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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

an der Leblosen zu machen und einen ihrer Hausgenossen zu einem Arzte zu schicken. Sie war eine mitleidige Frau. Sie rief ihrem Manne zu, zu dem nächsten Arzte zu laufen. Sie selbst eilte mit mir zurück.

Aber die Stelle war leer, auf die ich den Körper der Dame gelegt hatte. Keine Spur der Ertrunkenen war zu finden. Die Frau, die mich begleitet hatte, sah mich an, ob ich ein Wahnsinniger sei, oder ob ich sie habe zum Besten halten wollen. Ich schwor ihr, daß ich ihr die Wahrheit gesagt hatte. Sie glaubte mir. Aber wo war die Ertrunkene geblieben? Daß sie während der wenigen Minuten meiner Entfernung wieder zu sich gekommen und sich noch einmal in’s Wasser geworfen habe, war gar nicht anzunehmen. So mußte sie durch einen Dritten fortgeschafft sein, und – der Frau ging ein Licht auf. „Der Herr in dem Wagen!“ rief sie. Und dann erzählte sie.

Der Wagen, der mir begegnet war, hatte, vom Kai her kommend, an ihrem Hause angehalten. Ein junger Herr, ein schöner, vornehmer, junger Herr, wie die Frau sagte, war herausgesprungen, hatte sie gefragt, ob nicht vor etwa einer Viertelstunde eine einzelne Dame in schwarzer Kleidung vorbeigekommen; auf dem Kai habe er erfahren, daß sie den Weg hierher eingeschlagen. Die Frau hatte die Dame gesehen, wie sie ihrem Knaben den Brief gegeben. Sie sagte es dem Herrn, der rasch in den Wagen zurücksprang und den Kutscher im Galopp weiterfahren ließ.

Der Herr hatte die Ertrunkene in seinem Wagen mitgenommen. Es war die Vermuthung der Frau; es erschien mir unzweifelhaft. Für mich war nichts weiter zu machen. Der Wagen war längst fort; man sah und hörte nichts von ihm. Ich kehrte in meinen Gasthof zurück – meine nassen Kleider zu wechseln. Sie waren das Einzige, was mir von meinem Abenteuer übrig geblieben war, nebst der Erinnerung an dieses und an ein ungelöstes Räthsel, das nun für immer ein Räthsel für mich bleiben sollte. So meinte ich. Ich kam verstimmt in dem Gasthofe an, „Ein Knabe wartet auf Sie, mein Herr,“ kam mir der Kellner entgegen.

„Auf mich?“

Ich kannte keinen Menschen in ganz Antwerpen; ich wußte nicht, wer mich dort hätte kennen, wer von mir hätte wissen sollen.

„Was will er?“ fragte ich den Kellner.

„Er hat ein Billet, das er nur an Sie selbst abgeben will.“

„Lassen Sie ihn kommen.“

Eine Ahnung war plötzlich in mir aufgetaucht. Sie hatte mich nicht betrogen. Der Knabe kam. Es war derselbe Bursch, den ich mit der verschwundenen Dame gesehen, dem sie Geld und ein Papier gegeben, der mit dem Papier an mir vorbeigekommen war. Er trug es noch in der Hand.

„Sind Sie der Herr, der hier heute mit einer fremden Dame angekommen ist?“ fragte er mich.

„Ja, mein Sohn.“

„Sind Sie zu Wagen oder zu Schiff gekommen?“

„Zu Schiffe, von Harlem.“

„Sie sind es. Die Dame hat Sie mir auch so beschrieben, wie ich Sie sehe. Ich soll Ihnen dieses Billet übergeben.“

Er übergab es mir. Es war ohne Aufschrift, mit einer Oblate verschlossen, ohne Wappen oder Petschaft. Ich erbrach und las es. Ich fragte dann den Knaben noch nach der Dame.

Sie hatte ihm einen Kronthaler gegeben, wenn er pünktlich ihrem Befehle nachkommen wolle. Er hatte es versprochen. Ihr Befehl war, mit dem Billet zum Gasthof zur Stadt Amsterdam zu gehen, sich dort zu dem Herrn führen zu lassen, der heute mit ihr zu Schiff von Harlem gekommen sei, auf ihn, wenn er nicht da sei, bis zu seiner Rückkehr zu warten und ihm dann das Billet zu übergeben, nur ihm, den sie zugleich dem Knaben genau beschrieben hatte. Der gewandte Knabe hatte ihren Befehl pünktlich ausgeführt.

Der Inhalt des Billets war kurz:

„Mein Herr, ich bitte Sie, sogleich nach Empfang dieser Zeilen, jedenfalls noch am heutigen Abende, sich zu dem Pater Canisius zu begeben und ihm die verschlossene Cassette zu überbringen, die Sie in meinem Zimmer finden werden. Die Wohnung des Pater Canisius kann Ihnen Jedermann in Antwerpen zeigen.“

Eine Unterschrift fehlte. Die Schrift war fein und zeigte eine gebildete Dame. Mein Abenteuer war also noch nicht zu Ende. Jedenfalls sollte das Räthsel kein ungelöstes bleiben. Ich wechselte schnell meine Kleider. Dann fragte ich den Kellner, wo der Pater Canisius wohne. Der Mann sah mich verwundert an.

„Der Pater Canisius spricht keinen Menschen.“

„Und warum nicht?“

„Es geht auch kein Mensch zu ihm.“

„Wer ist der Pater Canisius?“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen, mein Herr. Ich bin erst seit einigen Monaten in Antwerpen und habe nur im Allgemeinen gehört, wie Jedermann von dem alten Pater Canisius als einem unheimlichen Menschen spricht, der Niemanden zu sich lasse, mit dem aber auch Niemand etwas zu thun haben möge. Einzelnes kann ich Ihnen nicht mittheilen; Sie werden aber von dem Herrn Wirth Näheres erfahren können.“

Er führte mich zu dem Wirth.

„Sie wünschen Nachricht über den Pater Canisius?“ fragte der Wirth.

„Ich bitte darum. Ich habe ihm einen Besuch zu machen.“

„Und kennen ihn nicht?“

Der Wirth sah mich halb verwundert, halb mißtrauisch an.

„Ich habe einen sehr dringenden und wichtigen Auftrag an den Pater,“ sagte ich.

Er schüttelte den Kopf, aber er gab mir die Auskunft, die ich wünschte.

„Der Pater Canisius ist ein Mann, dessen Alter man auf mindestens fünfundachtzig Jahre schätzt. Wie er aussieht, das weiß man schon seit vielen Jahren nicht mehr; es sieht ihn nur sein alter Diener, und dieser spricht nie von ihm. Er ist Jesuitenpater. Er nahm in dem Orden schon eine bedeutende Stellung ein, als dessen Aufhebung vor etwa dreißig Jahren erfolgte. Er soll jetzt – der Orden besteht noch, Sie werden es selbst wissen, mein Herr, Sie sind ja Geistlicher, denn Sie tragen die Tonsur, wie ich sehe – der Orden besteht, trotz jenes Verbots; er besteht durch die ganze katholische Welt, im Geheimen, Verborgenen, desto fester zusammenhaltend. Und der Pater Canisius soll seitdem in der Gesellschaft Jesu von Stufe zu Stufe höher gestiegen sein und gegenwärtig, wie man sagt, an seiner Spitze stehen, Ordensgeneral sein. Es wäre erklärlich. Er hatte immer den Ruf eines der gelehrtesten, strengsten und frömmsten Mitglieder des Ordens. Er hat sich seit Aufhebung des Ordens von jedem Umgange zurückgezogen; nach Manchem zu urtheilen, muß er aber ein fürstliches Vermögen haben. Zu bestimmten Zeiten kommen des Jahres Personen zu ihm, von denen Niemand weiß, wer sie sind und was sie bei ihm wollen. Sie gehen in der Nacht zu ihm, kehren in der Nacht von ihm zurück; man sieht sie nur in weite, dunkle Mäntel gehüllt; man weiß nicht, woher sie kamen, man weiß nicht, wohin sie wieder gehen. In den Gasthöfen der Stadt logiren zu derselben Zeit unbekannte Fremde, deren Wesen man ansieht oder anzusehen glaubt, daß sie hohe Würdenträger der Kirche seien. Ermessen Sie selbst, ehrwürdiger Herr, in wiefern das Gerücht von jener hohen Stellung des Pater Canisius entstehen konnte, aber auch begründet sein kann. Das Volk hat aus jenen Erscheinungen indessen andere Folgerungen gezogen. Wie es leicht alles Verborgene und Geheimnißvolle mit Zauberei und mit bösen oder guten Geistern, am liebsten mit den bösen Geistern der Hölle, in Verbindung setzt, wie besonders der Orden der Jesuiten schon vor und später noch mehr seit seiner Aufhebung in solche Verbindung gebracht wurde, so sind auch die schwarzen Männer, die um Mitternacht zum Pater Canisius schleichen, der Masse nur böse Geister, mit denen er seinen Pact gemacht hat, die ihm dienen, ihm das hohe Alter gewährleisten, ihm seine großen Reichthümer bringen müssen. Darum scheut ihn das Volk und Niemand mag unmittelbar mit ihm verkehren. Unmittelbar, sage ich. Denn der Pater Canisius ist der Vater der Armen, der Helfer der Hülfsbedürftigen, der Retter in der Noth. Dazu verwendet er sein großes Vermögen, und er macht keinen Unterschied zwischen Christen und Juden, zwischen Katholiken und Protestanten, und Alle wenden sie sich durch seinen Diener an ihn, und die Bedürftigen und Würdigen werden herausgefunden, mit sicherem Blick, Gott weiß wie, und Alle nehmen von dem Manne, von dem sie überzeugt sind, daß er seine Seele dem Teufel verkauft habe, und Alle segnen den Mann und beten für seine arme Seele. Da haben Sie den Widerspruch der Menschen; da haben Sie den Mann, zu dem Sie wollen.“

(Schluß folgt.)
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