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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Ein Tag im Harem.
I.
Unsichtbarkeit der Perserinnen. – Ehe auf Zeit. – Die große und die kleine Frau des Persers. – Der Divan-Chan oder das Empfangzimmer. – Persische Toilette. – Die Gebetbänder an den Armen der Perserinnen. – Schönpflästerchen auf Wangen und Hals. – Die hennagefärbten Nägel und Fußzehen. – Die rußbemalten Augenlidränder. – Brustfutterale und Ringe an den Fußzehen. – Vorbereitungen zum Diner.

Bald nach unserer Rückkehr aus Persien besuchte ich in Berlin mit meiner Frau das den Erben des leider zu früh verstorbenen Barons Julius von Minutoli gehörige persische Museum; mit uns betrat die Räume auch eine auswärtige Prinzessin in Begleitung eines Generaladjutanten und eines Kammerherrn des Königs von Preußen. Als die Fürstin zu den an Ort und Stelle gefertigten bunten Abbildungen persischer Frauen gelangte, fragte sie den sie herumführenden Herrn Dr. Brugsch, welcher mit der königl. preußischen Gesandtschaft ein Jahr in Persien zugebracht hatte: „Sind die Perserinnen hübsch?“

Der Angeredete bedauerte, ihr darüber keine genaue Auskunft geben zu können, weil er nie eine Perserin von Angesicht zu Angesicht erblickt habe, machte aber die Dame, nachdem sie ihm ihre Verwunderung deshalb ausgesprochen, auf mich aufmerksam, als einen deutschen Arzt, welcher während achtjährigen Aufenthaltes in Asien sehr häufig Gelegenheit gehabt hätte, mit Muhamedanerinnen näher zu verkehren, und bat um die Erlaubniß, diese Frage durch mich beantworten lassen zu dürfen. Dies geschah natürlich sofort und so gut, wie es in geflügelten Worten sich eben thun ließ.

Damals kam mir der Gedanke, daß ich über die Muhamedanerinnen meinen Landsleuten doch wohl manches Neue mittheilen könne; denn wenn eine fremde Fürstin, die, wie ich später erfuhr, mehr Gelegenheit gehabt haben dürfte, den Orient kennen zu lernen, als dies uns Deutschen meist vergönnt ist, durch ihre Verwunderung über die Antwort des Dr. Brugsch schon zu erkennen gab, wie wenig sie noch über die muhamedanische Frauenwelt erfahren habe, so darf ich daraus wohl schließen, daß dieses Capitel der großen Mehrzahl meiner Landsleute noch unbekannter geblieben sein möge. Dies und die mancherlei ganz absonderlichen Ansichten über den Orient und namentlich über seine Bewohnerinnen, die ich sogar durch Literaturwerke verbreitet gefunden, veranlassen mich endlich, von meinen Erfahrungen über das Leben der Muhamedanerinnen wenigstens Einiges, und zwar nach echt persischen Bildern illustrirt, den Lesern der weitverbreiteten Gartenlaube zu erzählen, selbst auf die Gefahr hin, sie dabei aus dem siebenten Himmel Muhamed’s etwas unsanft auf die reale Erde zu versetzen.

Der Leser gestatte mir, einiges Sprachliche und Volkseigenthümliche aus den Sitten des Orientalen hier vorauszuschicken, weil wir dadurch falsche Auffassungen und Wiederholungen im Verlauf unseres Vortrags verhüten. Das Wort „Serail“, das namentlich durch die Oper „Die Entführung aus dem Serail“ auch deutschen Zungen so geläufig geworden ist, muß für diese Seraï geschrieben und ebenso ausgesprochen werden; es bedeutet auch nicht etwa blos Frauengemach, sondern „Palast“. Da allerdings in Palästen häufig Frauengemächer sich befinden, so ist hier das Ganze für den Theil genommen. Frauengemach und Frauen werden in den verschiedenen orientalischen Sprachen mehr oder weniger verschieden bezeichnet. Das allgemeine arabische Wort, welches die Muhamedaner dafür gebrauchen, ist „Harém“, nicht zu verwechseln mit „Harám“, welches nur „Verbotenes“ bezeichnet. Das in Europa ebenso geläufige Wort Odalisque ist das türkische Odalik oder besser Odalyk und läßt sich im Deutschen wörtlich übersetzen durch den Ausdruck „Frauenzimmer“. Wenn ich im Folgenden das Wort Harém sächlich gebrauche, so werden hoffentlich die gelehrten Orientalisten mir beistimmen. –

Der größte Theil der jetzigen Bewohner Persiens huldigt bekanntlich den Lehren Muhameds; deshalb unterliegen die Perserinnen den allen Muhamedanern eigenen Religionsvorschriften und den allgemeinen Gebräuchen derselben, mit wenigen Abänderungen. Da Frauen und Mädchen als etwas (für Andere) Verbotenes gelten, so ist es erklärlich, warum sie abgeschlossen von männlicher Gesellschaft in einem besonderen, dem inneren Theile der Wohnung, dem Harem, leben müssen; warum sie sich von Männern nur ihren allernächsten Angehörigen, höchstens den ältesten vertrautesten Dienern (Ferrasch chelwet, Diener, welcher in dem Orte des Alleinseins [Chelwet] dient), und bei Erkrankungen allenfalls dem Arzte zeigen und warum sie auf der Straße oder auf der Reise nur streng verhüllt und blos am Tage ausgehen dürfen.

Weniger bekannt möchte es dagegen sein, daß zwar auch den Persern gestattet ist, bis vier legitime Frauen zugleich zu besitzen, unter denen sich jedoch mindestens zwei freie befinden müssen, daß aber diese sogenannte beständige Ehe der Scheidung ebensogut ausgesetzt ist, wie die nur bei den Schiiten – der muhamedanischen Secte, zu welcher die Perser gehören – zugleich mit bestehende zeitweilige Ehe. Letztere kann für eine halbe Stunde ebensogut, wie für neunundneunzig Mondjahre abgeschlossen werden.[1]

Man glaube übrigens ja nicht, daß von der Polygamie in den Ländern, wo sie gestattet ist, so allgemein Gebrauch gemacht werde. Die sehr große Mehrzahl der Muhamedaner, namentlich der Türken, besitzt nur eine Frau, und wenn in Persien, bei der im Allgemeinen größeren Leichtigkeit des Lebens, bei dem leichteren Sinne der Perser und ihrem Hange zum Luxus, die Vielweiberei bisher häufiger in Gebrauch gewesen ist, so machen doch der größere Theil der arbeitenden Classen sowie der Landbewohner und fast alle Nomaden, welche zusammen weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung betragen, Ausnahmen davon, indem sie sich gewöhnlich mit nur einer Frau begnügen, die ihnen mehr die Gefährtin des Christen ist, als die Kindergebärerin des Muhamedaners. Eine solche Frau arbeitet dann häufig sogar mehr, als der Mann, und hält sich in der Regel nicht so streng verhüllt und abgeschlossen, wie die Frauen der Wohlhabenderen oder der Städtebewohner, deren Beschäftigungen fast nur im Empfangen und Erwidern von Besuchen, im Gebrauche der orientalischen (altrömischen) Bäder, im Besuche des Mesdsched (Bethaus), im Wallfahrten nach heiligen Orten, im Intriguiren und im Faulenzen bestehen.

Um den Leserinnen ein etwas anschaulicheres Bild von dem gesellschaftlichen Leben ihrer muhamedanischen Schwestern vorzuführen, will ich einen Besuchstag in dem Harem der ersten Frau eines der vornehmeren Chans in einer persischen Stadt zu skizziren versuchen. –

Wenige Stunden nach Sonnenaufgang trippelt ein Paar Perserinnen durch die Stadt. Ihre Gestalten sind in große dunkelblaue Tschader (Tücher) eingewickelt, welche sie vorn mit der linken Hand zusammenhalten. Die rechte Hand hängt dahinter frei herunter, oder sie kneift weiter oben in der Halsgegend den unteren Theil des Rubend, eines weißen, dichten baumwollenen Schleiers mit eingestickten engen Löchern zum Durchsehen, mit dem Tschader zusammen. Die an den dunkelfarbigen seidenen Ansteckehosen befindlichen Oberstrümpfe von gleichem Stoffe stecken in kahnförmigen kurzen Pantoffeln von buntem Saffian mit hohen Absätzen, welche dem Gange der Trägerinnen etwas Unbeholfenes verleihen. Wer in Europa sie so gehen sähe, würde glauben, wandelnde oder wackelnde Pakete aus irgend einer alten Rumpelkammer vor sich zu haben. Die zweite möchte wohl auch dahin gehören, denn sie hält das Gesicht fest verschleiert und läßt vorübergehende Männer mit einer Viertelwendung ihres Vorderkörpers nach der Häuserseite passiren. Gewiß ist sie eine alte Dienerin der ihr Vorangehenden. Ihre Herrin dagegen scheut sich nicht, den weißen Schleier kokett über die linke Schulter zu werfen und, nur den Untertheil des Gesichts bis zur Nase mit einem Zipfel ihres blauen Tschader bedeckend, die schwarzen brennenden Augen aus dem frischen noch jugendlichen Gesichte herausblicken zu lassen.

Wir kennen diese Frau, die wir auf ihrem Gange zum Besuch bei der ersten Frau des Chans begleiten wollen. Fatme Chanum[2] ist tatarischer Abkunft und von armer Familie. Der schon alternde Mirsa (Schreiber, Secretär) des Chan hörte durch seine Mutter von Fatme’s Schönheit, ward mit ihren Eltern um die von ihm zu zahlende Morgengabe einig und nahm das kaum

  1. Ein Mondjahr umfasst die Periode von zwölf Mondenwechseln und beträgt elf Tage weniger, als ein Sonnenjahr.
  2. Das persische Wort Chanum wird ebensowohl für „Frau“, als für „Fräulein“ angewandt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_024.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)