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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Bilder von der deutschen Landstraße.
2. Der Handwerksbursch. [1]


II.
Stadt- und Ortsgeschenk. – Zuwandern am Hauptquartal. – Die Färber im Quartier beim Meister. – Die Herberge oder das Gildehaus. – Die Schilder. – Die Arbeitstafel. – Der Herbergsvater. – Ceremoniel auf der Herberge. – Die Bruderschaften. – Die Pfaffen und die Voigtländer. – Der Altgeselle und der Zugereiste. – Die Zeichen. – Das Ausschenken. – Die Commerce. Die Aufnahme in die Bruderschaft. – Der Pathenbrief. – Die Herbergsschwester. – Die trockene Ohrfeige. – Der Gesellenschlag.

Die „Schwäger“, deren sich unsere Leser aus dem ersten Abschnitte noch erinnern werden, hatten beim Umschauen im vollen Ornat zu erscheinen. Bei den Färbern z. B. mußte der rechte Riemen des Bündels um die linke Schulter gelegt werden, unter dem linken Arm war ein Schnupftuch sichtbar, und in der rechten Hand wurden Hut und Stock – der letztere mit dem kleinen Finger am Riemen – gehalten. Die Seifensieder trugen das Bündel auf dem linken Arm und legten das Taschentuch in den Hut, welcher in die linke Hand zu nehmen war, während der Stock ein bis zwei Hände hoch vom Boden frei empor zu halten war. Bei den Zünften, welche nicht zur Schwägerschaft gehörten, wurde das Bündel oder das Felleisen nebst dem Stocke nicht mit in die Stube des Meisters genommen. Auch die Hufschmiede mußten das Felleisen und den Stock draußen vor der Schmiede ablegen, behielten dagegen, wenn sie eintraten, den Hut auf und trugen in der linken Hand einen Beschlaghammer in der Weise, daß der Stiel desselben unter den Rockärmel gesteckt war. Der Gruß selbst bestand in einem unverständlichen, mehrere Secunden andauernden Gemurmel, auf welches alsdann die Worte folgten: „Grüß Gott, Herr Meister und Gesellen von wegen des Handwerks!“ Nachdem der Gruß erwidert worden war, hatte der fremde Geselle folgende vier Fragen an den Meister zu richten: „Was macht der Herr Vater?“ „Was macht die Frau Mutter?“ „Was macht der Herr Sohn?“ „Was macht die Jungfer Tochter?“ Dabei hatte er so lange an der Thüre zu stehen, bis diese Fragen sämmtlich beantwortet waren. Wenn der Meister in der Werkstelle zufällig nicht zugegen war, so schlug der Zureisende mit seinem Hammer drei Mal auf den Ambos. Mit Ausnahme von Merseburg an der Saale bekamen die Hufschmiede in keinem einzigen deutschen Orte ein sogenanntes Stadtgeschenk, wie dies bei anderen Zünften zuweilen geschah.

In vielen Städten, z. B. in Koblenz, hatte der Herbergsvater auf der Bäckerherberge eine große blecherne Brezel in Verwahrung. Sobald mehrere Gesellen zugewandert waren, nahm der zuerst Zugereiste diese Brezel in die Hand, ein Zweiter borgte vom Herbergsvater einen Sack, und fort ging’s oft in langem Zuge von einem Meister zum andern, um das spärliche Geschenk – für den Mann in einem Weck bestehend – einzusammeln und in dem Sacke zu bergen, wobei natürlich nur einer den Gruß zu sprechen hatte. Selbstverständlich wurde der Inhalt des Sackes in irgend einem Winkelgäßchen verkauft und das erlöste Geld auf der Herberge getheilt. In Süddeutschland, namentlich in Altbaiern, im Würtembergischen etc. wurden dem „Handwerkskerle“ selbst auf den Dörfern vom Ortsvorstande einige Kreuzer als „Ortsgeschenk“ verabreicht, hie und da wurde auch Nachtquartier gewährt, wobei dieselbe Reihenfolge eingehalten wurde, in welcher der Dorfspieß weitergegeben wurde. Bei den Uhrmachern, den Klempnern, den Tuchmachern, den Glockengießern und allen Schwägern betrug das Geschenk oft vier bis zwölf gute Groschen, ja in einzelnen Fällen selbst noch mehr; bei den Schuhmachern, den Schneidern, den Webern, den Bäckern und Müllern war das „Uebliche“ aber oft sehr winzig. Die Porzellanmaler und Dreher wurden meist von den Fabrikbesitzern mit einem ansehnlichen Geschenke bedacht.

Bei manchen Zünften wurde jedoch in dem Falle kein Geschenk gewährt, wenn Arbeit gegeben werden sollte, der Zugereiste dieselbe aber in der betreffenden Stadt nicht annehmen wollte. War in dieser Hinsicht nicht zu trauen, so beredeten sich die an einem und demselben Tage zugereisten Gesellen auf der Herberge; diejenigen, welche Arbeit nehmen wollten, wurden vorausgeschickt, und dann erst, wenn keine Arbeit mehr zu vergeben war, folgten die Andern hinterdrein. Bei den Klempnern und einigen andern Zünften bestand die Einrichtung, daß der umschauende Geselle nur die Hälfte der Meister zu besuchen brauchte. Hatten diese ihr „Gesehen“ in das Umschaubuch geschrieben, ohne Arbeit anzubieten, so durfte der Fremde zum Obermeister zurückgehen, um das Geschenk in Empfang zu nehmen. Wenn die Zeit der Handwerksquartale herbeikam, suchten die wandernden Gesellen in die Nähe einer größeren Stadt zu kommen, um beim Quartale im Hause des Obermeisters bei der ganzen Innung „vorzusprechen“. Kam an einem solchen Tage die Stunde der Hauptmahlzeit der Quartalmeister herbei, dann bewegte sich von der betreffenden Herberge aus oft ein gar langer Zug von zugereisten Gesellen nach dem Hause des Obermeisters. Nebeneinander stellten sie sich nach Handwerksgebrauch vor der Tafel des Obermeisters und der Beisitzer auf, der Hauptsprecher that die „Schuldigkeit“, Obermeister und Beisitzer – meist sehr stattliche, korpulente Gestalten – erhoben sich feierlich, und mit den Worten des Obermeisters: „Gesellen, leget ab! Macht’s Euch commode!“ begann für unsere zugereisten Wanderburschen ein „guter Tag“.

Wie die Mühlknappen noch gegenwärtig hier und da in den Mühlen freies Nachtquartier nebst Kost erhalten, so übernachteten auch die wandernden Färbergesellen in früherer Zeit stets bei den Meistern. Ihr Gruß lautete folgendermaßen: „Verzeihen Sie, sind Sie der Herr Obermeister? Ich wünsche dem Herrn Obermeister einen guten Tag, Glück zu verehren von wegen des ehrsamen Handwerks. Meister und Gesellen von X. (hier wurde der Ort genannt, von welchem man zugereist kam) wünschen dem Herrn Meister und Gesellen einen guten Tag, Glück zu verehren von wegen eines ehrsamen Handwerks.“ Kam ein Färbergeselle jedoch vor zwölf Uhr Mittags zugereist, so durfte er blos „einsprechen“, d. h. er bekam außer dem Mittagsessen nur das übliche Geschenk und mußte an demselben Tage weiter reisen. Deshalb lagen oft gar viele Färber vor den Thoren einer Stadt, um abzuwarten, bis die Thurmuhr ein Uhr schlagen würde. Hatte sich’s der Zugereiste „commode“ gemacht, so ging er in die Werkstelle, um die Gesellen zu begrüßen. Diese nöthigten ihn herkömmlicher Weise, sich von ihrem Tabak eine Pfeife zu stopfen, und nahmen ihn Abends nach dem Essen mit auf die Herberge. Am andern Morgen nach dem Frühstücke setzte der Fremde seine Reise alsdann weiter fort. War der nächste Tag aber ein Sonn- oder Festtag, so blieb der fremde Geselle auch die Feiertage über im Quartier; nur mußte derselbe jeden Tag nach dem Mittagsessen von Neuem zureisen, d. h. die Ceremonie des Zuwanderns mit Hut und Stock, Bündel und Schnupftuch wiederholen und seinen Gruß von Neuem vermelden.

Auch wir wollen der Herberge oder dem Gildehause nunmehr einen Besuch abstatten. Schon von weitem winkt uns dieselbe entgegen mit dem „Schilde“ derjenigen Zunft, für welche die betreffende Herberge bestimmt ist. Nicht selten aber zeigen mehrere Schilder verschiedener Art an, daß eine und dieselbe Herberge mehreren Zünften gemeinsam ist. Die Bäcker führen im Schilde eine von zwei Löwen gehaltene Brezel, die Metzger oder Fleischer die Bankschabe mit dem Krummholze, die Schuster einen Courierstiefel, die Hutmacher einen Hut, die Horndreher eine Pfeife, die Klempner eine achteckige messingene Laterne, die Seiler ein Rad mit zwei kreuzweise übereinanderragenden Haken, die Buchbinder ein großes Buch, die Schlosser einen deutschen Schlüssel, die Nagelschmiede zwei Stiefeleisen, die Hufschmiede ein Hufeisen mit zwei kleineren an den Stollen, die Weber drei im Triangel zusammengestellte und von zwei Löwen gehaltene Schützen, die Sattler einen Sattel, die Tischler einen Hobel, die Glaser ein aus buntem Glase zusammengesetztes Fenster, die Wagner ein Rad, die Böttiger ein mit Triebel und Schlägel umgebenes Bierfaß etc. Das Schild der Zimmerleute zeigt eine Schrotsäge, ein Winkeleisen und die Bundart ohne Stiel; in dem Schilde der Maurer dagegen sieht man das Richtscheit, über diesem die von Hammer und Kelle durchkreuzte Setzwage, dann das Loth, den „Spitze“ und „Fläche“ geheißenen Hammer und endlich den halbaufgeschlagenen Cirkel. Einige wenige Zünfte, u. A. die Seifensieder, hatten gar keine


  1. S. Nr. 44
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_744.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)