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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

4.

In wenigen Minuten waren fünfhundert Menschen auf dem Platze versammelt. Nicht die brodlosen Weber allein! Eisengießer und Maschinenbauer benachbarter Fabriken, Männer mit breiten Schultern und muskulösen Armen, hatte der Abend nach Waldkirchen gebracht, wo sie, von der allgemeinen Aufregung ergriffen, die drohende Nacht in den Straßen und Schenken des Städtchens durchwachten. Der Brand in der Baumwollenfabrik wurde von den Meisten wie ein Fanal begrüßt. Da trifft rechtzeitig ein Commando von fünfzig Soldaten ein, und das Feuer wird rasch gedämpft. Aber der Zorn und die Gier nach Gewaltthat schlagen in desto hellere Flammen aus. Die Soldaten haben die Straße vor der Fabrik besetzt. Unter den Arbeitern verbreiten sich empörende Gerüchte … Unzweifelhaft sind es Lügen, aber in diesem Augenblick wird jedes Geschichtchen, das die Wuth stachelt, geglaubt, geht von Mund zu Mund und wächst sozusagen unter Liebkosungen groß. Man erzählt sich, die Soldaten hätten mit Kolbenstößen jeden Mann im Leinwandkittel zurückgetrieben … Ein Gemeiner habe die Aeußerung gethan: „die Weber geben uns ein Feuerwerk, dafür werden wir Feuer auf die Weber geben!“ und der Officier soll zu einem Bürger gesagt haben: „Befürchten Sie nichts! Ich lasse die Mordbrenner niederschießen.“ – „Diese Handvoll Soldaten !“ bemerkte Jemand zu diesen Gerüchten; Jemand, man weiß nicht mehr wer; aber Jeder spricht es nach, höhnisch, drohend, bedeutsam: „Diese Handvoll Soldaten!“

Mit dem Ueberfall auf Flemming wandelt sich die Gährung in thätliche Wuth. Keiner kennt Flemming, allein die Meisten haben die feingekleidete, geschniegelte Puppe Nachmittags beim Kaufmann gesehen. Ein Baron, nach andern ein Spion, heißt es, mißhandelte Nöldeken; Tod und Hölle! mißhandelte unseren Nöldeken! Ihm nach! Nieder mit ihm! „O,“ schreit einer, „Oldenburg hat ihn befreit.“ „Oldenburg? Wer ist Oldenburg?“ fragen nicht Wenige. „Nun, der Mann, dessen Frau man heute begrub. Er hat sie schlecht behandelt, er ist schuld an ihrem Tod.“ „Schuld an ihrem Tod! Nieder mit Oldenburg!“

Und wieder wirft Jemand ein Schlagwort in dies Gewirre von Wahrheit und Lüge, sinnloser, und gerechter Empörung: „Oldenburg denuncirte“, sagt Einer. „Vor vier Tagen stand in der Morgenzeitung: Wir würden uns durch Ungesetzlichkeit unsern Gegnern ausliefern … War das nicht ein Fingerzeig für die Polizei, daß sie ein Auge auf uns haben sollte und daß wir etwas thun wollten? Er ist ein Angeber, ein Verräther! Nieder mit Oldenburg! Nieder mit der Morgenzeitung! Es lebe Brausewetter!“

Es ist unmöglich, diese thörichten Reden und Rufe mit der Schnelligkeit zu erzählen, womit sie unter den Massen hin und her schwirrten, Jeden überzeugten und zu Gewaltthaten trieben. Eins! zwei! drei! Der größte Haufe wirft sich gegen die Druckerei. Mit Fäusten, Steinen, Knitteln bearbeitet man die Eichenthür; wer mit der Sturzwelle nicht mit kann, schäumt gegen das Gemäuer und rüttelt an den Fenstergittern im Erdgeschoß. Hinter dieser Gruppe, deren Geheul von schrillem Pfeifen unterbrochen wird, reißen Andere das Pflaster auf; Marktbuden werden in einem Augenblick zertrümmert, die Balken auf den Weg geworfen oder als Waffe geschwungen … „Warum stürmen wir just die Druckerei?“ fragte ein jünger Arbeiter einen ältern, während sie, mit Steinen beladen, zum größeren Haufen liefen. „Wir wollen keine Worte mehr,“ schrie der Zweite als Antwort; „wir wollen Brod!“

Brod!

An den Fenstern der umliegenden Häuser tauchten die Lichter der geängstigten Bürger auf und verschwanden wieder. Hinter den verriegelten und verrammten Hausthüren und auf den Treppen ist ein ängstliches Flüstern und Horchen: „Hört Ihr noch nichts?“

Denn das Gebrüll übertönt den Trommelwirbel und taktmäßigen Soldatenschritt. Aber sie rücken näher und näher …

„Bah! diese Handvoll Soldaten…“




„Wir sind verloren,“ stöhnte Gustav und fuhr sich über die Stirn, welche der Angstschweiß bedeckte. Oldenburg hielt Flemming’s andern Arm krampfhaft fest und horchte.

Sie standen in einer Parterrestube, deren vergittertes Fenster auf das benachbarte Grundstück ging. Sie stieß unmittelbar an die Räume, wo die Pressen standen, und diente am Tage als Bureau. Es roch darin noch nach dem Dunst der ausgelöschten Lampe, denn Oldenburg hatte vor wenigen Minuten erst das Zimmer verlassen. Die oberen Räume des Hauses wurden vom Herrn Adler bewohnt; aber sie waren verschlossen, da der Druckereibesitzer in jener verhängnißvollen Nacht beim Bürgermeister weilte. So blieb den Bedrohten das erwähnte Hinterstübchen als einziger Zufluchtsort. Konnte die massive Thür dem wüthenden Andrang nicht widerstehen, wie leicht dann waren die Eingänge zur Werkstätte, zum Redactionszimmer erbrochen! Und was vermochten zwei waffenlose Männer dieser Menge gegenüber, welche, aller Besinnung bar, Todfeinde und Verräther in ihnen erblickte? Oldenburg’s kühner Angriff hatte sie überrascht, aber jetzt war sie um das Zehnfache gewachsen.

Aehnliche trostlose Gedanken bewegten Gustav sowohl, als Oldenburg, während das Geräusch von Stimmen, Stößen und Steinwürfen zu ihnen drang. „Mein Gott! mein Gott!“ stammelte der Erstere einige Male, wie im Versuch, zu beten; der Andere dagegen erschien gefaßter.

Und jetzt kracht die Thür, und durch das Aufjauchzen der Stürmenden hören die Bedrängten einen Thürhaspen in den Flur poltern. Gustav schlägt beide Hände über das Gesicht. „Jetzt!“ sagt Oldenburg mit dumpfer Stimme …

Doch der zweite, entscheidende Stoß erfolgte nicht. Zwar dauert das Geschrei draußen fort, aber hindurch schallt deutlich jetzt und nah, ganz nah das Wirbeln von Trommeln.

Hochauf schlug bei diesem Ton Gustav’s Herz. „Gerettet!“ rief er in wahnsinniger Freude. Oldenburg riß die Zimmerthür, auf – „Ja, Trommeln und Commandoruf!“

„Militär ist da!“ jauchzte der junge Flemming. „Man hat den Pöbel umzingelt. Ha, wie sie aufheulen vor Angst und Wuth!“ Er war in solcher Aufregung über die plötzliche Wendung, daß er mit den Füßen stampfte, die Arme in die Luft warf und, als ob er den Soldaten draußen commandirte, die Bajonnete zu fällen befahl. „Horchen Sie!“ rief er dann wieder. „Die Thür ist frei! Unsere Feinde werden angegriffen … “

„Oder greifen an,“ murmelte Oldenburg, der jetzt zum ersten Mal zitterte.

„Fällt die Bajonnete! Schießt sie nieder!“ schrie Gustav, aber Jener schüttelte ihn am Arm und sagte zornig, daß er schweigen sollte. Ob es ihm nicht genüge, gerettet zu sein? Und als Gustav verwundert ein Aber – begann, wiederholte Oldenburg geradezu gebieterisch, daß keine Ursache zu jubeln sei. Darauf schwiegen und lauschten sie wieder.

Im Geschrei der Rotte und Trommelrasseln unterschieden sie deutlich das Wogen und Drängen von Schritten, das einem Handgemenge vorherzugehen pflegt. Jählings gipfelte sich dann das Toben und Pfeifen zum langathmigen Aufschrei, welcher mehr dem Schlachtruf von Dämonen, als von Menschen glich, und gleich darauf fiel ein Schuß …

Wenn die Kugel ihn getroffen hätte, hatte Oldenburg nicht entsetzter zurücktaumeln können…

Einen Augenblick lang Stille; das commandomaßige „Vorwärts“ einer einzelnen Stimme dann; bestürztes Hin- und Herlaufen vor dem Hause, das dem Takt soldatischer Schritte weicht. Eins, zwei! - - das Geräusch entfernt sich vom Hause, mehr und mehr …

Sie schlossen die Thüre auf und traten in’s Freie. Oldenburg stützte sich auf seines Begleiters Schulter, denn die Kniee schlotterten ihm. Der Platz war von den rebellischen Haufen gesäubert, auch die Trommelwirbel ertönten nur noch aus der Ferne. Ungefähr hundert Schritte von der Druckerei aber, dort, wo die Marktbuden begannen, stand ein Kreis von Männern und Frauen. Andere eilten aus den Häusern herbei, einige mit Laterne. Auch aus den Fenstern bogen sich Neugierige … Aber dies Getriebe, diese Neugierde war merkwürdig schweigsam. Als Oldenburg und Gustav in den Kreis traten, sahen sie einen Mann in Arbeitertracht auf der Erde liegen, mit ausgestreckten Armen, das Antlitz dem Sternenhimmel zugekehrt. An seiner Brust kniete ein Weib. Sie rang die Hände, blickte wild im Kreise umher und rief: „Todt! todt!“

Dies Weib war Peter’s Frau, der Mann auf dem Pflaster aber eine Leiche. - -

Der Anblick des Erschossenen erschütterte Oldenburg mehr als alle anderen Vorgänge des verhängnißvollen Tages. Er schien jeder Willensäußerung, ja, der Sprache selbst beraubt. Auch auf

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