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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Elisen zu Füßen, bitte um Vergeben und Vergessen, um die alte Liebe und Treue. Und wenn die ganze Welt sich gegen sie erhebt, trotz’ ich der ganzen Welt, und will sie hochhalten und lieben als mein Weib, so lang ich lebe … “

Oldenburg sah dem Leidenschaftlichen verwundert, zweifelnd in’s Antlitz, dann aber erwiderte er die Umarmung und sagte: „Dies Wort ist eine größere Heldenthat, als wenn Sie mit Todesgefahr zehn Leben retteten …“

Durch das Gemach und draußen in der Natur fluthete der goldene Quell des Tages; in den Blüthen und Bäumen des Gartens sangen die Vögel, und fernab bliesen die Zinkenisten der Waldkirchener Schützengilde zum Beginn ihres Festes die erhabene Weise eines Chorals …

Beide Männer lagen sich noch in den Armen, als Frau Flemming hastig in den Pavillon trat. Sie war zu erregt, um über Oldenburg’s Anwesenheit zu staunen, eilte auf ihren Sohn zu und küßte, ihn zu sich niederziehend, ihn auf die Stirn. Dann ergoß sie sich in zärtliche Vorwürfe. Aus einem unholden Schlaf, erzählte sie, dessen Traumbilder ihr Gustav bald mit dem ausgetretenen Fluß kämpfend, bald von Flammen umringt, gezeigt hätten, wäre sie beim Morgengrauen erwacht. Marianne, an ihr Bett gerufen, hätte ihr die entsetzlichen Vorgänge der Nacht geschildert, sie über Gustav’s Anwesenheit beruhigt, aber auch von einer Frau erzählt, welche von einem Fenster am Markt Flemming mitten im wüthenden Haufen gesehen haben wollte. Darum überzeuge sie sich mit eigenen Augen, daß die Aussage der Frau ein Märchen, und Gustav wohlbehalten und unverletzt nach Hause gekommen sei. „Nein, kein Märchen!“ rief sie plötzlich erblassend, indem ihre schwachen Augen den Liebling näher betrachteten. „An Deinem Haar klebt Blut, Deine Kleider sind zerrissen – – Heiliger Gott! Du bist verwundet! Was ist geschehen? Wer, wer that’s?!“

Gustav beruhigte die Frau, die außer sich war, und indem er ihre Hand in die Oldenburg’s legte, sagte er: „Ich war in Todesgefahr, aber dieser edle Mann wurde mein Retter.“

„Sie?!“ rief Frau Flemming in aufwallender Dankbarkeit und wiederholte dann, nicht ohne Verwirrung und kälter: „Sie!?“ Gustav jedoch, als er sah, wie sie mit Staunen und Unruhe bald ihn, bald seinen Gast betrachtete, bat sie, mit einem bedeutungsvollen Blick auf Oldenburg, mit ihm einen Gang durch den Garten zu machen.

Im Garten kam es zwischen Mutter und Sohn’ zu einem heftigen Auftritt. Als Gustav gestanden hatte, daß er Elise Reiser noch immer liebe und heute noch bei ihrem Vater um sie freien wolle, erklärte die erst erstaunte, dann empörte Frau rund heraus, daß sie das nimmer und nimmer zugeben werde. Bittere Anklagen Oldenburg’s und Elisens folgten. Gustav nahm Beide in Schutz, worauf sie ihn zornig aufforderte, sich also wegzuwerfen, den Spott der Stadt auf sich zu ziehen, aber auch das mütterliche Haus für immer zu meiden. Als Flemming einsah, daß weder Bitten, noch Beschwichtigungen ausreichten, fragte er seine Mutter, ob sie die Ueberzeugung hege, daß ein Mädchen auf seine Wahl stolz sein dürfe.

Sie sah ihn verwundert an und erwiderte, sie hoffe es.

„Nun denn,“ versetzte er gelassen, „so befindest Du Dich in einem gewaltigen Irrthum, denn bis gestern war ich ein müßiger, heuchlerischer, herzloser Taugenichts.“

Frau Flemming fragte verdrießlich, was das heißen solle.

„Daß ich zur Selbsterkenntniß gekommen bin,“ rief er und begann dann mit grausamer Wahrheit sich und sein Leben in der Residenz zu schildern. „So war Dein geliebter, wackerer Sohn,“ schloß er. „Während Du daheim Thränen der Rührung über seine heuchlerischen, erlogenen Briefe weintest, während Du ihn brav und fleißig wähntest und für ihn wie für ein köstliches Kleinod Gottes Schutz und Segen anriefst, verpraßte er seines ehrlichen Vaters Vermögen und Deine großmüthigen Geschenke mit liederlichen Burschen, charakterlosen Speichelleckern und feilen Dirnen. Soll ich Dir mein Tagewerk schildern? Wenn der Morgen angebrochen war, taumelte ich mit schlotternden Kleidern und verworrnem Haar, mit gerötheten Augen und gelbem Gesicht aus einem Weinkeller, das Aergerniß und der Abscheu der Redlichen, die an mir vorüber schon wieder zur Arbeit eilten. In viehischem Schlaf bis Mittag dann stärkte ich die erschlafften Kräfte zu neuem Schwelgen. Am Toilettentisch, einer verweichlichten Buhlerin gleich, empfing ich die Besuche von Gecken oder Wucherern. Dann in einem Strudel sinnloser, wüster Vergnügungen, niemals in ernster Thätigkeit, niemals in würdigen Gedanken! So lebte, so war ich, mit Elise verglichen, häßlicher als ein Satyr neben einer Heiligen. Ich, höre mich! ich wäre nicht werth, den Saum ihres Kleides zu berühren, wenn nicht einzig und allein die Liebe zu ihr mir einen Schimmer von Adel und die Hoffnung verliehe, mit ihr und durch sie ein Besserer zu werden. Verstoße, enterbe mich, ich kann nicht anders; der erste Schritt in meinem neuen Leben wird, muß der sein, was ich, ich verschuldete, zu sühnen und Elisen mein Wort, meinen Schwur zu halten … “

Gustav’s Mutter stand erstarrt, vernichtet, während zwei Thränen langsam über ihre Backen rannen. Dann faßte sie sich gewaltsam und sagte: „Komm!“ Sie gingen in den Pavillon zurück, wo Frau Flemming Oldenburg beide Hände reichte. „Verzeihen Sie es der alten, thörichten Frau,“ sagte sie, „daß ich mich vorhin so undankbar zeigte. Gott segne Sie! Gott segne Sie! Ich glaube, Sie haben meinen Sohn zweimal gerettet.“




Um die Mittagsstunde saß Elise in der Wohnstube ihres Vaters. Vom Marktplatz herauf schallte der Lärm eines friedlich lebendigen Gewühles. Denn die Unruhen waren gestillt, die Weber zur Arbeit zurückgekehrt, und der Jahrmarkt hatte begonnen. Das Gesumme der auf- und niederwogenden Menge, das Gekreische der Verkäufer, Pferdewiehern und Räderrollen, Trompetenstöße und Gebrüll einer Thierbude tönten wirr und wunderlich, aber lustig zum blauen Sommerhimmel empor.

Als vor der nahen Post ein Posthorn anhob und gleich darauf der Wagen unter den Fenstern der Apotheke vorbeirasselte, stürzte Elisens Vater athemlos in das Zimmer.

„Um Gottes willen, was ist’s?“ fuhr das Mädchen in der Ahnung neuen Unglücks empor. Der alte Mann rieb sich wie wahnsinnig die schwarzsammetne Mütze auf dem Kopf. „Ich weiß nicht, was ich denken soll,“ sagte er. „Doctor Oldenburg reist ab, verläßt Waldkirchen – die Actuarius Müller kam in den Laden und erzählt es mir – ich kann es nicht glauben und stürze auf die Post, da, da, just wie ich ankomme, steigt der Doctor in die Chaise und winkt zum Abschied – wem, glaubst Du, wem winkte er? und wer, glaubst Du, wer am Wagen stand und ihm nachwinkte – still!“ unterbrach er sich plötzlich, aufhorchend. „Es kommt Jemand.“

Auf der Treppe näherten sich Schritte.

„Ich bitte Dich, Vater, laß Niemand – –“ stammelte Elise.

Aber schon hatte der alte Reiser die Thür geöffnet und die Nahenden erblickt. Außer sich, stürzte er zurück, schlug in die Hände und rief: „Wer, glaubst Du, kommt zum Besuche?! Wer kommt mit seiner Mutter?“

Elise warf einen jähen Blick auf ihren Vater, dann von einer himmlischen Ahnung durchzuckt, schrie sie auf: „Gustav?!“

„Ja,“ jubelte der Alte. „Er und seine Mutter – er, er kommt.“




Ein neuer Tempel des Frohsinns.

Wer Berlin kennt, ja, möchten wir behaupten, wer nur ein Mal ein paar Tage in Berlin gewesen ist, kennt auch das Wallnertheater, wie er die Linden und das Brandenburger Thor, Kroll und Kranzler, Gardelieutenants und Schutzmänner, Papa Wrangel und die Rinnsteine kennt. Das Wallnertheater ist jetzt eine Merkwürdigkeit der preußischen Residenz, die Bädeker und andere rothe Eckarte der Reisenden mit dem obligaten Doppelstern decoriren.

Im Jahre 1857 war es, als Franz Wallner, der beliebte Schauspieler, an dessen Darstellung gemüthlich-österreichischer Rollen sich sicher so mancher unserer Leser ergötzt hat, nach Berlin kam, um hier sich als Theaterprincipal zu etabliren. Damals hatte noch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_820.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)