Seite:Die Gartenlaube (1864) 731.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

einer alten Frau die Körbe packen, weil die Alte die beiden Verkleideten für wirkliche Bäuerinnen hielt und sie um Hülfe bat. Endlich nahm das Haus der Familie Duguigny in der Straße Haute du Château die Flüchtenden auf. Hier blieb Caroline fünf bis sechs Monate lang verborgen. Wie dies möglich war, ist fast nicht zu begreifen, wenn man nicht den Ansichten der Tageblätter beipflichten will, die behaupteten, daß die Regierung sehr Wohl um den Aufenthalt der Herzogin wisse, sie aber nicht fangen wolle. Maria Caroline führte immer noch eine Correspondenz mit ihren Anhängern von diesem Schlupfwinkel aus, sie empfing Besuche, sie ward lebensgefährlich krank. Alles dies konnte geschehen, ohne – zur Ehre der Nation muß es gesagt sein – ohne daß sich ein Verräther fand, denn wenn auch vielleicht die Regierung ein Auge zudrücken wollte, so machte sie doch gewaltige militärische und polizeiliche Anstrengungen, und leicht konnte irgend ein Mensch sich vorfinden, der den Preis des Verrathes erringen mochte.

Er fand sich auch, aber es war kein Franzose, sondern ein gewisser Simon Deutz aus Köln, der sich in das Vertrauen der Herzogin einzuschleichen gewußt hatte, das er bald so besaß, daß er in den wichtigsten Angelegenheiten ihr Agent wurde. Er war es, der am 6. November die zur Gefangennahme der Herzogin beorderten Militär-Colonnen um das Haus aufstellen ließ, wo Maria Caroline verborgen.

„Retten Sie sich, Madame,“ rief plötzlich einer ihrer Getreuen, „ich sehe rund herum um das Haus Bayonnete blitzen.“ Der Mond war aufgegangen, und man konnte deutlich das Funkeln der Waffen sehen. Volk lief zusammen, von allen Seiten rückte Militär gegen das Haus.

„Eilen Sie in Ihr Versteck, Madame,“ riefen die Freunde.

In diesem kritischen Augenblicke zeigte die Herzogin eine seltene Ruhe und Beherrschung. Sie warf einen Blick durch das Fenster auf die herannahenden Soldaten und begab sich langsam in ihr Versteck. In einer Mansarde des dritten Stockes im Duguigny’schen Hause war hinter dem Kamin ein kleines Kämmerchen, dessen Eingang durch die Kaminplatte gebildet und verschlossen wurde. Den Hintergrund des Zimmers gab die äußere Mauer des Hauses, auf welcher die Dachsparren ruhten, welche wiederum das Versteck von oben schützten und bedeckten. Vorn am Eingang hatte dieser Raum achtzehn Zoll Breite, gegen das Ende zu nur acht bis zehn Zoll, dabei eine Länge von drei bis vierthalb Fuß.

Als die von den Commissären eingeführten Soldaten in das Haus drangen, waren die Compromittirten bereits in ihrem Verstecke. Man denke sich vier Personen in dem beschriebenen engen Raume. Auf den ersten Blick konnte man wahrnehmen, daß Deutz die Behörde von Allem genau unterrichtet hatte. Die Commissäre gingen in dem Hause umher, als wären sie alte Bekannte. Nichts war zu entdecken. Bald aber befanden sich die Verborgenen in höchst peinlicher Lage. Dumpfe Schläge gegen die Mauer des Nachbarhauses, welche den Schlupfwinkel begrenzte, zeigten ihnen an, wie eifrig gesucht ward. Schon fielen größere und kleinere Stücke Mauerwerk auf die Geängstigten herab, der Kalkstaub zog in dichten Wolken durch das enge Gemach. Fest aneinandergepreßt standen die Herzogin und Fräulein von Kersabiec, die Herren Mesnard und Guibourg hatten sich auf dem Boden zusammengekauert. Nährend dessen ward das ganze Haus durchwühlt, aber nach einer siebenstündigen Untersuchung gab der Präfect die Hoffnung auf.

Die Gefangenen des Mansard-Zimmers athmeten ein wenig freier. Sie konnten nicht wissen, was vorging, aber sie hörten die Tritte abmarschirender Soldaten. Die Nacht brach herein. Sie flüstern schon untereinander von Rettung, von Flucht – da – horch! In das Zimmer vor dem Schlupfwinkel treten Leute. Das Klirren ihrer Säbel, die Reden welche sie führen, zeigen deutlich, daß es Gensdarmen sind. Die Flüchtlinge halten den Athem an. Eine schneidende Kälte dringt durch die Ziegel des Daches, die Zähne klappern, die Hände und Füße sterben ab. Da knistert es in dem Kamine, dessen eiserne Platte die einzige Scheidewand zwischen den Verfolgten und ihren Häschern bildet, die Soldaten haben Feuer gemacht; das thut den fröstelnden Gefangenen wohl, aber was ihnen anfangs ein Glück schien, wird ihr Verderben. Immer glühender wird die Eisenplatte, immer furchtbarer die Hitze in dem engen Raume, zwei Mal faßt das Feuer die Kleider der Damen, man löscht es mit den Händen, welche sofort die Brandmale zeigen. Will man die Lage ändern, muß man über den Andern hinwegsteigen; so gelangt die Herzogin dicht an die glühende Platte. Sie hält mit furchtbarer Resignation aus. Das Feuer erlischt, die Soldaten schnarchen. Die Nacht vergeht. Fast ohnmächtig vor Hunger, Erschöpfung und Erregung sehen die Gefangenen das Tageslicht durch die Ritzen des Daches schimmern. Kaum graut der Tag, so beginnen die Arbeiten gegen die Mauern des Hauses von Neuem, Stöße, Schläge mit Eichenbohlen machen das ganze Hotel Duguigny erzittern. Dann tiefe Stille.

Darauf wieder neue Arbeit. Dicht an der Kaminplatte wühlt und hämmert es, die Steine bröckeln ab; schon glauben die Gefangenen, der Augenblick der Entdeckung sei gekommen, da lassen die Arbeiter in ihren Forschungen nach. „Wir sind gerettet,“ flüstert die Herzogin. Alle drücken sich die Hände. Umsonst – die Wachen erscheinen wieder, und das verderbenbringende Feuer knistert im Kamine. Einer der Soldaten hat unglücklicher Weise ein Paket Acten aufgestöbert, mit denen er das Feuer unterhält. Zu der Qual der Hitze gesellt sich die des Rauches. Schon müssen die Eingesperrten den Mund an die Oeffnungen der Dachsteine legen, um athmen zu können, während ihre Kleider neue Brandflecken zeigen. Die Stunde der Entdeckung war gekommen. Nicht fähig mehr dem Rauch und der Gluth zu widerstehen, öffneten die Herren auf Befehl der Herzogin die Platte durch Fußtritte.

Ein „Wer da?“ der Gensdarmen beantwortete den mit fester Stimme ausgestoßenen Ruf: „Ich bin die Herzogin von Berri, öffnet die Platte.“ – Das Erstaunen war maßlos. Es theilte sich dem auf der Straße versammelten Volke gleichfalls mit. General Dermoncourt eilte herbei, Erfrischungen aller Art wurden den Erschöpften gereicht. Groß war die Theilnahme, welche die heroische Frau und deren treue Begleiter erweckten. Der Gegner der Herzogin, Dermoncourt, rief aus: „Diese Frau ist eine Heldin!“

Maria Caroline ward mit allen Ehren und den einer Fürstin gebührenden Auszeichnung behandelt. Aber ihre Sache war verloren. Um sie den Augen der erregten Menge so schnell wie möglich zu entziehen, brachte man sie auf die Brigg La Capricieuse, welche sie am 11. November von den Küsten Frankreichs hinwegführte. Sie wird das Land ihrer Wünsche, ihrer Hoffnungen wohl nicht mehr betreten dürfen, und gleich vielen Andern, findet auch ihr Bildniß im Palaste Vendramin eine passende Stelle unter den Gegenständen, welche die Erinnerung an herbe Schicksale wach rufen. – Daß die Herzogin den Besucher des Palastes lebhaft interessirt, ist begreiflich. Ihr Leben, ihr Dulden, ihr Handeln sind nicht minder interessant, als die jener Personen, welche im Schimmer der Romantik, verklärt durch entschwundene Jahrhunderte, vor uns stehen. Ein Faden des großen Geschichtsnetzes verbindet außerdem Venedig immer mit Frankreich, und gerade in diesem Augenblicke erzittern die Fäden des Gewebes mehr als je. Wo die Convention Italien-Frankreich neue, große Ereignisse, deren Mittelpunkt Venedig sein dürfte, vorbereitet, war es vielleicht nicht ohne Interesse, das Tusculum einer französischen Fürstin in der Stadt zu betrachten, nach welcher sich unsere Blicke jetzt erwartungsvoll richten.

Maria Caroline theilt in Allem die Schicksale so mancher im Palaste Vendramin durch sie verherrlichter Persönlichkeiten, und das Gemäuer des alten, mächtigen Gebäudes scheint sich nicht hergeben zu wollen zur Ruhestätte seiner Insassen. Wie seine Erbauer, so ist auch seine jetzige Besitzerin fern von ihm auf einsamem Schlosse in den schönen, stillen Bergen Steiermarks.

Besteigen wir wieder die Gondel, die uns hinwegführt von dem Palaste Vendramin! Werfen wir noch einen Blick auf das stolze Haus! Da, auf dem Gemäuer, steht in schwarzer Schrift – tief in den Stein gehauen – gleich einer Entschuldigung dem Geschicke gegenüber, ein kurzer Spruch der Vendramins: „Non nobis“ „Nicht für uns.“ Der Spruch ist zum traurigen Symbole für Alle die geworden, welche sich Besitzer des Palastes nannten. „Non nobis“ sollte aber auf allen Palästen Venedigs stehen, besonders auf den Mauern derer, die den Canal grande zieren, durch dessen gewaltiges Thor, Ponte di Rialto, wir so eben, in ernste Stimmung versenkt, mit der pfeilschnellen Gondel gleiten.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_731.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)