlich zu dem Kinde.

Und das Fräulein begann von Neuem den Satz, in dem es unterbrochen war und las weiter bis zu dem Ende der Sage:

– „Aber damit er nicht wie ein Missethetter gefhüret würde, mußte ihne der Nachrichter und seine Diener nicht anrühren, sondern er gink selbst gutwillik, und der Rat und die ganze Stat begleitete ihne und betrübeten sich seinethalben. So hatte Adebar eine Schwester im Jungfrauenkloster zu Colberge, die war Eptissin; dieselbe ergriff ein Crucifix und trat für ihne her und sterkete ihne und sagte: er sollte auf Got trawen und in seinem Glauben sterben. Also kam er außer der Stat; da wurde ihme gegunt, daß er auff einen Kirchhoff gink. Daselbst lies er sich abhawen.“

„Sie sind der Herr Justizamtmann?“ fragte der Freiherr jetzt den Gerichtsbeamten.

„Ja, Herr Baron.“

„Sie haben auch auf meinem Gute die Gerichtsbarkeit?“

„Seit Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit allerdings.“

„Auch hier im Schlosse?“

„Auch hier.“

Der Ton des alten stolzen Edelmanns war immer stolzer geworden. Der Justizamtmann blieb höflich und gemessen.

„Sie sind,“ fuhr der Freiherr in jenem Tone fort, „in diesem Augenblicke hier, um Ihre Gerichtsbarkeit auszuüben?“

„Ich bin in meiner amtlichen Eigenschaft hier.“

„Als Civil- oder als Criminalrichter?“

Der Justizamtmann besann sich einen Augenblick. „Als Criminalrichter,“ sagte er dann offen.

„Darf ich das Verbrechen erfahren, wegen dessen Sie hier sind?“

„Herr Baron –“

„Ah, das Amtsgeheimniß verbietet Ihnen die Mittheilung an mich!“

„So ist es.“

„Aber den Verbrecher dürfen Sie mir nennen?“

Der Justizamtmann besann sich noch einmal.

„Ich denke,“ sagte der Freiherr, „wenn er zu meinem Hausstande, vielleicht gar zu meiner Familie gehört, so hätte ich ein Recht, von einem Verfahren gegen ihn in Kenntniß gesetzt zu werden.“

Der Justizamtmann war über eine Erwiderung mit sich einig geworden.

„Herr Baron, Sie haben einen Sohn?“

„Ah, meinen Sohn betrifft es!“ sprach der alte Freiherr so ruhig, wie bisher.

„Ihr Herr Sohn heißt Waldemar?“ fragte der Justizamtmann.

„Waldemar Freiherr von Bergen.“

„Er ist erst seit Kurzem von mehrjährigen Reisen zurückgekehrt?“

„Seit zwei Monaten.“

„Hatten Sie Nachrichten von ihm über seinen letzten Aufenthaltsort?“

„Mein Sohn hatte mir keine Rechenschaft über seinen jedesmaligen Aufenthalt zu geben.“

„Hat er Ihnen nicht aus der Schweiz geschrieben?“

„Mein Herr,“ sagte der Freiherr mit seinem ganzen Stolze, „ich glaube, Sie wollen hier mich inquiriren!“

„Nein, Herr Baron. Aber ich hatte eine Pflicht gegen Sie. Es handelt sich um ein schweres Verbrechen, dessen Thäter ich zu verfolgen habe. Noch besteht nur ein Verdacht gegen ihn; es soll sich nun heute entscheiden, ob dies ein falscher Verdacht ist, oder ob er zur Gewißheit erhoben wird. Ich hielt es, da Sie einmal von meinem Hiersein Kenntniß erhalten hatten, für meine Pflicht, Sie vorzubereiten. Ein schwerer Schlag darf einen Ehrenmann, einen ehrwürdigen Greis, wie Sie es sind, nicht unvorbereitet treffen.“

„Ich danke Ihnen,“ sagte der alte Edelmann etwas weniger stolz, nachdem der Justizamtmann, der mit Wärme und Würde gesprochen, seine Rede geendet halte. Darauf fragte er wieder: „Dürfen Sie mir auch das Verbrechen nennen?“

„Es ist ein Mord.“

Der Greis zuckte zusammen, aber er faßte sich im nächsten Augenblick wieder. „Herr Justizamtmann,“ fragte er, „dürfen Sie gegen meinen Sohn in meiner Gegenwart inquiriren?“

„Ich werde es verantworten, Herr Baron.“

Der Freiherr wandte sich zu seiner Enkelin. „Geh’ auf Dein Zimmer, Theodora,“ sagte er gütig.

Sie erhob sich und trat, blaß und zitternd von der entsetzlichen Unterredung, deren Zeugin sie gewesen war, an das Sopha zu dem Greise und reichte ihm die bebende Hand.

„Gute Nacht, Großvater.“

Er küßte sie auf die Stirn.

„Gute Nacht, meine liebe Theodora.“

Ein Strom von Thränen stürzte aus den Augen des Kindes, als es das Zimmer verließ.

Als sie fort war, erhob sich der Freiherr; es gelang ihm nur mühsam. Das Kind sollte nicht sehen, wie sehr ihn die schreckliche Kunde angegriffen hatte, darum erhob er sich erst nach der Entfernung der Enkelin. Der Justizamtmann wollte ihm beim Aufstehen helfen; er wies ihn jedoch zurück.

„Ich danke Ihnen!“ sprach er wieder mit seinem ganzen, vollen Stolze. So stand er auch, als er sich erhoben hatte, fest, gerade; selbst den vom Alter gebeugten Nacken konnte er stolz aufrichten. Nur dem Gesichte, das erdfahl geworden war und dessen Augen sich tiefer hinter die buschigen Brauen zurückgezogen hatten, sah man den hinfälligen Greis an. Er bewegte eine kleine silberne Glocke, die vor ihm auf dem Tische stand. Sein alter Kammerdiener trat ein.

„Zum grauen Salon!“ sagte er zu dem Diener.

Der Diener entfernte sich stumm. Im Zimmer befand sich ein alter eichener Schrank, kunstvoll geschnitzt, dunkelbraun vor Alter. Der Freiherr ging zu ihm, schloß ihn auf, nahm etwas heraus und verbarg es auf seiner Brust, ohne daß der Justizamtmann gesehen hatte, was es war. Darauf kehrte der Greis zu dem Tische zurück, auf welchem das Sagenbuch, in dem seine Enkelin gelesen hatte, noch aufgeschlagen dalag. Er nahm es, faltete das Blatt ein und behielt das Buch so in der Hand.

„Folgen Sie mir,“ sagte er dann zu den Justizamtmann.

Er hatte Alles mit langsamer, eisiger Ruhe gethan. Seine Haltung war sicherer, die Züge des Gesichtes waren von Moment

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)