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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)


„Wie theuer?“ hatte der Wirth gefragt.

„Bequem, elegant. Können Sie einen für fünfhundert Thaler bekommen?“

„Auch schon für vierhundert Thaler.“

„Wie Sie wollen. Um Mittag muß er hier sein. Ich reise nach Mittag ab.“

Der Wirth hatte ihm einen Wagen für vierhundert Thaler gekauft. Der Fremde hatte das Geld sofort bezahlt, den Wagen sich kaum angesehen. Beide Reisende hatten auch am Vormittage das Zimmer nicht verlassen. Die Frau hatte nicht mehr so wohl ausgesehen; sie war offenbar leidend gewesen und hatte meist auf dem Sopha gelegen. Der Herr hatte in Zeitungen gelesen, oder war im Zimmer auf- und abgegangen.

Am späten Nachmittage, als es schon angefangen hatte zu dunkeln, hatte er vier Extrapostpferde zur Weiterreise bestellen lassen. Gleich nach Ankunft der Pferde war er mit der Frau abgereist. Schon damals, wie er sich nur wenig hatte sehen lassen, hatte er Sorge getragen, daß man seine Gesichtszüge nicht unterscheiden konnte. Bei seiner Ankunft in dem Gasthofe war es bereits dunkel gewesen. Am anderen Tage war die Frau schon leidend; in dem Zimmer hatten daher vor den Fenstern die Rouleaux müssen heruntergelassen werden, so daß nur ein sehr mattes Helldunkel herrschte. Beim Abfahren hatten Pelz und Pelzmütze ihn eingehüllt. So hatte der Mörder planmäßig sein Verbrechen vorbereitet.

Auf der nächsten Station hatte er sich gar nicht sehen lassen. In der Buchhauser Linde hatte kein Mensch sein Gesicht gesehen. Auch die Nachforschungen auf der anderen Seite der Linde führten gerade nur bis zu der zweiten Station. Sie war das erste Städtchen jenseits der Landesgrenze. Der Fremde hatte sich dort zugleich als einen Sonderling gezeigt. Der Postillon hatte ihn an dem Wirthshause des Städtchens vorfahren müssen. Er war ausgestiegen und in das Haus gegangen.

„Herr Wirth, kann ich hier einen einspännigen Wagen mit Pferd kaufen?“

„O ja.“

„Auch vertauschen gegen meinen Wagen dort?“

Der Wirth hatte sich neugierig den neuen eleganten Reisewagen und dann verwundert den Reisenden angesehen. Von diesem sah er nur nicht viel; der Fremde hatte Pelz und Pelzmütze nicht abgelegt.

„Ich denke,“ hatte er geantwortet.

„Besorgen Sie das Geschäft.“

Der Wirth machte das Geschäft selbst und einen vortheilhaften Handel. Der Einspänner wurde sofort angespannt; die Koffer wurden hinaufgebracht; der Fremde setzte sich ein, nahm selbst die Zügel des Pferdes und fuhr davon. Jenseits der Stadt hatten ihn noch ein paar Menschen auf der Landstraße fahren sehen. Dann war seine Spur verloren; nicht er, nicht Wagen, nicht Pferd waren wiedergesehen.

Bormann aus Hamburg hatte er sich genannt, in dem Gasthofe der Provinzialstadt, auf den Poststationen. Die Behörden wandten sich nach Hamburg. Man wußte dort nichts von einem Herrn Bormann, auf den in irgend einer Weise Persönlichkeit und Verhältnisse des Mörders passen konnten. Die wiederholten sorgfältigsten Untersuchungen der wenigen Kleidungsstücke der Gemordeten gaben ebenfalls nicht die mindeste Auskunft weiter, nicht über sie selbst, nicht über den Verbrecher. Jener eingezeichnete Buchstabe B. war Alles, was man fand. Das Gesicht der Unglücklichen war im Tode immer schöner geworden. Beamte und Aerzte erstaunten über die Regelmäßigkeit, Feinheit und Anmuth der jugendlichen Züge. Aber die Todte hatte keine Antwort auf die Frage: Wer bist Du Arme, Betrogene, so jung dahin Gemordete? Wo ist Deine Heimath?

Auch die Lebenden hatten sie nicht. Alle weiteren Nachforschungen blieben vergebens. Von dem Gesicht der Ermordeten wurde eine Todtenmaske genommen; sie konnte möglicher Weise in späterer Zeit Dienste leisten, denn auf die Entdeckung eines Verbrechens darf man niemals verzichten.

(Fortsetzung folgt.)



Bilder aus dem Thiergarten.
Von Brehm.
5. Unter dem Wasserfall.

Die Zeiten der paradiesischen Unschuld sind auch für die Thierwelt längst vorüber. Zustände, wie sie uns die noch heutigen Tages beliebten Schöpfungsbilder vor Augen führen, sind gegenwärtig unmöglich. Es giebt unter den Thieren weit weniger Verträgliche, als wir glauben. Davon überzeugt man sich, wenn man die freilebenden beobachtet, noch viel eher aber, wenn man es tagtäglich mit einer so bunten Gesellschaft zu thun hat, wie ich, und jeden Einzelnen derselben nach und nach kennen lernt, mit allen seinen Arten und Unarten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß in einem Thiergarten alle Raubthiere, groß und klein, in abgesonderten Räumen gehalten werden; es macht sich aber auch nothwendig, daß eine große Anzahl von Thieren und namentlich von Vögeln, welche man für harmlose zu halten geneigt ist, von den übrigen getrennt werden. Wohl oder übel muß in jedem Thiergarten ein Gehege errichtet werden für die Störenfriede in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Solcher zählt nicht nur jede Ordnung dieser Classe, sondern sogar jede Familie. Es giebt unter den Vögeln ebenso zanksüchtige Wesen, wie unter den Menschen, und der einzige Unterschied zwischen diesen und jenen beruht höchstens darin, daß bei den Vögeln die Zänkereien sehr rasch in Thätlichkeiten überzugeben pflegen, während es bei zänkischen Menschen glücklicherweise gewöhnlich beim Wortgefechte bleibt.

Man sollte meinen, daß ein großer Teich mit stillen, umbuschten Inseln und anmuthigen Ufergeländen, welcher fortwährend mit hinreichender Nahrung versorgt wird, ein wahres Paradies sein müsse für alle Vögel, welche gewohnt sind, in und am Wasser zu leben, und doch ist dies nicht der Fall. So sehr auch für alle Bedürfnisse Sorge getragen wird, so unbeschränkt die Ansprüche eines jeden Einzelnen der Bewohnerschaft berücksichtigt werden: der Apfel des Paradieses fehlt auch hier nicht und erregt sündige Gelüste.

Welcher von unsern deutschen Vogelkundigen sollte wohl glauben, daß ein Pelikan, den die Natur von Haus aus zum Fischer gestempelt und gleich mit einem prächtigen Hamen zum Gewerbe versehen hat, daß ein Pelikan, sage ich, Gelüste haben könnte, welche man fast widernatürliche nennen möchte, daß er, anstatt hübsch bei den Fischen zu bleiben, sich an seiner Mitbürger Kinder vergreift und diese in seinen weilen Schlund hinabwürgt? Wer sollte es dem tiefsinnig erscheinenden Reiher wohl ansehen, daß er in böswilliger Weise dem Sperber in seine Gerechtsame pfuscht und anstatt nach Fischen oder Fröschen nach Sperlingen zielt? Und doch habe ich Beides zu meinem nicht geringen Erstaunen erfahren und den Einen wie den Andern aus dem Teichparadiese verbannen müssen! Wenige Tage, bevor gedachter Pelikan zwei junge Gänse verschlang, hatte mir ein kundiger Freund erzählt, daß er die Scharben beim Schwalbensang beobachtet, und ich hatte das kaum glauben wollen. Aber der Freund hatte Recht, denn auch die Scharben, welche ihrer Herrschsucht halber schon früher ausgewiesen werden mußten, zeigten mir, wie weit sich ein Thier von den ihm „ursprünglich vorgezeichneten Bahnen“ entfernen kann. Daß die Störche, Möven und Gänse auch nicht umsonst in der Strafanstalt untergebracht wurden, brauche ich wohl kaum zu versichern. Die Ersteren trieben es wie die Reiher, die Möven fielen sogar über alte Enten her, und die Gänse benahmen sich, als ob sie lebhaft bedauerten, nicht auch mit gleichen Waffen, wie Reiher und Möven, versehen zu sein: sie würden sonst die von ihnen beständig verfolgten Mitbewohner ihres Teiches wahrscheinlich auch gefressen haben.

Solche und mehrere andere Erfahrungen sind es gewesen, welche mich bestimmt haben, in dem kleinen Teich unter dem Wasserfalle eine Genossenschaft zu bilden, welche, so verschieden sie unter sich auch sein mag, doch in dem Einen sich gleicht, daß sie in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_020.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2018)