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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

guter Gesellschaft nicht geduldet werden kann. Wir haben es, wenn wir jenen Teich ins Auge fassen, beinahe mit lauter Ausgestoßenen, mit Thieren von mindestens zweifelhaftem Charakter zu thun.

Bis gegen die Futterzeit hin scheint das Leben am obern Teiche ein sehr gemüthliches zu sein. Jeder einzelne von den vielen Vögeln, welche dort vereinigt sind, beschäftigt sich meistens mit sich selbst, ohne sich um die andern besonders zu kümmern. Die Morgenstunden werden vorzugsweise der Reinigung und der Instandhaltung des Anzugs gewidmet. Die Pelikane sitzen am Strande und putzen das Gefieder; die Scharben sind auf die Felsblöcke unter dem Wasserfall geklettert, halten sich still, wie Bildsäulen, oder fächeln sich mit den Flügeln, wie es ihre Gewohnheit ist; die Möven laufen am Strande auf und nieder; die Gänse weiden; die Reiher sitzen, anscheinend in wichtige Betrachtungen versunken, regungslos hier oder dort; die Marabus ziehen den Hals ein und nehmen eine jener Stellungen an, welche unwiderstehlich zum Lachen hinreisten; die Löffelreiher erweisen sich gegenseitig ersprießliche Liebesdienste. Eine wahrhaft idyllische Stille liegt über dem ganzen Bilde, es geht friedlich und verträglich, der oberflächliche Beschauer würde sagen, langweilig her. Das Letztere ist jedoch durchaus nicht der Fall. Denn jeder von den Vögeln beschäftigt sich und jeder giebt dadurch Gelegenheit zu mancherlei Beobachtungen, namentlich auch hinsichtlich der Sorgfalt, mit welcher er sein Gefieder putzt.

So war es neu für mich, zu erfahren, wie es die Löffelreiher ermöglichen, alle Theile ihres Federkleides in Ordnung zu halten. Gerade sie halten sehr viel auf Reinlichkeit und brauchen viel Zeit zu ihrem Anputze. Der Löffelschnabel ist aber ein sehr ungefüges Werkzeug und seine Länge oft recht hinderlich. Den Leib, den Rücken, die Flügel sammt den Schwingen, den Schwanz zu putzen, jede einzelne Feder durch den Schnabel zu ziehen, sodann mit dem Fett der Bürzeldrüsen gehörig einzuölen und hübsch so, wie es sich gebührt, zu legen, das hat keine Schwierigkeit; denn was dem Schnabel an Gelenkigkeit abgeht, das ersetzt der geschmeidige Hals. Wie aber bringt es der Löffelreiher fertig, um diesen letzteren, den Hals nämlich, zu putzen? Ich gestehe offen, daß ich mir diese Frage erst gestellt habe, als mir der Löffelreiher die Antwort bereits gegeben halte. Mit seinem eigenen Schnabel seinen Hals zu putzen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, mit dem Fuß dies zu thun, geht auch nicht an, und doch ermöglicht es der Vogel: er ermöglicht es – mit Hülfe eines andern seiner Art. Die Löffler gehören zu den geselligen und in Folge ihres stumpfen Schnabels auch zu den friedlichen Bewohnern des oberen Teiches. Sie thun Alles gemeinsam nun so auch das Putzen ihres Federkleides. Der eine beginnt, die andern folgen. Zunächst wird dasjenige Gefieder einer gründlichen Säuberung unterworfen, welches ohne fremde Hülfe geordnet werden kann. Hals und Kopf bleiben nach, und auch sie sollen nun an die Reihe kommen. Was geschieht? Zwei Löffelreiher treten freundschaftlich zusammen und einer beginnt nun, Hals und Kopf des andern zu bearbeiten, während dieser die gleiche Arbeit bei seinem Wohlthäter übernimmt. Zwar nicht eine Hand, aber doch ein Schnabel wäscht den andern! So stehen die Thiere halbe Stunden lang nebeneinander und bearbeiten sich mit gleicher Geschicklichkeit gegenseitig in der liebenswürdigsten Weise.

Man braucht jedoch seinen Beobachtungseifer nicht auf die Löffelreiher zu beschränken; die andern Vögel geben ebenfalls Stoff genug dazu. Dort der seinen Gedanken nachhängende Reiher brütet eben über einem jener Schelmenstückchen, welche ihm seine Verdauung zugezogen. Um den der zanksüchtigen Gänse halber mit Körnern gefüllten Futternapf haben sich Sperlinge in reicher Menge versammelt. Die zudringlichen Vögel sind selbstverständlich in dem futterreichen Thiergarten zu Hause, oft in größerer Anzahl, als es den Futterspendern lieb ist. Sie lernen sich sehr bald sicher fühlen und zeigen sich so dreist und unverschämt, wie Spatzen überhaupt sich zeigen können. Hundertmal haben sie ungestört aus eben demselben Futternapfe gefressen, welchen sie jetzt umlagern; sie haben dies auch gethan, ohne sich im Geringsten um diejenigen Vögel zu kümmern, denen das Futter bestimmt ist. Der Reiher, welcher jetzt zufällig dicht neben dem Napfe sitzt, sieht die bei all ihrer scheinbaren Plumpheit doch sehr gewandten Sperlinge wenig an: er erscheint ihnen viel zu ungeschickt und böser Vorsätze gewiß unfähig. Sie laufen ihm fast über die Füße weg. Flamingo, Ibisse, Pfuhlschnepfen, Gänse, Enten und Kraniche, bei welchen sie dasselbe versuchten, haben es ohne allen Anstand geduldet, und alle diese Vögel waren viel lebendiger, als die Reiher. Regungslos stehen diese auf einem Beine; wie im Schlafe ist der Hals tief eingezogen; sie gleichen mehr Bildsäulen, als lebenden Geschöpfen. Da plötzlich schnellt der zusammengekröpfte Hals hernieder und der spitze Schnabel schlägt mitten unter die Menge. Einer der armen Schelme ist durchspießt, wird nun nochmals gegen den Boden gestoßen, hierauf emporgeschleudert, aufgefangen und verschlungen. Dies Alles geht so schnell, daß die Sperlinge kaum zur Besinnung kommen, daß die jüngeren wirklich nicht wissen, was das sorgenvolle „Terrrrr“ eines alten Männchens, das glücklich der Gefahr entronnen und auf dem nächsten Baume sitzt, eigentlich besagen will. Ehe noch eine halbe Minute vergeht, ist der Reiher wiederum zur Bildsäule erstarrt, und einer oder der andere von den jüngeren, unerfahrenen Sperlingen hat sich bereits wieder beim Napfe eingefunden.

Inzwischen hat der Pelikan seinen Anputz beendet und tritt oder richtiger watschelt nunmehr, in dem rosenroth überhauchten Kleide prächtig geschmückt, längs des Strandes dahin, um sich seiner Freundin zu nähern. Die Freundin und mehr als Freundin, die Geliebte – ich darf die Verirrung des Pelikans nicht verschweigen – zu welcher der Pelikan sich schwerfälligen Fußes begiebt, gehört nicht zu dem Adel der Ruderfüßler, gehört überhaupt nicht zu den Schwimmvögeln, sondern einer ganz verschiedenen Ordnung, – sie gehört den Stelzvögeln an. Eine Störchin ist es, auf welche das liebebegehrende Auge des Pelikan gefallen, eine Störchin, welcher er sein Herz geschenkt und bei welcher er Erhörung gefunden. Es ist leider durch viele und betrübende Beispiele genügsam verbürgt, daß die Störche zu denjenigen Vögeln gehören, welche die heiligen Bande der Ehe in oft höchst unwürdiger Weise zerreißen. Die Eifersucht der Störche ist eine traurige Thatsache, aber leider ist diese Eifersucht nicht unbegründet. Man hat da sonderbare Dinge beobachtet, und ich selbst habe eine hierauf bezügliche Geschichte bereits in der „Gartenlaube“ veröffentlicht. Untreue unter den Störchen ist nichts Ungewöhnliches. Deshalb war es mir denn auch nicht eben wunderbar, daß eine Störchin sich so weit vergessen konnte, mit einem Pelikan zu liebäugeln; daß aber der Pelikan, er, gegen dessen sittsamen Lebenswandel bis jetzt auch noch nicht der leiseste Verdacht vorlag, daß er sich mit einer Störchin befreunden konnte: – das war mir entsetzlich neu. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß nicht er die Störchin, sondern daß die Störchin ihn vom Pfade der guten Sitte abgelenkt hat! Der Beweis der Untreue ist vor meinen eignen Augen gegeben worden.

Freilich muß ich, da ich duldsam sein will, anerkennen, daß dem Pelikan eine derartige Freundschaft wohl zu gönnen ist. Als die eben erzählte Geschichte spielte, war er der Einzige seines Geschlechts und genoß von den andern Teichbewohnern keineswegs Liebe, nicht einmal Freundschaft; ja, seine nächsten Verwandten, die Scharben, mißhandelten ihn sogar; sie bewiesen ihm wenigstens durchaus nicht die Achtung, welche ihm als dem größten ihrer Zunft von Rechtswegen gebührt. Ich muß, um dies zu erklären, zunächst über die Scharben selbst einige Worte sagen. Diese Vögel gehören unbedingt zu den anziehendsten Bewohnern eines derartigen Teiches, wie es der unsrige ist. Sie wissen die Aufmerksamkeit des Beschauers stets zu fesseln. Ihre Stellungen im Sitzen sind so eigenthümlich, daß auch das Auge des unkundigsten Beschauers unwillkürlich an ihnen haften bleibt, ihre Bewegungen im Wasser aber wirklich wundervoll. Mit der Geschmeidigkeit eines Aales und der Geschwindigkeit einer Forelle schwimmen sie durch die Fluthen, gleichviel, ob über oder unter dem Wasser. Von Haus aus Fischjäger, richten sie in jedem beschränkten Gewässer entsetzlichen Schaden an. Sie sind im höchsten Grade gefräßig, fangen aber auch dann noch Fische, wenn ihr Schlund bereits gefüllt ist, so wie der vollkommen gesättigte Fuchs noch Mäuse fängt zu seinem Vergnügen. Versuchsweise ließ ich einmal mehrere hundert ziemlich große Fische in den damals von ihnen bewohnten Teich setzen. Sie entdeckten diese wünschenswerthe Bereicherung an jagdbarem Wild in ihrem Gebiete sehr bald und arbeiteten nun ununterbrocken mehrere Tage lang. bis sie sämmtliche Fische gefangen, theilweise verschlungen, aber wenigstens alle getödtet hatten. Diese Jagdlust ist der Grund, daß sie sich möglichst viel im Wasser zu schaffen machen und nur, wenn sie von langer Jagd sehr ermüdet sind, sich an das Land begeben, um hier sich auszuruhen.

Solche Augenblicke der Ruhe sind es, welche die Thiere überhaupt

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