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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die der Andern gewesen. Nach wechselvollen Schicksalen, in der Reformationszeit und im dreißigjährigen Kriege, wie so viele andere deutsche Städte, mehrfach ausgeplündert und verheert, hat sie, erst in der neuesten Zeit zum Königreich Baiern gehörig, Muße gefunden, sich würdig zu heben und zu entfalten, und wenn erst die projectirte Eisenbahn das Mainthal hier durchzieht, wird sie einer neuen Blüthe entgegengehen. Und daß diese eine reiche und schöne sein wird, dafür bürgt der aufgeweckte, regsame Geist ihrer Bewohner. Zweifelsohne werden sich die Bergwände und das Thal mit reizenden Landhäusern schmücken, erbaut von gebildeten wohlhabenden Menschen, welche in Miltenberg einen der gesündesten und angenehmsten Aufenthaltsorte Deutschlands entdecken werden. –

Außer vielen wackern Männern haust jetzt ein merkwürdiges Männerkleeblatt in Miltenberg, von welchem jeder in seiner Art sehr interessant und schätzenswerth ist: der Dichter Ludwig Bauer, der Geschichtsschreiber Madler und der Alterthumsforscher Habel. Dr. L. Bauer, Lehrer an der Studienanstalt, ist einer der originellsten und begabtesten Lyriker unserer Tage und ein sehr geistesreger elastischer Kopf, der sich durch eigne angeborne Kraft auf die Zinne der Neuzeit geschwungen und von ihr das Leben beherrscht. Seine Gedichte (2. Aufl., Würzburg, Stuber) enthalten eine überraschende Fülle von Schönheit und gefälliger Anmuth, aber – was den Werth des Mannes noch sehr erhöht – er steht als politischer Dichter durch hohe Freisinnigkeit, Witz, Humor, Satire und Gewandtheit in der vordersten Reihe; dabei ist er heiterer, gemüthlicher Umgangsmensch und als Parteimann muthig und unerschrocken.

Die Miltenburg.

Dr. phil. Jos. Madler ist fürstlich leiningenscher Revierförster und fleißiger, geschickter Geschichtschreiber seiner Vaterstadt Miltenberg und deren Umgegend. Wir verdanken ihm eine Anzahl historischer Monographien, die für höhere und allgemeine Geschichtsdarstellung ein schätzbares Material bieten. Die Verdienste solcher Localgeschichtschreiber sind immer hoch anzuschlagen; denn aus der richtig erforschten und dargestellten Localgeschichte kann erst die wahre allgemeine Geschichte hervorgehen. Der treffliche Madler ist aber auch Auffinder von einer nicht geringen Anzahl zum Theil wichtiger römischer Alterthümer in den Bergen des Odenwaldes, die ohne ihn wohl nie zur Kenntniß der Alterthumsforscher gekommen wären. Das Rathhaus in Miltenberg bewahrt mehrere werthvolle Denksteine mit altrömischen Inschriften auf, die Dr. Madler aufgefunden hat. In gerechter Würdigung seiner Verdienste um die vaterländische Geschichtschreibung haben eine Menge historischer Vereine den geistesregen Mann zu ihrem Ehrenmitglied und Correspondenten ernannt. Es ist gewiß eine Seltenheit, wenn nicht gar ein Unicum, daß ein Revierförster tüchtiger Geschichtschreiber, Alterthumsforscher, Doctor der Philosophie und Ehrenmitglied bedeutender wissenschaftlicher Vereine ist.

Der dritte und interessanteste dieser Männer ist der quiescirte herzoglich nassauische Archivar Habel, der jetzige Besitzer der Miltenburg, die nach ihm vom Volksmunde schon allmählich den Namen „Habelburg“ erhält. Wenn ich von Madler die Vermuthung äußerte, er möchte wohl ein Unicum sein, so darf ich das von Habel als Gewißheit aussprechen. Es giebt keinen zweiten Mann in der Welt von Habel’s eigenthümlichem Wirken und Verdienst, und es hat nie einen andern gegeben. Wie oft, wenn ich diesem verehrungswürdigen Manne gegenüber saß, in den hellen, heitern, vom Flügelschlag des deutschen Genius durchfächelten Gemächern seiner Burg, und wir, die Gläser voll würzigen Rhein- oder Mainweins aus seinem Keller, auf die würdige Zukunft unseren Vaterlandes zusammen anstießen, die wir Grauköpfe nicht erleben sollen – zuweilen ließen Bauer und Madler ihre Gläser auch mitanklingen – und ich mich in sein mildes schönes Auge und in die fein und schelmisch lächelnden deutsch-humanen Züge Habel’s vertiefte, kam mir der Gedanke: Wie wunderbar mannigfach ist doch die Strahlenbrechung des deutschen Geistes in den verschiedenen edlen deutschen Geistern! Wie glühen und flammen sie alle für des gemeinsamen Vaterlandes Ehre, Ruhm, Einheit und Größe! Wie streben sie alle auf den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_717.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)