Seite:Die Gartenlaube (1864) 737.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 47. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Pater Canisius.
(Schluß.)

Ich wollte nur den Mann, und ich hatte ihn, freilich nur soviel von ihm, daß ich um so begieriger wurde, ihn ganz kennen zu lernen. Mein Hauptzweck, der mich zu ihm führte, wurde mir beinahe zur Nebensache. Ich fragte noch nach der Wohnung des Paters.

„Sie können sie nicht verfehlen. Sie gehen zur Citadelle, verlassen dort die Stadt und wenden sich links. Sie kommen dann in einen schmalen Weg, den hübsche Gärten und hohe Hecken einfassen. Am Ende des Wegs liegt ein hohes Haus, das einzige in der Gegend. Es ist das Haus des Paters Canisius, der es mit seiner Bedienung allein bewohnt. Der alte Diener wird Ihnen die Thür öffnen, wenn Sie klingeln. Ob sein Herr Sie vor sich lassen wird, das ist freilich eine andere Frage.“

Ich glaubte nicht, daß es für mich eine Frage sein würde. Ich mußte sofort zu dem Pater gehen. Nach den Mittheilungen des Wirths war die späte Abendstunde die geeignetste zu meinem Besuche. Ich holte aus dem Zimmer der Dame die Cassette, die ich dem Pater Canisius überbringen sollte. Sie stand in dem Secretair der Stube. Sie war verschlossen und leicht; es schienen nur Papiere darin zu sein. Ich machte mich mit ihr auf den Weg. Es war beinahe halb eilf Uhr, als ich den Gasthof verließ.

Trotz der späten Abendstunde fand ich den Weg. Keine Laterne brannte, ich hörte keinen Laut, keinen Schritt in dem engen Heckengange, den ich zu durchwandern hatte. Ich erreichte das Ende der Straße und stand vor einem hohen, dunklen Hause; auch hier kein Licht, nicht der Schimmer eines Lichtes. Einige steinerne Stufen führten zur Hausthür, nach deren Klingelzug ich mich im Dunkel tastete. Eine feine Glocke schlug im Innern des Hauses an, und nach wenigen Minuten nahten sich langsame Schritte der Thür; ein Fenster über ihr wurde hell und ein Schlüssel wurde in der Thür gedreht. Sie wurde geöffnet, aber nur so weit, daß ein Gesicht hindurchblicken konnte; eine kleine, feste Kette sorgte dafür, daß Niemand unbefugt in das Haus dringen konnte. Ein kleiner, dürrer, alter Mann stand an der Oeffnung der Thür, mit einem grauen, vertrockneten Gesichte.

Er trug eine Laterne, deren Schein er auf mich fallen ließ, um mich zu betrachten.

„Was wünschen Sie?“ fragte er mich dann.

„Ich wünsche den Pater Canisius zu sprechen.“

„Wer sind Sie?“

„Ein Fremder, der einen Auftrag an den Pater auszurichten hat.“

„Von wem ist Ihr Auftrag?“

„Ich kann es nur dem Pater sagen.“

„Ich bedaure, der Pater empfängt keine Fremden.“

Auf einmal sah er die Cassette, die ich unter dem Arme trug. Er stutzte.

„Warten Sie einen Augenblick,“ sagte er, „ich werde Sie dem Pater melden.“

Er verschloß die Thür, und ich hörte ihn eine Treppe hinaufgehen. Schon nach wenigen Minuten kam er zurück und schloß die Thür diesmal ganz auf.

„Folgen Sie mir zu dem Pater.“

Ich trat in das Haus, und er verschloß die Thür hinter mir.

Ich stand in einer hohen, geräumigen, alterthümlich gebauten Vorhalle. An den Wänden hingen alte Gemälde, Portraits in Jesuitentracht, kluge, ernste, meist strenge Gesichter. Wir stiegen eine Treppe hinauf und kamen in einen weiten Gang, an dessen Wänden wiederum die Bilder alter Jesuiten hingen. Ueberall herrschte die tiefste Stille. Der alte Mann, der mich führte, der Diener des Paters, klopfte leise an eine der Thüren des Ganges, öffnete sie aber unmittelbar darauf.

„Treten Sie ein!“

Ich trat ein, und er zog die Thür hinter mir zu. Ich war in einem hohen, weiten, alterthümlichen Gemache mit altem, aber einfachem Meublement. Zwei Wachskerzen, die auf einem Tische in der Mitte des Zimmers standen, erleuchteten es ausreichend.

Auf einem Ruhebette hinten in dem Zimmer lag ein alter Mann, welcher bei meinem Eintritt sich halb aufrichtete.

„Kommen Sie näher, hierher!“ sagte er.

Ich war an der Thür stehen geblieben und trat zu ihm an das Ruhebett, auf dem er saß. Es war ein hochgewachsener Mann; ich sah es, trotzdem daß er saß. Die enganliegende, einfache, schwarze Jesuitenkleidung ließ mich auch seine Gestalt unterscheiden; er war hager, aber kräftig gebaut und hatte breite Schultern; sein Rücken war ungekrümmt, ungeachtet seiner fünfundachtzig Jahre. Das Gesicht war grau, wie das des Dieners, hager, wie sein Körper, aber nicht eingetrocknet; es hatte kräftige, starke Züge. Die Augen waren unter den hervortretenden Stirnknochen durch dichte, lang herunterhängende, graue Augenbrauen mehr als halb verdeckt; man sah sie dennoch blitzen, leuchten. Ueber seinem ganzen Wesen lag ein tiefer Ernst ausgebreitet, ohne Strenge, aber zugleich mit einer Ruhe und Klarheit, durch die er jede Umgebung beherrschen mußte. Auf dem Kopfe trug er ein kleines, dicht anliegendes Sammetkäppchen. Es ließ seine Tonsur nicht sehen und nicht unterscheiden, ob ihm noch Haare das Haupt bedeckten. An seiner

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_737.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)