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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

und Elemente gekreuzt haben; sie hat das Auge der Morgenländerin und das Haar des germanischen Nordens, das goldene, lange, weiche, reiche Haar, welches wie ein ausgeworfenes Netz ist. Sie hat die schlanke biegsame Gestalt der Griechin und sie hat ein Lächeln, das keiner Nation – das nur ihr allein angehört. In Leben und Haus des General-Consuls ist durch diese Frau ein feiner, poetischer Zug gekommen.

Das war der Freund, der mich am Bahnhof empfing, als ich in Hamburg ankam. Er hielt da mit seiner schönen Equipage und seinen schönen Pferden, und ihn, seinen Wagen und seine Pferde zu sehen, war in der That ein großes Vergnügen für mich. Gar behaglich saß ich an der Seite meines Freundes in seinem wohlgepolsterten Wagen, den zwei prächtige Braune zogen. Da flogen wir durch die gedrängten Straßen und menschenbelebten Märkte und Plätze, bis wir zuletzt an dem Alsterbassin Halt machten. Es war Nachmittag, spät gegen fünf Uhr, und ein herrlicher Nachmittag war es, voll von jener goldenen Herbstpracht, von jenem sanften Blau, von jener leuchtenden Klarheit und Flüssigkeit der Farben, die nur dem Norden eigen ist und nirgends schöner sein kann, als in Hamburg. Ich weiß wohl, daß Hamburg in Regen kein wünschenswerther Aufenthalt ist; aber Hamburg in Sonne, in Herbstabendsonne ist gar prächtig, es ist beinah wie es im Gedichte von Thomas Moore heißt: „Scheint selten auch die Sonne hier – ’s ist Himmelsglanz, wenn sie hier scheint!“

Am Rande des Alsterbassins bestiegen wir eine von den kleinen Dampfgondeln, die hier zum Gebrauch und Vergnügen von Einheimischen und Fremden die breite Wasserfläche unaufhörlich kreuzen. Allerliebste Dinger sind es, diese Kähne, welche Schlot und Maschine haben, wie das größte Dampfschiff, und kleine Cajüten mit kleinen Stühlen von grünem oder rothem Sammet und kleinen Spiegeln in goldenen Rahmen. Und ein kleines Verdeck ist da, wo man auf kleinen Bänken gar angenehm sitzt, während die Schraube im Wasser arbeitet und das kleine Ding mit Schornstein, Mast und alledem pfeifend unter einer Brücke oder der andern durchfährt. Plaudernd saßen wir da, und zu dem traulichen Dampf einer Manilla (es sind veritable Manillas und mein Freund importirt sie selber) erzählte er mir unterwegs, daß ich auch seine Schwägerin und seinen künftigen Schwager in seiner Villa kennen lernen würde. Ich wußte gar nicht, daß mein Freund so bald einen Schwager haben würde; die Sache war auch noch ganz neu. Die Schwester seiner Gemahlin, sagte er mir, habe schon längere Zeit die Bekanntschaft eines wackern Soldaten, eines Oberlieutenants gemacht, dessen Regiment in der Seestadt an der Adria lag, wo ihre Eltern wohnen. Die jungen Leute hatten sich in den Gesellschaften gesehen; sie hatten beim Gouverneur und auf den Carnevalsbällen mit einander getanzt und hatten eine Neigung für einander empfunden, die immer tiefer ward und zuletzt auch den Eltern nicht verborgen bleiben konnte. Diese jedoch hätten sie lieber unterdrückt gesehen, wenn es nur möglich gewesen wäre. Denn das Loos eines Oberlieutenants in k. k. österreichischen Diensten gehört nicht zu den glänzendsten dieser Welt; und wenn auch Signorina Virginia (so hieß die Schwester der Frau General-Consul) ein sehr reiches Mädchen war, welches jeden Mann, dem sie sich vermählt, in doppeltem Sinne beglückt haben würde, so hätten die Eltern ihr bei einer solchen Wahl doch wenigstens Rang und Stellung, wenn keine anderen Güter, gewünscht. Und da war gar keine Aussicht auf Avancement. Ja, wenn’s nur in Italien hätte losgehen wollen! Da standen immerfort schwere Gewitterwolken über Venedig und Rom, aber die Diplomatie intervenirte immer als guter Blitzableiter; da war kein tüchtiger Schlag zu erwarten, und die Hoffnungen zweier liebenden Herzen auf die Lösung der italienischen Frage zu vertrösten, wäre doch gar zu grausam gewesen. Da explodirte die Gewitterwolke an einem ganz andern Punkte des Horizontes: im Norden von Deutschland, in Schleswig-Holstein; der Krieg brach aus. Das Regiment, in welchem der Oberlieutenant Paul von K. stand, wurde mobil gemacht, bekam Ordre, mußte marschiren.

Wer schildert den Zustand der Liebenden, welcher zwischen dem Schmerz der ersten Trennung und der Aussicht auf das Glück der Waffen getheilt war?

Der Oberlieutenant, bevor er Abschied nahm, entdeckte sich den Eltern Virginia’s, d. h. er machte sie officiell mit dem bekannt, was sie schon längst wußten. Er hielt um die Hand ihrer Tochter an, für den Fall, daß Fortuna seine Werbung begünstige. Man nahm seinen Antrag mit Unentschiedenheit auf; man wies ihn nicht ab, aber man gab ihm auch keine bestimmte Zusage. Aber fröhlich, daß er hoffen dürfe, reiste er ab zur Armee, und der Göttin, die auf einer Kugel steht, überließ er das Weitere.

Und eine Kugel traf ihn, riß ihn hin, mitten in der Hitze des Gefechts von Oeversee. Aber das Mißgeschick im Kriege ist oft der Krieger bestes Glück. Er hatte sich so sehr ausgezeichnet vor dem Feinde und war durch That und Beispiel so behülflich gewesen bei der glorreichen Entscheidung des Tages, daß der Höchstcommandirende auf dem Schlachtfelde selber ihn, vorbehaltlich der kaiserlichen Genehmigung, zum Hauptmann machte und daß das Patent, welches diese Rangerhöhung bestätigte, mit der ersten Avancementsliste von Wien zusammen mit dem Orden der eisernen Krone für den Blessirten ankam.

Er war von einem Streifschuß in den Schenkel getroffen worden und lag wochenlang im Feldlazareth. Die Kunde seines ruhmreichen Betragens blieb nicht verborgen, und die österreichischen Blätter trugen sie auch nach dem Hafenplatz der Adria und der Casa di S., in welcher Virginia’s Eltern wohnten. Eine directe Correspondenz war den Liebenden nämlich von diesen verboten worden. So las denn Virginia zuerst in der „Wiener Zeitung“ von des Geliebten Heldenthat und gefährlicher Verwundung. Nun schrieb sie an die Schwester nach Hamburg, die sie schon früher in ihr Vertrauen eingeweiht und die demgemäß die Bekanntschaft des jungen Officiers bereits bei seinem Durchmarsch durch Hamburg gemacht hatte. Die Augen einer Schwester pflegen in solchen Fällen entscheidend zu sein. Nachdem sie den jungen Officier gesehen, billigte sie die Wahl Virginia’s vollkommen und gelobte sich, den beiden Liebenden an das erwünschte Ziel zu verhelfen. Auch ihren Gemahl, den Generalkonsul, der eine gewichtige Stimme im Familienconcil besaß, wußte sie für die Sache zu interessiren, und als sie nun den oben erwähnten Brief Virginia’s erhielt, meinte sie, jetzt sei es Zeit, Etwas für die Beiden zu thun. „Er ist jetzt Hauptmann,“ sagte sie, „und Ritter der eisernen Krone; er hat um Virginia’s Liebe und Besitz wie ein tapfrer Mann gekämpft und er hat sie ehrlich verdient.“

Auf das Betreiben seiner Gemahlin reiste hierauf der General-Consul in das österreichische Hauptquartier, um den Leidenden aufzusuchen. Er fand ihn in einem sehr beklagenswerthen Zustande; denn weder im Krieg noch im Frieden gewinnt man Ruhm und Auszeichnung, wenn man nicht zu jedem Opfer bereit ist. Das wußte wohl Niemand besser, als der General-Consul selber, obwohl er die Erfahrung in anderer Weise gemacht; und darum faßte er gleich eine entschiedene Sympathie für den Kranken, dem es im Lazareth zwar nicht an der Sorgfalt und Pflege, wie man sie im Felde haben kann, fehlte, der aber, getrennt von seiner Geliebten, ohne Nachricht, ohne Kunde, ohne Zuspruch von ihr, einen doppelten Schmerz litt. Der General-Consul lud nun den jungen Hauptmann ein, die Tage seiner vollständigen Wiederherstellung in seiner Villa zu erwarten, und nach eingeholtem Urlaub folgte ihm derselbe dahin. Durch die Vermittelung des General-Consuls hatten endlich auch, nach längerem Widerstreben, Virginia’s Eltern ihre Einwilligung zur Verlobung ihrer Tochter mit dem Hauptmann von K. gegeben, und seit Mitte August war die glückselige Braut auch nach Hamburg gekommen, um den geliebten Kranken zu pflegen und mit ihm unablässig von einer schönen und rosigen Zukunft zu plaudern.

Das war es, was mir mein Freund, der General-Consul, erzählte, während die kleine Dampfgondel das Wasser durchfurchte und nun zuletzt an dem Landungsplatz des Uhlenhorst anlegte, von welchem man in wenigen Minuten zu der Villa J. gelangt.

Diese Villa liegt ganz wundervoll. Sie ist von einem Parke umschlossen, mit so viel dunklen, alten Bäumen, Ulmen, Linden und Pappeln, als ob es ein Wald wäre. Da rauscht und säuselt es immer, und über den blauen Spiegel des Alsterbassins hin hat man die Fernsicht auf die prächtigen Häuserreihen, welche den Rand der Binnenalster decoriren. Das ist wie ein Bild. Wenn der blaue, feine Duft eines Herbstnachmittages darauf ruht, mit einem Sonnenblick, mit einem silbernen Segel auf dem Wasser, mit einem Gartenbosquet am Lande hier und da: so könnte man glauben, das Alles sei nur wie ein Märchen da heraufgezaubert und könne, wie ein Märchen, auch wieder versinken.

Durch das massive Thor traten wir nun in den Park, und indem wir die breite Kastanienallee hinaufschauten, welche mit dem

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