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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

war eine nothwendige, um den Vorort dauernd bei Weimar zu erhalten, das heißt in der Stadt, die außer den frischesten Spuren unserer Classiker und Schiller’s selbst zugleich die günstigsten politischen und geographischen Eigenschafte für den Mittelpunkt der Stiftung darbietet.“

Das ist wenigstens deutlich. Ich selber halte den Platz, wo sich der Vorort der Schillerstiftung befindet, für ziemlich gleichgültig – aber nicht gleichgültig ist die Leichtigkeit, mit welcher unbequeme Paragraphen der Satzungen beseitigt werden können, und mit denselben ist bereits schon so umgesprungen, daß von ihrer ersten Fassung fast Nichts geblieben. Während es schon ein Mißgriff war, als Bericht erstattenden Secretair einer Stiftung, die über allen Parteien stehen soll, einen Schriftsteller zu ernennen, der selbst als der Führer einer unserer größten literarischen Coterien bekannt ist, wurden auch die Satzungen zum ersten Mal da gebrochen, wo derselbe gegen den direct ausgesprochenen Sinn derselben lebenslänglich in seiner Stellung bestätigt ward.

Die Satzungen oder Statuen wurden zum zweiten Mal gebrochen, als der Verwaltungsrath unter dem Wortlaut: „als nationale Anerkennung“ heimliche sogenannte Ehrengaben an einzelne der Hülfe nicht bedürftige Schriftsteller von den ihm anvertrauten Geldern vertheilte. Auf der neulichen Generalversammlung gab man den alten Satzungen den Todesstoß, indem man sogar den ganzen eigentlichen Zweck der Stiftung über den Haufen warf. Das einzige Gute, was dort geschaffen wurde, ist die Oeffentlichkeit, und nur unbegreiflich, daß sie nicht gleich bei Gründung der Stiftung ihre Geltung erlangte.

Wenn die Schillerstiftung das bleibt, was sie sein soll, so ist jede Gabe, die sie verteilt, eine Ehrengabe für den, der sie empfängt, denn er empfängt sie von der Nation in Anerkennung seiner Verdienste. Daß er unverschuldet darben mußte, kann ihn nicht schänden. Schiller selber hat gedarbt und Unterstützung von einem Fürsten angenommen. Wer von uns würde sich schämen, wenn er wirklich in Noth geräth, eine Unterstützung von dem deutschen Volke anzunehmen? Ich wahrlich nicht, und wenn ich heute durch Krankheit oder Unglück arbeitsunfähig gemacht würde und meine Familie nicht mehr ernähren könnte, wäre ich stolz darauf von einem Fond unterstützt zu werden, den das deutsche Volk zu diesem Zweck gegründet hat.

Die Schillerstiftung in Weimar ist jetzt in die unangenehme Lage gerathen, daß sie ihre Beschlüsse nicht zur Ausführung bringen kann, da eine Zweigstiftung die sächsische Regierung ersucht hat, ihre Einwilligung nicht zu einer so willkürlichen und plötzlichen Aenderung der Statuten oder Satzungen zu geben. Es wäre eine sehr traurige Sache, wenn irgend eine Regierung überhaupt das Recht hätte, einen Einspruch in die innere Verwaltung einer wohlthätigen Stiftung zu thun, und ich weiß auch nicht, ob die sächsische Regierung je den Versuch dazu gemacht hätte, wenn es sich nicht hier in der That um einen Mißbrauch anvertrauter Gelder handelte.

Das Capital der Schillerstiftung gehört nicht dem Verwaltungsrath, um darüber zu verfügen, wie er es für nützlich hält, und es nur insbesondere den hülfsbedürftigen Schriftstellern zuzuwenden, sondern es ist ganz ausschließlich von den Gebern und der Nation nur für diese bestimmt und muß ihnen erhalten und gewahrt bleiben. Nur erst wenn der Nachweis geführt ist, daß alle bedürftigen Schriftsteller und Schriftstellerinnen nach Kräften bedacht sind – und der Beweis ist noch nicht geführt – können vielleicht die überflüssigen Gelder zu Ehrengaben verwandt werde. Aber selbst in dem Fall ist es noch vorher gerathen und nöthig, einen Reservefond zu gründen.

Die verschiedenen Punkte sind nun gründlich in den verschiedenen Zweigstiftungen durchberathen; möge jetzt einen neu Generalversammlung zusammentreten und einen endgültigen Beschluß fassen. Keine aber wird wagen dürfen den ganzen Zweck der Stiftung: „die Unterstützung hülfsbedürftiger Schriftsteller“, umzustoßen oder zu einer Nebensache herabzudrücken. Sie dürfen es nicht. Gelüstet es Einzelnen nach Ehrengaben, ei so laßt sie zusammentreten und einen neuen Verein gründen und Sammlungen dafür anstellen. Möglich auch, daß sie dann jenes komische Phantasiegebild einer Akademie erreichen, das schon ganz ernsthaft innerhalb der Schillerstiftung gespukt hat und jetzt nur bei Seite geschoben ist, weil man doch zu vielen Anstoß zu erregen fürchtete. Aber dieser Fond muß dem erhalten bleiben, dem er bestimmt war.

„Die Schillerstiftung hat den Zweck deutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen, welche für die Nationalliteratur verdienstlich gewirkt haben, dadurch zu ehren, daß sie ihnen oder ihren nächstangehörigen Hinterlassenen in Fällen schwerer Lebenssorge Hülfe und Beistand darbietet.“

Jede Wortklauberei, die diesen Sinn umstoßen will, muß von der deutschen Nation verdammt werden. Das Capital gehört hülfsbedürftigen deutschen Schriftsteller und ihren nächstangehörigen Hinterlassenen, und jeder Eingriff in deren Rechte ist – um das mildeste Wort zu gebrauchen – eine Ungerechtigkeit, die nicht geduldet werden darf.

Nachschrift.

Soeben kommt mir das Circular zu, welches der Verwaltungsrath in Weimar erlassen hat und worin er einfach droht, nicht allein die neuen Satzungen aufrecht zu erhalten, sondern auch seinen Verpflichtung – d.h. Auszahlen der Pensionsgelder – vollständig nachzukommen, also keinen Finger breit zu weichen, „und wenn er das Capital der Centralcasse angreifen, oder ganz und gar aufzehren sollte.“

Für das „Elend, welches demnach über die Pflegebefohlenen der Stiftung unfehlbar hereinbrechen würde,“ wälzt der Verwaltungsrath feierlich die Verantwortung von sich ab.

Aber das deutsche Volk wird all die Verantwortung eines solchen Elends zurück auf die Schultern des Verwaltungsrathes wälzen, wenn nicht bald eine neue Generalversammlung dieser bodenlosen Willkür ein Ende macht.

Fr. Gerstäcker.




Disciplin und Pflichttreue. Das britische Kriegsschiff Orlando kreuzte in der Bucht von Tunis, die bei aller Pracht mittäglicher Natur ringsum als der Heerd tückischer Stürme und Windstöße berüchtigt und gefürchtet ist. Heut aber, am 3. November (vorigen Jahres), war der Morgen klar und schön, die lieblichen Küstenhügel mit den weißen Häusern zwischen dem Grün erglänzten im vollen Zauber der südlichen Sonne, die See lag spiegelglatt und tiefblau, – Alles lockte zu einem Ausflug an's Land. Auf einen solchen hatte sich das lustige Völkchen von Seekadetten, die auf dem Orlando den Dienst lernten, schon lange gefreut, und so machten sich denn ihrer eine Anzahl zu einer kleinen Lust- und Jagdpartie bereit. Der Urlaub ward vom Commandeur gern ertheilt und der erste Schiffslieutenant, ein strenger Mann des Dienstes, beauftragt, die Expedition zu leiten und die übermüthige junge Schaar in Zaum und Zügel zu halten. Unter seinen Befehlen stach das Boot um acht Uhr früh nach der Küste ab.

Ohne alles Abenteuer, glücklich und wohlbehalten kam man an’s Land, ließ sich unter einem Dattelpalmendickicht nieder, um von den mitgebrachten heimischen Leckerbissen ein fröhliches Frühstück abzuhalten, schoß dann ein paar arme Kaninchen und einige Seeraben und schickte sich halb drei Uhr Nachmittags zur Rückkehr nach dem Schiffe an.

Lustig tanzte das Boot über die sanften Wellen, lustig sangen die jungen Kehlen ein englisches Lieblingslied nach dem andern in die Bai hinaus, selbst der grimme Lieutenant thaute auf und theilte die Fröhlichkeit seiner Schutzbefohlenen, so gut ihm dies möglich wurde. Da erhob sich mit einem Male ein dumpfes Brausen in der Luft und jählings, ehe man sich noch besinnen konnte, was das hohle Getös bedeutete, kam er heran, der tollste Wirbelwind, den man sich denken kann, und im Nu war das Fahrzeug umgeworfen und seine Mannschaft über Bord gespült.

Merkwürdiger Weise konnten nur vier ihrer Mitglieder schwimmen, der Bootsmann, ein alter Matrose, ein Schiffsjunge und der jüngste von den Seecadetten, ein kleines Bürschchen von noch nicht siebzehn Jahren, Namens Kemble; allein es gelang doch Allen, sich fest an dem Rumpf ihres Bootes anzuhalten und so vor dem momentanen Untergange zu wahren. Minute um Minute verrann, der Sturm wuchs und wuchs, die Sturzwellen peitschten die Armen mit immer steigender Gewalt, das Schiffchen trieb immer weiter hinaus in die See, die Hände der Burschen wurden immer matter und konnten nur mit Aufgebot aller Kraft sich noch festklammern an den Wänden des Fahrzeugs. Der Bootsmann machte allerhand Rettungsvorschläge, deutete Dies und Jenes an, was man thun, was man wagen müßte, – umsonst, Niemand hörte auf ihn.

„So wollen wir wenigstens versuchen, das Boot in der gehörigen Direction zu erhalten,“ sagte der wettergebräunte Seemann. Man versuchte es, man stemmte sich mit höchster Anstrengung gegen das Boot, vergeblich; die Wogen rissen es bald hierhin, bald dorthin und überflutheten die mit dem Tode Ringenden immer von Neuem, so daß Niemand mehr wußte, wohin man Richtung halten sollte.

„Binden wir die Ruder zusammen,“ mahnte der Bootsmann weiter, „und wer schwimmen kann von uns, bugsire mit ihrer Hülfe die Anderen an's Land!“ Auch dazu konnte man sich nicht entschließen, auch dazu gab der Lieutenant keinen Befehl.

„So gehe ich allein,“ stieß der Bootsmann ärgerlich heraus und schwamm ab.

Der Lieutenant rief ihn zurück und befahl ihm, seinen Posten beim Boote nicht zu verlassen. „Wozu? Mein Bleiben kann Niemandem helfen. Herr Lieutenant, weiß Gott, es fällt mir schwer, meinem Vorgesetzten ungehorsam zu sein, zum ersten Male in meinem Leben, allein ich hoffe, die Umstände werden meine Insubordination entschuldigen.“

Dann wandte er sich an den kleinen Seecadetten, den kaum den Kinderjahren entwachsenen Kemble.

„Wollen Sie nicht mitkommen, Herr Kemble? Sie können ja schwimmen und sich retten. Und wenn’s alle wird mit Ihrer Kraft, dann bin ich noch da und werde Sie schon vollends auf’s Trockene bringen, kommen Sie, ’s ist keine Zeit zu verlieren.“

„Wir haben die Ordre, hier beim Boote zu bleiben,“ antwortete ernst der Jüngling, der, wie wir wissen, ein trefflicher Schwimmer war, „und jeder brave englische Seemann kommt unverbrüchlich den Befehlen seiner Oberen nach. Wir namentlich, die wir Officiere werden wollen, müssen mit gutem Beispiele vorangehen.“

„Wie sie wollen, Herr,“ erwiderte der Bootsmann kurz. „Nun, so folgt mir, Ihr Anderen, die Ihr schwimmen könnt; eilt, jetzt ist noch Rettung möglich."

Aber Keiner folgte, Alle blieben treu dem gegebenen Befehle, Alle, und doch war es für die Meisten die erste größere Seefahrt, die sie machten! War das nicht eine tapfere That, nicht auch ein Heldenthum, auszuharren im Angesicht des gewissen Unterganges, nur um die Pflicht, den Eid nicht zu verletzen? Und verdient nicht vor Allen der kleine Seecadett unsere Bewunderung, er, der noch nicht sechszehn Jahre alt, der noch ein Kind war und unverzagt den Andern mit seinem Beispiele voranging?

Der Bootsmann überließ sich dem Wasser. Es glückte ihm, die Küste zu erreichen, die Nacht aber, die er in den Wogen umhertrieb, muß furchtbar gewesen sein. Mit zerfetzten Kleidern, mit blutendem Gesicht und zerschundenen Händen ward er am andern Morgen, dem Wahnsinn nahe, am Ufer aufgefunden und nach dem Schiffe gebracht, wo er nach und nach die Kunde gab von der bejammernswerthen Katastrophe.

„So lange England noch pflichttreue Seemannen hat, wie es unsere Cameraden waren, so lange es noch Kembles giebt unter der britischen Jugend - so lange wird das Vaterland seine Nelsons haben, wenn der Augenblick kommt, wo es ihrer bedarf,“ schloß der Befehlshaber des Orlando den Trauergottesdienst, mit dem er auf dem Deck das Andenken der in den Wellen Begrabenen feierte, nachdem die üblichen Kanonensalven dröhnend über die wieder besänftigten Wogen gerollt waren zum Zeugniß des Unglücks und der Pflichttreue.



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