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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Doch noch einen Beweis giebt es, der unumstößlich darlegt, daß eine Verminderung der Summe der Wärme des ganzen Erdballs nicht stattgefunden hat. Er ist zwar keineswegs neu, doch verdient er durch seine sinnreiche Ableitung sicher eine größere Verbreitung, als er bis jetzt haben wird. Bekanntlich dehnt die Wärme alle Körper aus, die Kälte zieht sie zusammen. Wenn ein Körper sich um seine Axe dreht, und zwar mit einer gewissen sich gleichbleibenden Kraft, so wird seine Drehung eine um so schnellere, je kleiner derselbe wird. Hätte die Temperatur der Erde abgenommen, so würde sie sich in dem Maße ihrer Abkühlung zusammengezogen, also verkleinert haben, ihre Umdrehung würde mithin schneller geworden sein. Mit unseren irdischen Uhren hätten wir das freilich nicht controlirenn können, wenn die Differenz für vierundzwanzig Stunden etwa 1/100 Secunde betrüge. Wenn wir aber außer unserem Planeten liegende Uhren benutzen, nämlich die Beobachtung der Stellung anderer Himmelskörper zu einander, wie sie uns von der Erde aus erscheint, so wird doch eine Controle möglich. Nun hat nämlich Hipparch vor etwa zweitausend Jahren die Länge des Tages nach den in gewisse unwandelbare Perioden eingeschlossen wiederkehrenden Mondfinsternissen bestimmt, zwischen denen allemal so und so viel Tage, Stunden, Minuten und Secunden verlaufen, und heute – beträgt der Zeitraum noch ebensoviel. Drehte sich aber die Erde täglich um 1/100 Secunde schneller um ihre Axe, so würde das im Verlaufe eines Jahres schon etwas über 31/2 Secunden Differenz für die vorausberechneten Finsternisse ergeben, ein Unterschied, der bei den so unendlich genauen Beobachtungsinstrumenten der Jetztzeit schon viel, viel eher bemerkbar werden müßte.

Also getrost! – so lange das Menschengeschlecht besteht, hat sich die Temperatur der Erde gewiß nicht um 1/100 Grad vermindert, und wenn einmal ein Sommer bei uns kühler ist, dann hat ihn die westliche Halbkugel der Erde desto wärmer, und ein späterer wird das Versäumte auch bei uns einholen.




Gifthandel und Gifttrinker in England. In England, wo die Mäßigkeitsvereine zu Gesellschaften für gänzliche Enthaltsamkeit von dem sich ausbildeten, was mit Feuerwasser, mit dem Hopfen des Gambrinus oder mit Vater Noah’s Weinrebe auch nur in verdünntester Stiefverwandtschaft steht, floriren bekanntlich die „Teatotaler“, d. h. totale Theetrinker, und leichtgläubige Gemüther glaubten lange, in dieser Weise wenigstens ein gutes Häuflein alter Sünder dem Verderben entrissen zu haben. Aber sie haben leider außer Augen gelassen, daß ihre Landsleute ein instinctmäßiges Talent für buchstäbliche Auslegungen haben und sich die Auslassungen im Enthaltsamkeitsgelübde bald zu Nutze machten. Bier, Wein und Feuerwasser rührten sie nicht an, aber – an Gifte, recht eigentliche Gifte, hatte der begeisterte Mäßigkeitsapostel Pater Mathew seiner Zeit freilich nicht denken können.

Auf Veranlassung der englischen Regierung hat jetzt ein Arzt, Dr. A. Taylor, an dieses fürchterliche, aber öffentliche Geheimniß gerührt und, was er entdeckt, dem Publicum vorgelegt. Beginnend mit der Angabe, daß die Mittel und Wege sich Gifte jeder Art zu verschaffen in England in unbeschränkter Anzahl vorhanden und Jedermann für drei Pence genug davon erhalten könne, um zwei ausgewachsene Leute auf stille und reinliche Weise aus der Welt zu fördern, verbreitet er sich über das in jedem Dorfe blühende Geschäft in betäubenden oder berauschenden Flüssigkeiten von tödtlicher Wirkung. Laudanum, eine Opiumtinctur, z. B. werde den Armen wie den Reichen, Alt und Jung mit unparteiischer Gleichgültigkeit von den profitliebenden Händlern credenzt. In sumpfreichen Districten des Landes prahlen die Apotheker und Quacksalber, welche sich selbst unter dem edlen Namen „Chemiker“ begreifen, damit, daß sie an jedem Sonnabend, dem Lohntage der Arbeiter, je drei- bis vierhundert Kunden mit solchem Getränk bedienen. Ein Ehemann beklagte sich Dr. Taylor gegenüber wegen der Verschwendung seiner Ehehälfte, welche seit ihrer Verheirathung gegen siebenhundert Thaler auf Mohnsaft vergeudet hätte! Händler in diesem Artikel gestanden, daß sie durchschnittlich zweihundert Pfund davon im Laufe eines Jahres loswürden. Und dies beschränke sich keineswegs auf Marschgegenden, wo Entschuldigungen hin und wieder darin gesucht werden, daß jener Saft verhütend gegen rheumatische Störungen des Nervensystems wirke! Tausende von Pfunden Opium und Laudanum werden auch jährlich selbst in Districten verkauft, wo Rheumatismus und verwandte Krankheiten unbekannt sind. Der Apotheker reiht am Sonnabend auf seinem Ladentisch zahllose auf Flaschen gezogene Giftsummen und Betäubungs-Drachmen an einander.

Die Orientalen verdammen die Flasche und die Bowle, aber sie entschädigen sich in anderer Selbstbetäubung. Und in England, wo 34,000 Menschen jährlich an den Folgen übermäßiger Trunksucht sterben, wird der sogenannte enthaltsame Theil der Bevölkerung durch Opium und Laudanum decimirt und durch gewisse verderbliche Mischungen, die unter ästhetischen Namen das Ohr täuschen und das Gehirn bestehlen. Ein anderer angesehener Arzt Englands, Johnson, sagte schon vor einem halben Menschenalter: „Bei uns fliehen die Armen vom Becher von Thon zum Kopfe voll Mohn“. Alljährlich ist der Export von Opium aus Indien und China nach England im Wachsen begriffen. Die Apotheker machen ein glänzendes Geschäft mit diesen Opiumpräparaten, ja in den Provinzen kann die Apotheke oft nur durch die Nachfrage nach Laudanum allein bestehn, versichert mein Gewährsmann.

Dr. Taylor läßt es nicht an einer erschütternden Nutzanwendung auf Morde, Todtschläge, Selbstmorde und tödtliche Unfälle fehlen. Unter letztern Kategorie und als Folge der ungehinderten Geschäfte mit Giften rechnet er die allgemein verkauften Insektengifte, die ganzen Familien von naschhaften Kindern das Leben gekostet hätten. Bleizucker, Grünspan, Zinnober sieht er in allen Ladenfenstern der Zuckerbäcker; gebe doch selbst der Arsenikhändler seinem Artikel eine schöne Farbe von Roth oder Grün, ehe er ihn dem Apotheker für dessen zierliche Büchsen ablasse. „Thörichte englische Mädchen, die davon gehört, daß steirische Bauern zwölf bis dreizehn Gran des Tages nehmen, zur Stärkung ihrer Athmungswerkzeuge, sind auf den Gedanken gekommen, sich auch zu arsenificiren, um einen schönen, reinen Teint zu erhalten.“ So lautet eine andere Stelle des Rapports an die Regierung und zählt viele Fälle von solcher Selbstvergiftung auf, über welche sich Todtenjuries die Köpfe zerbrochen. Man verwendet diese Gifte, um Bädern damit Wohlgeruch zu verleihen, Blumen zu verschönern, Briefe, Fächer, Handschuhe zu parfümiren und Riechfläschchen verführerisch zu machen – mit dem Geruch des Todes. Arsenik kommt centnerweise in den Detailhandel, Laudanum aber ist so billig geworden, daß man für einen Penny genug zum sicheren Selbstmord erstehen könnte.




Ein echtes Volksbuch. Unserer heutigen Nummer liegt die Anzeige eines Werkes bei, das sich, schon durch die Namen seiner beiden Verfasser, ganz von selbst empfiehlt und, anerkannt wie es bereits ist, keines anpreisenden Wortes durch Buchhändler und Presse mehr bedarf. Es ist ein solches auch durchaus nicht unsere Absicht, wir wollen einfach nur nochmals aufmerksam machen auf jene Anzeige und auf das vortreffliche Buch – Dr. J. G. A. Wirth’s Geschichte der Deutschen. Vierte Auflage neu durchgesehen und bis auf die Gegenwart fortgesetzt von Dr. W. Zimmermann – das sich, wie kaum ein zweites, dafür eignet, vom deutschen Vater dem deutschen Sohne auf den Gabentisch unter den nun bald wieder lichterstrahlenden Christbaum gelegt zu werden.

Wohl ist kein Mangel an Darstellungen unserer vaterländischen Geschichte, kein Mangel auch an guten und empfehlenswerthen, allein wir kennen in der That keine andere, die sich wie Wirth’s, des edlen deutschen Patrioten und Märtyrers, des Redners vom Hambacher Feste und des späteren Mitgliedes des deutschen Parlaments, Geschichte der Deutschen bei einer wahrhaft großartigen Auffassung und Beherrschung des reichen Stoffes durch eine gleich schwungvolle und doch volksthümliche Darstellung auszeichnet. Die buchhändlerische Reclame pflegt sehr freigebig umzugehen mit dem Prädicate „echtes Volksbuch“ oder „Volksbuch im besten Sinne des Wortes“, um unter solchen Titeln manch Geistesproduct einzuschmuggeln, das lediglich der gewöhnlichsten materiellen Speculation und der rührigen Bücherfabrikation seine Entstehung verdankt, – Wirth’s Geschichte der Deutschen aber ist wirklich einmal ein Buch, das auf jene schönste aller Bezeichnungen vollgültigen Anspruch hat.



Kleiner Briefkasten.



Dr. H. St. in D–h. n. Wiederholt müssen wir Ihnen bemerklich machen, daß wir, bei der großen Zahl der uns täglich werdenden Eingänge, Manuscripte, welche uns unverlangt zugesandt werden, nicht zurückschicken können, falls sie aus einem oder dem andern Grunde keine Verwendung für die Gartenlaube finden. Wir nehmen vielmehr an, daß die betreffenden Verfasser sich stets eine Abschrift der uns bestimmten Beiträge zurückbehalten. Lediglich bei umfänglicheren novellistischen Manuscripten machen wir, wie Sie selbst bereits erfahren haben, unter Umständen wohl eine Ausnahme von dieser unserer Regel.


Berichtigung. In der in Nr. 45 enthaltenen letzten Quittung über bei mir eingegangene Beiträge für Schleswig-Holstein muß es heißen: 40 Thlr. und 60 fl. rhein., Erlös einer von den Frauen im Bezirke Herbstein im Großherzogthum Hessen veranstalteten Verloosung anstatt blos 40 Thlr., wie irrthümlich aufgeführt worden ist.

Ernst Keil. 

Ferdinand Stolle’s


ausgewählte Schriften.


Volks- und Familien-Ausgabe.
28.-30. Band.
IV. –VI. Supplement-Band.
Preis jedes Bandes 71/2 Ngr.

Indem ich den geehrten Abnehmern der ausgewählten Schriften von Ferdinand Stolle eine neue Fortsetzung, den 28. Band derselben:

Moosrosen dritter Theil

hiermit übergebe, hege ich die Hoffnung, daß diese gemüthlich-humoristischen Erzählungen gern empfangen und mit nicht geringerer Freude und Befriedigung als die früheren Bände aufgenommen werden. Stolle ist jetzt fast der einzige Repräsentant des deutsch-gemüthlichen Humors.

Leipzig, im Oktober 1864.

Ernst Keil 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_752.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)