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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

stellen will, muß das ganze Jahr hindurch gegen zwanzig gute Schläger, die den verschiedensten Vogelarten angehören, unterhalten, um dieselben dann im Herbst als sogenannte Lockvögel verwenden zu können. Damit die Vögel aber während der Zugzeit im Herbste singen, werden ihre Käfige schon Anfangs April in eine dunkle Kammer gebracht, so daß die Vögel sich unbehaglich fühlen und zu singen aufhören. Mitte August läßt man das Licht alsdann wieder zu, worauf die Vögel dann bis tief in den Herbst hinein schlagen. Als ich nach einigen Tagen zu unserem freundlichen Factor zurückkehrte, verabredeten wir, am andern Morgen einen Vogelheerd in der Nähe zu besuchen. Wir machten uns gegen vier Uhr auf den Weg, sodaß wir bei dem Heerde eben ankamen, als die Knechte des Besitzers desselben die Lockvögel in großen, eigens für diesen Zweck bestimmten Körben herbeitrugen. Es war noch völlig dunkel, und ein kalter Ostwind fegte über die kahle Hochebene, auf welcher wir uns befanden. Wir gingen deshalb in die jedem Vogelheerde nothwendige kleine Hütte, welche eine Moosbank und einen Kochheerd enthielt, auf welchem der eine Knecht auch sofort ein Feuer anzündete, das nicht nur die nöthige Wärme in der Hütte verbreiten, sondern auch zur Bereitung des Kaffees dienen sollte. Draußen wurden unterdessen beim Schein einer Laterne die kleinen Käfige der Lockvögel an den den eigentlichen Heerd ringsum umstehenden „Krakeln“ aufgehängt. Diese Krakeln sind entweder lange Stangen, in welchen etliche grüne Zweige als Scheinäste befestigt sind, oder sie werden von natürlichen Fichten gebildet, denen man jedoch die Aeste bis fast hinauf zum obersten Wipfel abgeschnitten hat, damit die herbeigelockten Vögel nicht viel Raum zum Niedersetzen finden, sondern vielmehr genöthigt sind, auf den Heerd aufzufallen. Der Heerd selbst besteht aus einem sechs bis acht Fuß breiten, vierzehn bis sechszehn Fuß langen und zwei bis drei Fuß hohen horizontalen Erdaufwurf. Auf demselben werden Wachholderbüsche und Vogelbeeräste herumgelegt, verschiedene Sorten Vogelfutter ausgestreut, und zuletzt die sogenannten Läufer an ihren Kettchen befestigt. Das Heerdtuch endlich, aus starkem Bindfaden filetmäßig gestrickt und schon in früherer Zeit mit zwei bis drei Karolin bezahlt, wird in der Weise um den Heerd herum ausgebreitet, daß durch einen raschen, festen Zug an einem Seile, welches durch eine kleine Oeffnung bis in die Hütte reicht, sofort sämmtliche Vögel zu Gefangenen gemacht werden, die im Augenblicke des „Rückens“ sich auf dem Heerde befinden.

Inzwischen war der Besitzer des Heerdes selbst angekommen. Er besichtigte die sämmtlichen Vorrichtungen, und nachdem er Alles in Ordnung gefunden hatte und in die Hütte wieder eingetreten war, befahl er, ihm das Rückseil durch die fragliche Oeffnung in die Hütte zuzureichen. Die Morgendämmerung begann; einzelne Sterne fingen schon an zu erbleichen. Jetzt wurden wir gebeten, die größte Stille zu beobachten. Der Vogelsteller nahm seine kleine messingene Locke vor den Mund und spähte wie wir durch eine kleine Oeffnung, die einen Blick von der Hütte aus über den Vogelheerd gestattete. Da mit einem Male wurde es draußen lebendig: das Morgenconcert der Lockvögel begann. Das war ein Wettgesang, wie ich ihn noch nie gehört, ein Schmettern und ein Pfeifen, ein Jubiliren und Frohlocken in die Stille der Morgendämmerung hinein, daß man sich plötzlich in den Frühling versetzt glaubte. Der Vogelsteller fing jetzt an, lauter und lauter zu locken; ein großer Schwarm Quäker kam näher geflogen und nahm seine Richtung nach dem Heerde zu; plötzlich fiel ein Schwarm von mehr als vierzig Stück auf den Heerd auf, andere herbeigeflogene Vögel nahmen auf den Krakeln Platz, und nun galt es, auch diese noch auf den Heerd zu locken. Bald da, bald dort verließ ein Vogel seinen Krakel, um die tückische Luft auf dem Heerde zu theilen. Schnell ein gewaltiger Ruck – und das rings um den Heerd ausgebreitete Garn schnellte in die Höhe, die Vögel waren gefangen. Nun ging es an ein grausames Morden der harmlosen Thiere, daß mir die Lust in der That verging, noch länger diesem Schauspiele zuzusehen. Nachdem die Beute in einem Sacke geborgen war, wurde von Neuem gestellt, wiederum gelockt und, sobald sich eine größere Anzahl Vögel auf dem Heerde niedergelassen hatte, gerückt etc. Mitunter verstummen die Lockvögel plötzlich, dann ist stets ein Raubvogel in der Nähe, der weggeschossen oder doch wenigstens vertrieben werden muß, wenn die Lockvögel ihren Gesang wieder beginnen sollen.

Auf dem Heimwege konnte ich nicht umhin, meinem Begleiter zu bemerken, daß unter den Lockvögeln auf dem Heerde doch ganz vorzügliche Schläger gewesen seien. „Glauben Sie dies nicht, lieber Herr!“ sagte er, „erst müssen Sie einmal im Frühjahr zu mir kommen, um meine Vögel zu hören; dann wird Ihr Urtheil anders lauten.“

„Und hat der Mann auch immer Absatz für die vielen Vögel, welche er jeden Morgen fängt?“ fragte ich weiter.

„Meistens doch,“ wurde mir entgegnet, „außerdem werden die Vögel gebrüht, gerupft und eingepökelt!“

Ihr lieben gefiederten Sänger des Waldes – eingepökelt in Fässern!

„Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau!“ sagte ich beim Abschied.

„Sie meinen meine Schwester, lieber Herr. Ich habe nie eine Frau gehabt!“

„Und wie kommt das, da Sie doch ohnedies so klösterlich einsam wohnen?“

„Das ist wohl wahr,“ entgegnete mein Begleiter, „aber wer konnte wissen, ob die Frau, wenn ich geheirathet hätte, die Liebe zu meinen Vögeln billigen würde, und ohne meine Vögel kann ich ja doch nicht leben!!

„So grüßen Sie mir die Schwester und Ihre Vögel dazu,“ antwortete ich, „bis ich im Frühjahr wiederkehren und Ihre Schläger bewundern werde.“ Und mit einem herzlichen Händedruck schieden wir von einander.

August Topf. 




Land und Leute.

Nr. 18. Der fahrende Krautschneider.

Noch im Jahre 1846 durfte Herr Ludwig Steub, der geistvolle Reisende nach Tirol und in’s bairische Gebirge, ohne ernstlichen Einwurf zu gewärtigen, behaupten: „In’s Montavon gerathen nur wenig Reisende.“ Wohl hat sich seit jener Zeit in dem stillen Hochthale, das mächtige Bergzüge der rhätischen Alpen ein- und abschließen, Vieles zum Bessern gewendet, und auch Reisende verschiedenster Gattung gerathen nun von Jahr zu Jahr in ansehnlicher Menge in’s Montavon. Dennoch aber dürfte es noch gar Viele weiter draußen im deutschen Reiche und auch manche Leser der Gartenlaube geben, deren geographische Begriffe hinsichtlich dieses Montavon einigermaßen unbestimmter Natur sind. Wir wollen ihnen also für’s Erste sagen, daß das Montavon zum Lande Vorarlberg gehört, welches man seit den achtziger Jahren zur Grafschaft Tirol geschlagen hat, von dem es der Arberg scheidet. Es ist ein herrlich Stück Erde, unser Montavon. Reichbevölkert und fleißig bebaut, dehnt sich die liebliche Landschaft, durch welche die Ill ihre silbernen Wasser spült, zu geräumiger Weite aus; rundum steht das Mittelgebirge mit Gebüsch und Laubwald, mit Häusern und Kapellen, und darüber schauen die beschneiten Zacken des hohen Rhätikon in stiller Majestät in das grüne Thal hernieder. Die Bevölkerung hat unverkennbar unterschiedliche Tropfen romanischen Bluts in ihren Adern; das bekunden die tiefe Färbung, das starke Incarnat, die großen leuchtenden Augen, die vollen hochrothen Lippen der Montavonerinnen, mit deren reizvollen Zügen seitdem dieser und jener Münchner Kunstzögling seine Skizzenbücher gesckmückt hat.

Der Vorarlberger ist ein wanderlustiger Mensch, der Montavoner aber der wanderlustigste; fast ein Drittel der Thalbewohner (etwa neuntausend) geht jährlich in mehrerlei Gestalten in’s Ausland. Etwa um Lichtmeß machen sich die Maurer und Gypser auf die Beine und ziehen nach Frankreich und in die wälsche Schweiz, um den reichen Galliern und Helvetiern ihre Paläste zu bauen. Ihnen folgen, sobald der Schnee geschmolzen, zahlreiche Haufen von Jungen, welche auf die großen Verdingstätten von Ravensburg und Leutkirch in Württemberg oder nach andern Orten jener Gegend wandern, wo von Lichtmeß an von den Bauern weitumher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_794.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)