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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

wohl, geliebtes Wien!“ Nur noch der alte, ehrwürdige Dom von St. Stephan ist sichtbar und erglänzt in den Strahlen der Sonne, endlich versinkt auch er, die Häuser sind verschwunden. Die Kutschen rollen auf der Landstraße hin. „Ich werde Wien nie wieder sehen,“ spricht Maria Antoinette ruhig und mit Resignation. Dann schreit sie laut: „Maria Theresia! Maria Theresia!“ und sinkt ermattet in die Kissen des Wagens.




Glänzend begann die neue Laufbahn der Kaiserstochter. Ihr Empfang von der Grenze Frankreichs an bis zur Hauptstadt war eine Kette von Huldigungen, von Triumphen. „Unsere Dauphine“, „der Engel“, „die schöne Maria“, so tönte es von allen Seiten.

Aber inmitten der Freude, aus dem rosigen Nebel, den das Glück um die Sinne Aller ziehen läßt, ragen die Gestalten schon hervor, die einst das irdische Heil Maria Antoinette’s vernichten helfen sollen. Dicht neben ihrem Gatten empfängt sie der alte Ludwig der Fünfzehnte. Die reine, keusche Dauphine liegt in den Armen des Mannes, dessen Laster den Sturz seines Geschlechtes veranlaßten. Dieser Mann fühlt sich beschämt beim Anblick der schuldlosen Jugend Maria Antoinette’s. Dessenungeachtet läßt er seine Maitresse, die Gräfin Dubarry, an einem Tische mit der Tochter Maria Theresia’s speisen! Der Pavillon, in welchem die Neuvermählte zuerst absteigt, ist mit Tapeten behängt. Ein Schauer läuft über den Nacken der Dauphine, als sie die Darstellungen betrachtet: Jason, Kreusa und Medea, das Prototyp unglücklicher Ehen, die Darstellungen des Kindesmordes und hoch über diesen Schauergemälden die Furien in einem Wagen von Drachen gezogen. Das sind die Zierden der Wände des Gemaches, darin Maria Antoinette nach langer Fahrt, nach aufregenden Scenen ausruhen soll.

Straßburg! Gottesdienst in der Kathedrale! vor den Pforten des mächtigen Tempels empfängt die Geistlichkeit, in Pontificalibus, die neue, zukünftige Gebieterin. Beim Aussteigen aus dem Wagen bietet ein schöner, hochgewachsener Mann seine mit kostbaren Ringen bedeckte Hand der Dauphine, um ihr beim Aussteigen behülflich zu sein. Dieser Mann in reicher, prachtvoller Priesterkleidung, in dessen Hand Maria Antoinette die ihrige legte, war Louis de Rohan, Coadjutor, später Cardinal, der unglückliche oder unbesonnene Anstifter des entsetzlichen Handels, der bekannt ist in den Annalen jener Zeit unter den Namen der Halsbandgeschichte.

Keine Wolke zieht über den heiteren Himmel des jungen Ehelebens. Die Scheu, die Zurückhaltung des Gatten weichen bald der zärtlichsten Liebe. Harmlose Freuden in geselligem Kreise, endlich der Einzug in Paris. Zahllose Freudenfeste. Da – steigt die Wolke empor. Ein Feuerwerk zu Ehren des jungen Herrscherpaares. Schlechte Anordnungen bringen einen gewaltigen Tumult hervor, die Menge der Zuschauer drängt sich durcheinander, zerquetscht, zertreten von den Hufen scheuer Pferde, zieht man Hunderte von Leichen aus den wirren Menschenknäueln hervor. Schon bemächtigt sich die Bosheit dieses Ereignisses. Spottlieder tönen überall. Die Feinde der Dauphine regen sich, denn Tugend, Unschuld und Schönheit haben überall ihre Feinde. Die bösartigsten derselben sind im Schooße ihrer eigenen Familie zu finden. Im Finstern schleichen die Intriguen. Jeder Schritt der Dauphine wird mißdeutet, ihr herzliches Lachen ist Frivolität, ihr emsiges Wohlthun Prahlerei, ihr heiterer Scherz Unanständigkeit. Spricht sie freundlich mit einem Cavaliere, so ahnt man verbrecherischen Umgang; ist sie zurückhaltend, so verschreit man sie als stolz. Sie heißt nicht mehr die „schöne Dauphine“, sie heißt die „Rothe“; Frau von Dubarry hat sie so getauft. Der alte König stirbt. Die jungen Herrscher besteigen den Thron. Immer zahlreicher werden die Feinde. Die Krone, welche der König sich zu Rheims auf das Haupt setzt, schneidet einen blutigen Streif in seine Stirne. „Sie drückt mich,“ ruft der König voll Angst. Die Königin Maria Antoinette erbleicht. „Wir sind zu jung, zu regieren. Beten Sie für Ihre unglücklichen Kinder,“ schreibt sie an Maria Theresia.

Wohl drückte diese Krone. Mit ihrer Last stürzte das Unglück des Lebens über die königliche Familie gleich rasenden Wogen her. Das Deficit im Staatshaushalte, die Hungersnoth, zerrüttetes Ansehen, Frivolität im Innern unter den oberen Schichten der Gesellschaft, die Hochzeit des Figaro, die Halsbandgeschichte, der Zusammentritt der Notabeln, Mirabeau, der Sturm der Bastille.

Immer dunkler wird der Himmel. Persönliche Angriffe gegen die Königin werden häufiger. Wo ist die Benennung „himmlische Dauphine“ – „Engel“ – geblieben? Sie heißt nur noch Madame Veto, oder die Bäckerin, oder l’Autrichienne! Allein steht sie in der Fremde. Die theure Mutter, der edle Bruder Joseph, sie sind hinübergegangen in das Land des Friedens. Der wenigen Getreuen, der wahrhaft anhänglichen Seelen werden täglich weniger. Immer mehr hebt die Revolution ihr Haupt. Flucht aus dem entfesselten Paris! Sie wird vereitelt. Von nun an ist jede Schranke gebrochen. Man stürmt die königliche Wohnung; man schleppt die Unglücklichen vor den Richterstuhl der Volksversammlung, Gefangenschaft, Kerker, endlich der Tod!




Maria Antoinette hat alle Leiden, die größten, welche ein Mensch zu ertragen vermag, durchgekostet, den Wermuthbecher bis auf die Neige geleert. Wohl schweifte der trübe Blick der Königin oftmals zurück zu den Hallen der Kaiserburg. „Welch ein Glück! welch eine Größe! welch eine Zukunft!“ so hatte man entzückt gerufen, als das Bild des Dauphins an der Brust Maria Antoinette’s funkelte. Und nun? Sie war gekommen, die schreckliche Gegenwart; dachte sie zurück an Wien, die unglücklichste aller Königinnen, als sie am Morgen des 16. Oct. 1793 den fürchterlichen Karren bestieg? zurück an den rührenden Abschied von der großen, kaiserlichen Mutter? an jene Worte, die sie ausrief in prophetischer Stimmung?

Maria Antoinette hatte Abschied nehmen gelernt. Abschied von der Mutter, von dem Glücke, von der Hoheit, von ihrem Gatten, von ihren Kindern, vom Leben. Unter allen Trennungen war ihr die letzte gewiß die leichteste.

„Lebt wohl, meine Kinder. Ich gehe zu Euerem Vater!“ das waren die letzten Worte der Dulderin, die im Schimmer der kaiserlichen Hofburg, bei dem prunkenden Einzuge in Paris, auf dem Throne Frankreichs selbst nicht größer gewesen, als in dem Augenblicke, wo sie das Schaffot bestieg, als das herniederfallende Eisen ihr Leben durchschnitt und zerriß. Sie war groß in ihrem Elende, heroisch, gewaltig; denn treu hielt zu ihrem bedrohten, dem Tode geweihten Gatten die deutsche Kaisertochter.

Am 17. April 1770 überreichte Abends um sechs Uhr im großen Saale der Burg zu Wien der Gesandte, Marquis von Durfort, der Erzherzogin Marie Antoinette ein Schreiben. Es war der in Ausdrücken des Entzückens abgefaßte Liebesbrief des Dauphins – am 16. Oct. 1793, dreiundzwanzig Jahre später, überreichte Abends sechs Uhr im Cassengebäude des Wohlfahrts-Ausschusses zu Paris ein Mann von schmutzigem Aussehen, eine rothe Jakobinermütze auf dem struppigen Haare, ein Schreiben an den Cassirer. Es war eine Rechnung. Sie lautete:

Kosten

für die Bestattung der Personen, welche, durch das Revolutions-Tribunal zum Tode verurtheilt, gerichtet worden sind.

Den 1. des Monats etc. etc.

(Folgen die Namen der Guillotinirten nebst Kosten der Bestattung.)

Den 16.:

 Die Wittwe Capet (Maria Antoinette).
 Für den Sarg 06 Livres.
 Für die Grube und die Arbeiter 25      „
Joly,
 Todtengräber von la Madelaine,
 de la ville l’Evêque.

Darunter stand:

Zweihundert vier und sechszig Livres sind an den Todtengräber de la Madelaine, Bürger Joly, für gehabte Auslagen und als Entschädigung aus der Nationalcasse zu zahlen.

Jahr II der Republik.

 Herman, Präsident.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_775.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)