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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nichts bekamen. Jeder Vogel hatte im Bauer sein selbstgewähltes, bestimmtes Plätzchen, und zwar meist auf den Stangen des Bauers, welches unser Vogelkundige auch selbst dann noch und zwar an der Losung zu erkennen glaubte, wenn die Vögel auf einige Zeit im Bauer herumflogen oder sonst wie promenirten oder sich nachbarliche Besuche abstatteten oder in eine Fehde verwickelt waren oder Vesper und dergl. hielten. Einige, wie z. B. die Grasmücken, die Rothkehlchen und die Amseln, lieben ein dunkles Plätzchen; andere, wie die Finken, Zeisige und namentlich die Meisen, sind weniger lichtscheu. Die unruhigsten Gesellen unter der Bevölkerung des großen Bauers waren die Meisen, die, von einer unwiderstehlichen Neugierde und Spiel- und Zanksucht getrieben, fast fortwährend hin und herfliegen oder hüpfen. Aeußerst lebhaft sind auch die Rothkehlchen, während die Dompfaffen, solange als es nicht zum Essen geht, sich als die Faulsten und Trägsten erweisen. Die Finkmeisen sind äußerst streitsüchtig, und der Zeisig macht sich als ein naseweiser und sehr gefräßiger Bursch bemerklich.

Im ersten Augenblicke war ich der Meinung, das Beisammensein so vieler Vögel in einem kleinen Raume müsse einen übelen Geruch in dem Zimmer erzeugen. Es war dies jedoch durchaus nicht der Fall. Unser Vogelmäcen gab uns auch darüber die gewünschte Auskunft. „Reinlichkeit,“ sagte er, „ist auch bei den Stubenvögeln ein Haupterforderniß, um sie recht lange munter und frisch zu erhalten. Aus diesem Grunde wird die Losung der Vögel täglich zwei Mal und zwar stets vor dem Füttern entfernt. Reines, frisches Wasser muß ebenfalls täglich mindestens zwei Mal gegeben werden. Das Futter selbst, aus griesiger Weizenkleie, gekochten Erdäpfeln und Milch bestehend, soll man jeden Tag frisch anmachen und alsdann an einem kühlen Orte aufbewahren, um das Säuern zu verhüten. Manche Vögel, z. B. die Amseln, Drosseln etc., ziehen zwar das bereits in Säure eingetretene dem frischen Futter vor; man darf indessen hierin nicht nachgeben. Als „hartes Futter“ dienen Rübsen, Canariensamen und gekochter Hanf; der letztere muß jedoch nach dem Kochen schnell an der Sonne oder auf dem Ofen getrocknet werden. Es ist sehr anzurathen, solchen Vögeln, welche, wie die Finken, Quäker, Stieglitze, Hänflinge etc., das sogenannte harte Futter dem weichen vorziehen, zuweilen nur weiches zu reichen, weil man dadurch die Lebenszeit der Vögel verlängert. Ameiseneier und Mehlwürmer dürfen nicht im Uebermaß gespendet werden, da dieselben sonst leicht ihre gute Eigenschaft, zum Singen anzureizen, verlieren.“ Als ein vorzüglich gutes Recept für Vogelkost, die ebenfalls zum Singen vielen Anreiz gäbe, empfahl unser Vogelfreund Folgendes: Man siede mehrere Eier, schneide sie in Stücke, trockene diese und gebe alsdann täglich Morgens jedem Vogel ein Stückchen, nachdem über dasselbe siedende Milch gegossen worden ist. Beinahe alle Vögel fressen das Ei gern. Je nach der Jahreszeit verabreicht unser Löffelfactor seinen Lieblingen auch etwas Grünes, z. B. Salat, Knöterich („Hühnerscherbel“), Sauerampfer, Hollunderbeeren etc. Die Hänflinge fressen den Wegebreitsamen gern.

Bei dieser sorgfältigen Abwartung der kleinen Thiere ist es wohl kein Wunder, wenn unser Vogelfreund auch ganz besondere Resultate erzielt hat. Matthias Bechstein, der große Kenner unserer Stubenvögel, sagt irgendwo, daß man eine welsche Grasmücke kaum länger als vier Jahre in der Stube fortbringen könne; der mich begleitende Revierförster bezeugte aber unserem Factor, daß derselbe eine welsche Grasmücke bereits seit funfzehn Jahren besitze, die jetzt noch ganz wacker sänge. Ebendasselbe Thierchen hatte sich vor sechs Jahren während der Flugzeit, in welcher die Vögel Nachts bekanntlich im Vogelbauer sehr unruhig werden, die Flügelfedern ausgestoßen, so daß ihm seit dieser Zeit ein besonderer Bauer zur Wohnung gegeben werden mußte.

Auch als Wetterpropheten gelten unserem Vogelfreunde seine gefiederten Sänger. Wenn nämlich regnerisches Wetter im Anzuge ist, so verwandelt sich der Gesang der Vögel in ein unangenehmes eintöniges „Pfletschen“. Höchst ausgebildet ist ferner der Instinct, mit welchem die Stubensingvögel die Nähe eines Raubvogels draußen im Freien wittern. In einem solchen Falle verstummt natürlich der Gesang ebenfalls, und die Vögel selber machen lange Hälse, die Augen scharf nach den Fenstern des Zimmers gerichtet, bis der böse Geselle die Gegend wieder verlassen hat oder von dem Schirmherrn der geängsteten kleinen Gesellschaft mit dem stets bereit gehaltenen Gewehre erlegt ist.

Anfangs Februar fangen die meisten Vögel zu singen an, und im Mai ist das ganze Orchester besetzt, bis dann Anfangs Juli die Saison zu Ende geht. Das Morgenconcert, von den melancholischen Tönen des Rothkehlchens eingeleitet, beginnt schon während der Dämmerung. Nach der Mauserzeit, welche in den ersten Wochen des August ihren Anfang nimmt und sechs Wochen währt, singen viele Vögel noch einige Wochen zum zweiten Male. Es wurde uns auch erzählt, daß nicht selten einzelne Vögel Nachts, namentlich bei Mondenschein, im Traume zu singen anfangen. Die sogenannten Nachtschläger, wie z. B. die Haide- und die Nachtlerche, die schwarzköpfige Grasmücke oder der Meiselmönch, der Steinklitscher, die Wachtel etc., beginnen ihren Gesang einen Tag wie den andern immer zu derselben Stunde. Auch „gelernte“ Vögel bekamen wir zu sehen und theilweise auch zu hören. Es wurde uns mitgetheilt, daß es am besten sei, nur solche Vögel etwas zu lehren, welche man ganz jung, d. h. vor dem neunten Tage und also noch im Zustande der Blindheit, dem Neste entnommen habe. Die zum Lernen bestimmten Vögel werden in mit Tüchern verhängte Käfige gethan. Den Schwarzamseln bläst man auf der Flöte Melodieen in A- oder D-Dur vor. Die Orgeln, deren man sich beim Lernen wohl auch bedient, enthalten meist unreine Töne; deshalb ist es besser, eine und dieselbe Melodie mit dem Munde vorzupfeifen, was denn auch meist geschieht. Für die Gimpel oder Dompfaffen muß die Lehrstunde auf den Abend verlegt werden, wenn draußen im Freien mit der einbrechenden Dunkelheit auch vollkommene Stille und Ruhe eintritt. Ein Gimpel, welcher auch nur einige kleine Melodieen pfeift, wird nicht selten mit zehn bis fünfzehn Gulden rheinisch bezahlt.

Wie nicht selten ein junger Canarienvogel dadurch „gelernt“ wird, daß man ihn in die Nähe eines anderen Canarienvogels bringt, welcher ein guter Schläger ist, so geschieht dies auch bei den Finken. Gerade bei der Schätzung des Finkenschlages gelten die feinsten Rücksichten. Unser Stubenornitholog erzählte uns, daß in seiner Gegend noch einzelne gute Reitzugschläger, auch Reitpatscher und Reithähne angetroffen würden; in entfernteren Gegenden habe er einen Quetschiger, einen Hochzeitgebier und einen Wirzgebier „gestochen“, welche letzteren häufig mit fünf bis acht Gulden gekauft werden. Auch die Grünlinge lernen von anderen Vögeln und namentlich von den Finken. Auf die Spottvögel aber, welche erst Mitte Mai in den Frankenwald kommen und die Stimmen anderer Vögel gleichsam scherzend nachahmen, war unser Factor nicht gut zu sprechen. „Sie vertreiben,“ sagte er, „nicht nur die Grasmücken, sondern stören auch den Gesang anderer guter Schläger.“

„Und woran erkennen Sie denn,“ fragte ich weiter, „ob ein Vogel ein Hahn oder eine Sie ist?“ „Nur in wenigen Fällen,“ entgegnete unser Factor, „kann man sich irren. So ist der Hahn bei den Schwarzamseln bekanntlich ganz schwarz, die Henne aber rothbrann; bei den Finken zeigt der Hahn eine rothe, die Sie eine graue Brust, zudem hat der Hahn auch einen blauen Kopf. Die Hähne der Gimpel zeichnen sich durch rothe, die Hennen aber durch aschgraue Brust aus. Der männliche Zeisig ist gelb und hat einen schwarzen Kopf, während der weibliche grau und nur auf der Brust mit Blaßgelb vermischt ist. Bei den Nachtigallen fehlt ein untrügliches Unterscheidungszeichen der Geschlechter, dagegen hat das Männchen der Waldgrasmücke einen schwarzen, das Weibchen aber einen rothbraunen Kopf. Nur in der Brutzeit giebt’s ein untrügliches Kennzeichen für fast alle Vögel. Wird z. B. ein Rothkehlchen oder eine Feldlerche während der angegebenen Zeit vom Neste weggefangen, so ist das Männchen auf der Schärfe der Brust mit Flaumfedern bedeckt, während das Weibchen an derselben Stelle nackend ist. Es mag dies daher kommen, daß die Sie in der fraglichen Periode fortwährend sitzt, wodurch die zarten Flaumfedern verloren gehen. Bei vielen Vögeln, wie z. B. bei den Rothkehlchen und den Heidelerchen, ist das Weibchen übrigens von Gefieder viel schöner als das Männchen.“

Die Zeit und die Arbeit und selbst den Aufwand, welchen die Abwägung und die Unterhaltung seiner kleinen gefiederten Wesen erfordere, schlug der Mann nicht hoch an. Er meinte, daß man das wöchentliche Kostgeld eines Vogels durchschnittlich mit einem Kreuzer berechnen könne, sodaß sich für seine dreißig Vögel jährlich die Summe von sechsundzwanzig Gulden rheinisch ergäbe. Für einen echten Vogelliebhaber sei dies aber gar kein Geld. Er habe schon Grasmücken gezogen, für welche er je einen Louisdor habe lösen können. Ein guter Schläger sei ihm aber niemals feil

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