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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

jetzt in einer Race fortzupflanzen, die schlechten Ertrag an Wolle und Fleisch liefert und nur noch in der Nähe des Gotthardts, sowie in den Hochgebirgen von Schottland und Wales gezüchtet wird. Die wilden Jagdthiere haben sich in so fern verändert seit jener Zeit, als Ur und Wisent, Hirsch und Elen, die erst von den Steinpfählern gejagt wurden, ganz aus der Schweiz geschwunden sind, Damhirsch und Reh, Wildschwein und Wolf und Steinbock dagegen nur noch selten und ausnahmsweise sich antreffen lassen· Rütimeyer, der an dem lockeren Gewebe und fettigen Aussehen die Hausthierknochen leicht von den Knochen der entsprechenden wilden Racen unterscheidet, macht übrigens die sehr triftige Anmerkung, daß in den ältesten Ansiedlungen die Knochen der Jagdthiere überwiegen, in den jüngeren diejenigen der Hausthiere, woraus eben wieder mit Sicherheit geschlossen werden kann, daß erst die Steinpfähler in der Schweiz überhaupt festere Wohnsitze gründeten und die Thiere, welche ihnen das angrenzende Land bot, zu züchten versuchten, was ihnen auch bei einzelnen Arten allerdings gelang. Erst in der spätesten Zeit dieser Ansiedlungen finden sich Spuren von Einführungen neuer Hausthierracen, wie eine besondere Rindviehrace, Pferd und Esel, die alle auf den Mittelmeergürtel hindeuten – echt asiatische Thiere, wie das Huhn z. B., fehlen überall gänzlich, und keine Spur führt, wenigstens von den Thieren, nach Hochasien oder Indien hinüber.

Der Ackerbau stand auf verhältnißmäßig hoher Stufe. Der Weizen wurde allgemein gebaut, seltener der Emmer und die Gerste; die Brodfrucht wurde auf großen Steinen mit Läufern gequetscht und gebacken; das Brod sieht verkohltem Pumpernickel nicht unähnlich. Aepfel und Birnen wurden gezogen und mit der äußeren Haut, meist in Hälften gespalten, zu Schnitzen gedörrt. Faserpflanze war allein der Flachs; der Hanf war ebenso unbekannt, als die Weinrebe. Bewundernswürdig sind die Gewebe, welche auf offenbar höchst einfachen Webstühlen zu verschiedenen Zwecken angefertigt wurden.

Das Rennthier, dessen härtere Geweihe zu Instrumenten vorgezogen worden wären, existirte offenbar in der Schweiz nicht mehr – die Geräthe, oft sehr kunstvoll und fein (Nadeln, Strickstöcke, Speerspitzen, Feldhacken etc.) sind aus Hirsch- und Rehgeweihen verfertigt, und an einzelnen Stellen, wie in Concise, hat man solche Massen von Geweihen, halb und ganz bearbeiteten Stücken gefunden, daß man Haufen davon aufklaftern konnte und der Gedanke einer Fabrik und eines Magazins nahegelegt werden mußte. Die Art und Weise, wie die Steinäxte und Hämmer mit Horn- und Holzstielen befestigt wurden, indem bald die Axt in den Stiel geklemmt und gebunden, bald wieder ein Loch in den Stein gebohrt und der Stiel darin befestigt wurde, zeugt sowohl von der Festigkeit der benutzten Bänder, als von der Geschicklichkeit der Verfertiger. Ebenso bieten die Töpfergeräthschaften merkwürdige Zeichen allmählicher Vervollkommnung sowohl durch bessere Zubereitung des Materials, als durch Verfeinerung der Formen und künstlerische Anordnung der einfachen Verzierungen. Bogen und Pfeile, Schlägel und Speere, Schüsseln und Quirle aus Holz fehlen ebensowenig, als Kämme und Körbe – ja selbst Räder zeigen, daß man sich schon wenigstens der Schubkarren bediente, wenn nicht ein jochähnliches Holz sogar auf Einspannung der Rinder und also auf Gebrauch wirklicher Wagen hindeutet.

Das Einzige, was auf einen Cultus bezogen werden könnte, wären mondsichelähnliche Gegenstände aus Stein, Thon und Holz – die Hörner des Mondes sind nach oben gerichtet – mir haben indessen diese Geräthe von ansehnlicher Größe eher den Eindruck von Kopfträgern zum Schlafen gemacht. Bekanntlich legen die Chinesen und Japanesen ebenfalls das Genick beim Schlafe auf einen Holzblock, dessen etwas ausgehöhlter Rand nicht gerade allzu abgerundet ist, und der rohe Holzsattel, den der ungarische Pferdehirt als Kopfkissen benutzt, mag an Weichheit der Mondsichel der Pfahlbauern nicht weit voranstehen.

Es war also mit Holz, Horn und Stein von diesen Steinpfählern erreicht, was nur irgend erreicht werden konnte. Die Landwirthschaft blühte – von fast rein thierischer Nahrung war der Urmensch zu vorwiegend pflanzlicher übergegangen; er wob sich seine Kleiderstoffe, statt den Thieren ihr Fell zu rauben; statt von dem Zufalle der Jagd zu leben, strengte er seine Intelligenz an, um seine eigene Vorsehung zu werden und sich den zum Unterhalte des Lebens nöthigen Nahrungsstoff selbst zu schaffen. Aber es fehlt noch jede Spur von höherer Entwickelung – namentlich jede Spur von einer Zeichen- oder Buchstabenschrift, durch welche der Mensch seine Gedanken befestigen und Solchen, die außer dem Bereich seiner Stimme waren, hätte mittheilen können.

Sogar in der nächsten Epoche, welche man die Periode der Bronzepfähler nennen könnte, fehlt eine jede solche Andeutung gänzlich. Das Metall wird offenbar allmählich eingeführt; das Erz wird, chemischen Analysen zufolge, aus den Alpen selbst gewonnen. Die Bearbeitung der Mischung geschieht nur durch Gießen in Formen; aber diese Formen selbst erreichen einen hohen Grad von Vollkommenheit und selbst künstlicher Schönheit. Die Schwerter und Aexte, die Messer und Dolche, die Speer- und Pfeilspitzen, die Sicheln und Sensen haben alle höchst eigenthümliche, aber auch sehr passende Formen, und der Schmuck? – mein Freund Desor hat Haarnadeln mit verzierten Köpfen, Arm- und Fußringe, Gehänge für Ohren, vielleicht auch für Nasen und Lippen, Agraffen und Brochen aus Bronze, die Jahrtausende lang im See gelegen hatten, durch geschickte Hände aufpoliren lassen, und ich kann versichern, daß viele dieser Gegenstände geschmackvoller und reicher gearbeitet sind, als viele Schmuckgegenstände aus Gold, die jetzt an den Schaufenstern der Genfer Juweliere den neuesten Modegeschmack repräsentiren.

Ich will mich über die Zeit der Bronzepfähler nicht weiter verbreiten. Mit dem Ende der Steinzeit, mit der Kenntniß des Metalls hört eigentlich die Urzeit der Menschheit auf. Aber das Ringen mit dem Material hört auch in der folgenden Periode nicht auf. Nach langen Jahren erst tritt das Eisen wahrscheinlich ebenso allmählich an die Stelle der Bronze, wie diese an die Stelle des Steins und des Hornes getreten war. Jedenfalls geschah letztere Einführung nicht plötzlich durch Invasion eines anderen Stammes, einer anderen Race, sondern nur nach und nach; jedenfalls waren die Bronzeinstrumente anfangs nur Seltenheiten, reichen Leuten angehörig, bis endlich die zunehmende Civilisation dem Metall mehr und mehr seine Rechte auch in den niederen Schichten der Gesellschaft eroberte. Ich will zum Schluß nur noch zwei Fragen berühren, welche mit dieser ganzen Darstellung enge verknüpft sind – das Racenverhältniß der Pfahlbauern der Schweiz zu den übrigen Urmenschen und das Alter der Ablagerungen, aus welchen wir die hier besprochenen Reste hervorgeholt haben.

In Beziehung auf den ersteren Punkt läßt sich sagen, daß die bis jetzt gefundenen Schädel der Pfahlbauern in Helvetien einem eigenen Typus angehören, der mit den bis jetzt besprochenen Schädeln gar nichts gemein hat; daß dieser Schädeltypus, den man den helvetischen oder Sion-Typus genannt hat und der sich durch große Länge und Breite auszeichnet, auch in den älteren Gräbern überwiegt und ununterbrochen von den ältesten Pfahlbauten bis in die neueste Zeit verfolgt werden kann, wenn auch in stets abnehmender Proportion, indem er von einer kurzköpfigen Race, den Alemannen und Rhätiern, nach und nach verdrängt wird, während zugleich später noch in historischer Zeit zwei Schädeltypen sich in die Schweiz einschieben, die aber niemals eine große Bedeutung erlangen. Die Fortpflanzung des ursprünglichen Schädeltypus beweist also die Autochthonie, die Urwüchsigkeit eines Theiles der heutigen schweizerischen Bevölkerung, und die Verschiedenheit von den Schädeln der übrigen Urmenschen ist zugleich so groß, daß an eine Ableitung des Typus von diesen nicht gedacht werden kann.

Das Alter aber – du lieber Himmel! Wie sollen wir mit unseren Genealogien da hinauf reichen? Tubalkain, der Vetter Noah’s, der vor der Sündfluth lebte, war schon Meister in Erz und Eisen, und ein Deuteln dieser Worte ist nicht erlaubt, denn das hebräische Wort für Eisen, das im ersten Buche Mosis vorkommt, hat nie eine andere oder eine Nebenbedeutung gehabt. Keine Tradition irgend eines Volkes führt uns in eine Zeit zurück, wo dasselbe noch kein Metall, ja noch kein Eisen kannte.

Die Berechnungen aber, die man auf geologische Gründe, auf das Anwachsen des Torfes, auf das Anschwemmen der Sand- und Kieslager, stützen könnte, sind trügerisch. Die Anschwemmungen sind kein regelmäßiger Faktor, welcher von Jahr zu Jahr sich wiederholte – auch das Anwachsen des Torfes findet nicht überall in demselben Maße statt, sondern richtet sich nach der Feuchtigkeit des Bodens, der Jahre, nach einer Menge von Bedingungen, die beträchtlichem Schwanken unterworfen sind. Man hat römische Geschirre in einer Tiefe von zweiundvierzig Centimetern im Torfe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_727.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)