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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

den Herzog von Bordeaux, als Heinrich V. wieder zu erringen. Vielleicht kam zu diesen politischen Plänen noch eine gewisse der Herzogin innewohnende Romantik. Wie alle Bourbonen, hatte sie ihre Blicke auf die Vendée geworfen. Die Vendée ist Frankreichs königliches Wappenfeld. Dort schlagen die Herzen höher bei dem Rufe: „Vive le roi!

Die Vendée war auch ein Hauptziel der Herzogin, von dort sollte, so hoffte sie, die Bewegung ausgehen, in deren Verlauf ihr Kind, geschmückt mit der Krone von Frankreich, wieder in die königlichen Hallen der Tuilerien einziehen würde. Trotz aller Hindernisse und Gegenreden verließ darum Maria Caroline England und ging nach Italien. Eine Reise in das südliche Frankreich, um die Stimmung zu sondiren, ward durch die Agenten der Regierung unterbrochen; doch hatte die Herzogin sich genugsam überzeugt, daß in gewissen Kreisen der Aufruf zur Erhebung für das Haus Bourbon Anklang finden werde.

Wie die Herzogin ihre Reise, ihre Ankunft in Marseille bewerkstelligte, ohne von den Spähern entdeckt zu werden, ist ein Geheimniß geblieben. Am 30. April 1832 fand in Marseille die erste Schilderhebung der Bourbonisten statt. Wie sie verunglückte, das zu erzählen, bedarf einer für diesen Zweck zu langen Auseinandersetzung. Flüchtend, von Ort zu Ort im Schutze der Nacht, im Dunkel des Waldes, belauschen wir Maria Caroline. Sie schläft, in ihren Reisemantel gehüllt, auf der Erde, unter freiem Himmel. Sie ruht, zitternd vor Frost, nach langer Wanderung in der Hürde eines Schäfers aus. Der zarten Frau versagen die Füße, die nur gewöhnt sind, den Parquetboden königlicher Zimmer zu betreten, den Dienst. Sie schläft ermattet ein. Sie träumt von Kronen, von dem Jubel des Einzuges in Paris. Endlich wird sie von ihren Getreuen geweckt. Man hatte einen Wagen gefunden, und die Herzogin konnte die mühevolle Reise wenigstens fahrend vollenden. Ihr Ziel war die Vendée, dorthin ging der Zug ihres Herzens. „Auf Wiedersehen in der Vendée!“ das war der Ruf, als sie sich von ihren Begleitern trennte.

Nur von einem Getreuen beschützt, jede belebte Straße vermeidend, ist die Herzogin auf dem Wege nach der Vendée jeder Gefahr ausgesetzt. Verdächtige Patrouillen von Gensdarmen gewahrte man zu verschiedenen Tageszeiten, und endlich, es unterlag keinem Zweifel – ward die Kutsche verfolgt. Was beginnen? Die Reiter mußten die Papiere der Reisenden sehen und – wenn sie die Herzogin erkannten? In der Nähe ist kein schützendes Haus. Der treue Führer kannte alle Bourbonisten auf der ganzen, langen Reiseroute. Immer näher kamen die Gensdarmen. „Ist keine Behausung zu erreichen, die uns verbergen könnte?“ flüsterte die Herzogin.

„Ich kenne keine, deren Wirth ein Bourbonist wäre. Wollen Sie das Aeußerste wagen, Madame? Das nächste Gut ist Eigenthum eines Republikaners.“

„Hin zu ihm, schnell!“

Der Besitzer des Hauses eilte herbei. „Mein Herr,“ sagte Maria Caroline, „ich kenne Ihre Gesinnungen, aber für eine Proscribirte, wie ich es bin, giebt es keine Meinung: ich bin die Herzogin von Berri.“

Der Republikaner reichte der Flüchtigen seine Hand. Die Herzogin schlief unter dem Dache seines Hauses sicher vor den Nachstellungen ihrer Feinde. Hier suchte Niemand die Mutter des Herzogs von Bordeaux, Niemand dachte daran, daß der Republikaner dem Haupte der Bourbonenfamilie ein Obdach gewähren, daß er am folgenden Morgen, beim Grauen des Tages, neue Pferde herbeischaffen würde, mit denen Maria Caroline nach vielen Gefahren in das Haus eines ergebenen Freundes gelangte. Endlich in der Vendée – endlich in der Mitte jener alten, ländlichen Barone, jener Pächter und Waldläufer, die bereit waren, auf das Zeichen der Sturmglocke die Waffen zu ergreifen, die Fahne der Bourbonen zu erheben und sich mit dem Rufe: „Es lebe Heinrich der Fünfte!“ in den Tod zu stürzen!

Die Herzogin war an allen Orten zugleich. Sie entwickelte eine ungeheuere Thätigkeit. Sämmtliche Correspondenz, die Geldangelegenheiten, die Pläne, Alles ging von ihr aus, war das Werk ihrer Hände, der Entwurf ihrer glühenden, rastlos arbeitenden Phantasie. Nicht genug, daß diese gewaltige Last einer Frau oblag. Sie mußte es Alles heimlich, verborgen unter dem Schutze des Gastrechtes ausführen. Die Landleute hüteten die Wohnung der Herzogin, und die Gemeinde von Legé, woselbst Maria Caroline verborgen wohnte, gab ihr in der That rührende Beweise von Anhänglichkeit. Von hier aus erließ sie die Proklamationen, aber den Streifcolonnen gelang es nicht, ihrer habhaft zu werden. Hier empfing sie unter anderen Berryer, den bekannten legitimistischcn Advocaten. Als er an die Wohnung der Herzogin kam, mußte er das Losungswort geben. Man antwortete aus dem Innern des Hauses in verabredeter Weise. Dann öffnete eine alte Frau, in Begleitung eines stämmigen Burschen, dessen Hand mit dem eisenbeschlagenen Knittel der Vendéer bewaffnet war, die Thür.

Berryer ward in ein ärmliches Zimmer geführt. Hier sah er sich einer Frau gegenüber. Es war die Herzogin. Sie trug einen leinenen Kopfputz, die Tracht der Bäuerinnen jener Gegend. Berryer war ein Gegner der Erhebung. Er beurtheilte die Sachlage mit seinem kalten, ruhigen Verstande. Allein die Herzogin hörte auf keine Rathschläge. Sie wollte handeln für die Sache ihres Kindes, und an demselben Abende, wo Berryer sie verließ, richtete sie an die Häuptlinge der bourbonischen Verschwörung ein Schreiben, in welchem sie die Nacht vom 3. zum 4. Juni als den Zeitpunkt des Ausbruchs bezeichnete. In Manneskleidern ging Maria Caroline von Ort zu Ort. Sie bereitete, unterstützt von einigen phantastischen Köpfen, die Schilderhebung der Vendée vor. Sie hieß bei ihren Gefährten Petit Pierre und entging, in der Verkleidung eines Bauern der Vendée, den Forschungen der Behörden.

Die Juliregierung, unterrichtet von dem sich vorbereitenden Aufstande, ließ kein Mittel unbenutzt dem drohenden Ereignisse gerüstet entgegentreten zu können. Mobile Colonnen unter Commando des General Dermoncourt durchstreiften das Land, untersuchten die Schlösser, und eine derselben war so glücklich, höchst wichtige Papiere aufzufinden, welche der Regierung alle Pläne und Namen der in die Verschwörung verflochtenen Persönlichkeiten verriethen. Mit einem Schlage wechselten jetzt die Rollen. Statt angegriffen zu werden durch die Vendéer, griff die Regierung diese an, und als am 4. Juni 1832 die Sturmglocke in der Vendée die Kämpfer für Heinrich V. zu den Waffen rief, fanden diese überall einen schlagfertigen Feind, der nicht wartete, bis sie sich in Reih und Glied gestellt, sondern der über jeden, oft ganz ohne alle Absicht sich zusammenfindenden Trupp Vendéer herfiel und ihn zerstreute. Vereinzelt brach überall der Aufstand aus, und so ward er einzeln niedergeworfen.

Die Herzogin war auf die erste Nachricht der Erhebung in den Kampf geeilt. Durch eine fliegende Colonne erkannt und verfolgt, mußte sie in einem Dickicht die Nacht verbringen; während dieser Zeit hatte das blutige Drama geendet. Am folgenden Tage entkam die Herzogin nur durch schnelle Wechselung der Kleider mit einer Bauerfrau der Verhaftung. Heute nahm ein Schloß die Flüchtende auf, morgen war eine Windmühle ihr Obdach, am nächsten Tage ein Pachthof. Hierher kamen, flüchtig, verfolgt, durch das Dickicht sich schlagend, Verwundete aus den Gefechten. Noch ein Mal wollte Maria Caroline zu den Kämpfenden eilen, aber wieder zeigten sich die Colonnen Dermoncourt’s von allen Seiten, und der General hatte die Versicherung gegeben: „Er werde Madame und deren Begleitung ohne Gnade niederschießen lassen.“

Trotz der wüthendsten Tapferkeit unterlagen die Vendéer. Während dieser Kämpfe waren Unruhen in Paris, bei Gelegenheit des Leichenbegängnisses des Generals Lamarque, ausgebrochen. Mit doppeltem Eifer bekämpfte daher die Regierung die Bewegungen. Immer enger zog sich das Netz um die Vendée und die Anhänger des Hauses Bourbon, die Kämpfer alle und zuletzt Maria Caroline verzweifelten an dem Ausgange. Die Sache Heinrich’s V. war verloren.

Wieder ist die Herzogin eine Geächtete, eine Umherirrende; wieder eilt sie von Dorf zu Dorf, von Gehöft zu Gehöft. Aber dieses Mal ist sie nicht erfüllt mit stolzer Hoffnung auf kommende Siege oder Erfolge, welche dem Ermattenden neue Kraft geben. Sie ist eine Geschlagene, die nur noch den sicheren Zufluchtsort zu erreichen suchen muß, eine trostlose Mutter, deren schönste Aussichten in die Zukunft vernichtet sind. Aber der Geist Maria Carolina’s blieb ungebeugt. Als Bäuerin verkleidet und von einer getreuen Gefährtin begleitet, gelangte sie glücklich in die alte Stadt Nantes. Als sie durch das Thor getreten waren, fielen die Blicke der Flüchtlinge auf ein Placat der Regierung, welches die Ueberschrift trug:„Etat de Siège“. Nantes befand sich in Belagerungszustand. Die Herzogin eilte weiter durch die Straßen und half

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