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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Leute bei der Spritze.
Alte und neue Feuerwehr.

„Haben Sie von dem gräßlichen Brandunglück in – stadt gelesen? Hundertfünfzig Häuser, worunter sämmtliche öffentliche Gebäude, liegen in Asche! Mehr als achthundert Menschen jedes Alters und Geschlechtes sind nicht nur obdachlos geworren, sondern haben Alles, was sie besessen, verloren! Versichert sind die Wenigsten, und welch’ trauriger Zukunft sehen diese entgegen! Das Schrecklichste ist aber, daß eine ganze aus acht Gliedern bestehende Familie, bis auf ein Mädchen von zehn Jahren, den schauderhaften Tod in den Flammen gefunden hat!

1. Abladen der Spritze.

Schnell muß hier geholfen werden, und jeder Menschenfreund wird sein Scherflein beitragen, um die Noth zu lindern.“ Mit diesen Worten tritt uns ein Freund entgegen, der so eben die Unglücksbotschaft vernommen, indem er hinzufügt, daß freilich zum guten Theil die große Ausdehnung des anfangs unbedeutenden Schadenfeuers den höchst unzureichenden Löschanstalten, wie dem Mangel an jeder Organisation der „Feuerwehrmannschaften“ zu danken sei; ebenso falle diesem Umstande der Tod der in den Flammen Umgekommenen zur Last.

Leider ist man an gar vielen Orten noch sorglos genug, der Organisation des Feuerwehrwesens nicht die nöthige Aufmerksamkeit zu schenken. Um aber würdigen zu können, wie viel von einer wohlorganisirten und disciplinirten Feuerwehr abhängt, braucht man sich nur einmal die Thätigkeit sogenannter „wilder“ Mannschaften bei einem Schadenfeuer etwas näher anzusehen. Es ist mitten in der Nacht, als die Sturmglocke ertönt und die Ortsbewohner aus dem Schlummer aufgeschreckt werden. Das Horn des Nachtwächters läßt seine schauerlichen Töne vernehmen, und mitten in den Lärm mischt sich der vielstimmige Ruf: Feuer! Der Dachstuhl eines mehrstöckigen Hauses steht bereits in vollen Flammen, und es wird Sorge der Feuerwehr sein, das Feuer nicht allein direct anzugreifen, sondern auch, was hauptsächlich in’s Auge zu fassen ist, eine ungefähr zwanzig Schritt davon entfernt stehende Scheune, welche die Verbindung mit einem besonders feuergefährlichen Hausercomplex herstellt, zu decken, denn schon erhebt sich der Wind nach dieser Richtung hin. An diesen bedrohten Punkt muß so schnell wie möglich eine Spritze, die ununterbrochen in Thätigkeit zu halten ist, postirt werden.

Drei Spritzen aus dem Orte kommen herangefahren. Die Besetzung ist aber nur spärlich, und die Spritzenmeister greifen zu dem üblichen Mittel, die nöthigen Mannschaften aus den zahlreichen müßigen Zuschauern, die sich eingefunden haben, zu pressen. Der Bürgermeister, der gleichzeitig als Feuerwehrcommandant fungirt, giebt dem Führer einer Spritze den Befehl, die Scheune zu halten. Aber seine Worte verhallen vor dem Schreien und Toben der Mannschaften, die sich mit einer wahren Wuth auf die Spritzen stürzen, um sie in Stand zu setzen, und durch dieses planlose Draufgehen die schönste Unordnung, namentlich hinsichtlich des Legens der Schläuche, hervorbringen. Der Bürgermeister erneuert seinen Befehl. Umsonst; man sagt ihm geradezu in’s Gesicht, daß er gar nichts zu befehlen habe. „Was sollen wir da hinten, wo es gar nicht brennt? Der Herr Commandant versteht nichts, das haben wir immer schon gesagt.“ Diese und andere ähnliche Redensarten, die der beklagenswerthe Mann, ohne etwas dagegen thun zu können, schweigend anhören muß, erschallen wie aus einem Munde. Eine fernere Anstrengung seinerseits, eine Wasserreihe aus dem gaffenden Publicum zu bilden, schlägt ebenfalls fehl, und als er selbst zwei Eimer ergreift, um aus dem höchstens dreißig Schritt entfernten Flusse Wasser zur nächsten Spritze zu tragen, wird dies keineswegs als eine Aufforderung betrachtet, seinem Beispiele zu folgen. Die Leute sehen ihn vielmehr gleichgültig an und glauben, daß diese Verrichtung gewissermaßen mit zu seinen Amtsverrichtungen gehöre. Mit vieler Mühe sind endlich die Spritzen mit Wasser, das durch die gebräuchlichen unpraktischen Sturmfässer herbeigeschafft worden ist, gefüllt; die Mannschaften setzen die Druckbäume in Bewegung, aber, ganz abgesehen davon, daß das Wasserquantum bald consumirt ist und nur mit großen Unterbrechungen erneuert wird, haben sich die Rohrführer so postirt, daß der Wasserstrahl mit seinem äußersten Ende gleich einem sanften Sprühregen die Gluth erreicht und diese dadurch nur vermehrt. Jetzt rasseln noch drei Spritzen aus benachbarten Ortschaften herbei; allein die Mannschaften derselben fügen sich ebenso wenig den Anordnungen des Bürgermeisters, der ihnen befohlen hat, die immer mehr und mehr bedrohte Scheune zu halten. Sie gehen vielmehr ganz auf eigene Faust vor und steigern dadurch nur die bereits im höchsten Grade herrschende Unordnung.

2. Aufladen der Spritze.

Unterdessen wird in dem brennenden Hause arg gewirthschaftet. Ganz unberufene Leute haben sich in dasselbe gedrängt, zerschlagen Thüren und Fenster, schleppen Möbel und Gegenstände aller Art, ohne auf deren Schonung Rücksicht zu nehmen, aus den Zimmern, oder werfen diese aus den oberen Stockwerken auf die Straße. Diese destructive Gesellschaft nennt das ironisch genug „retten“, und wie die Besitzer ihr Eigenthum gegen solche Behandlung schützen wollen, wird ihnen in der unglimpflichsten Weise entgegengetreten.

Da bricht plötzlich das längst gefürchtete Ereigniß ein: die Scheune hat Feuer gefangen und im Nu steht das Dach in Flammen, die sich in Folge des heftiger gewordenen Windes den daranstoßenden Gebäuden mittheilen. Ein allgemeines sauve qui peut entsteht und ein großer Theil der Mannschaften verläßt die Spritzen, unter ihnen diejenigen, welche in dem bedrohten Stadttheile wohnen, während die Uebrigen gar nicht daran denken, den Standort der Spritzen zu verändern. Sie sind überhaupt weit entfernt davon, ihre Pflicht zu erfüllen, und besitzen auch, bis auf Wenige, gar nicht mehr die Fähigkeit dazu, denn sie befinden sich in Folge von im Uebermaße genossenen geistigen Getränken, die ihnen nach althergebrachter Unsitte geliefert worden sind, in einem sehr bedenklichen Zustande der Aufregung und Schlaffheit zugleich. Während die Einen toll und ausgelassen sind, als feierten sie ein frohes Fest, schwanken Andere in seliger Stimmung hin und her, oder suchen allerlei Händel, oder blicken endlich, mit dem Rücken an die Spritze gelehnt, mit starren Augen regungslos in den gräulichen Wirrwarr.

Schon liegen vier Gebäude in Asche, und da das Löschen aufgehört

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_732.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)