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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Und dennoch halfen Jugendlust und Jugendmuth leicht und schnell über solch bittere Erfahrungen hinweg! Zudem war ja auch bei den Wanderburschen getheilter Schmerz nur halber Schmerz; denn er reiste selten oder nie allein, sondern immer in Gesellschaft von Gesellen seiner eigenen oder auch einer fremden Zunft. „Mit Erlaubniß! Sind Sie ein fremder (Bäcker- etc.) Geselle?“ war auf der Straße die stehende Anrede. Die Worte: „Zu dienen, ich bin ein fremder (Bäcker- etc.) Geselle!“ enthielten die übliche Antwort. Darauf reichte man einander die Hand. Nachdem alsdann über Woher? und Wohin? die nöthigen Mittheilungen gewechselt worden waren, theilte man sich im gemüthlichen Geplauder die gegenseitigen Erfahrungen und Erlebnisse mit, für die Zukunft wohl auch Reisepläne entwerfend, die freilich dadurch oft gekreuzt wurden, daß nicht alle zugereisten Gesellen in der in’s Auge genommenen Stadt Arbeit bekamen.

Der in das Handwerksburschenleben Eingeweihte erkannte nicht nur an bestimmten, oft unscheinbaren Abzeichen am Felleisen oder dem Bündel und an der Kleidung, sondern auch am Gange und an der Haltung, welcher Zunft der Einzelne angehörte. So trugen die Gerber ihr Bündel in einem gelben, die Färber in einem dunkelblauen Tuche. Bei diesen war der Knotenstock in Blauholz schwarz, bei jenen in Eichenlohe gelb gefärbt. Das Bündel der Seifensieder hatte an beiden Enden sogenannte Wulste, während dasjenige der Seiler an beiden Seiten schön abgerundet sein mußte und an einem vom Seiler selbst gefertigten Gurte getragen wurde. Die Mühlknappen erkannte man an ihrem weißen Bündel und die Klempner – wenigstens in späterer Zeit – an dem grünen Berliner. Bei den Brauern mußte auf dem Felleisen eine weiße Schürze sichtbar sein, ebenso bei den Maurern zwei Finger hoch das Schurzfell. Die Nagelschmiede führten einen in ein ledernes Schurzfell gewickeltes Bündel, auf welchem außen eine Raspel befestigt war, während die Hufschmiede an dem in gleicher Weise angebrachten Hammer zu erkennen waren. Die Bäcker trugen zwar auch blaue Bündel, ihr Knotenstock war aber von weißer Farbe. Die Zimmerleute erkannte man an ihren weiten manchesternen Hosen, die Maurer dagegen an den steifen Stiefeln, an den Hosen von weißem englischen Leder, an ihren zugeknöpften Röcken und dem mehr seitwärts nach hinten zu gesetzten Hute. Die Metzger trugen einen Gurt um den Leib und meist blau- oder rothweiße Jacken. Die Schieferdecker erkannte man an ihrem Hammer, welcher an einer um den Leib geschlungenen Kette getragen wurde. Bei den Schornsteinfegern endlich war das Erkennungszeichen die in einem Gürtel eingehakte Kratze.

Auch die verschiedene Art der Arbeit bewirkte Erkennungszeichen für die betreffenden Handwerke. Bei den Färbern sorgte die Küpe, bei den Gerbern die Lohe für ein untrügliches Signalement. Die Bäcker erkannte man an den Säbelbeinen, die Tischler und Buchbinder an der erhöhten rechten Schulter. Bei den Seilern war die linke Seite nach vorn zu gehalten und der Kopf etwas geneigt; bei den Schmieden dagegen das linke Bein nach innen gebogen und die Haltung, uamentlich bei hohen Staturen, gebückt. Die Schuster pflegten bekanntlich einen gewissen Körpertheil mit ganz besonderer Emphase nach hinten zu strecken; die Schneider dagegen ließen durch besonders auffallende burschikose Tracht und den Schnitt des Haares auf ihre Kunst schließen. In dieser Hinsicht stand den Schneidern am nächsten das Volk der jungen Barbiere, welche außerdem an dem Schlenkern der Arme und an den geseiften Händen zu erkennen waren.

Sieben Zünfte – und gewiß nicht zufällig gerade sieben – nämlich die Roth- und Weißgerber, die Seifensieder, die Färber, die Hutmacher, die Kupferschmiede und die Schornsteinfeger, führten den gemeinschaftlichen Namen „die Schwäger“. Die Meister dieser Innungen redeten die Gesellen mit Du an, und unter den Gesellen eben derselben Zünfte war der Du-Comment eingeführt. Bei fast allen übrigen Zünften aber wurden die Gesellen vom Meister und untereinander mit Sie angeredet. Auf der Straße und beim Zureisen auf der Herberge riefen die Schwager einander ein kurzes „Hui, Schwager!“ zu, wobei jedes Mal die rechte Hand gleichsam salutirend über das rechte Auge zu legen war. Wenn sich fremde Bäckergesellen begegneten, so rief der erste: „Hui, Schütz!“ und der zweite antwortete: „Löwenschütz!“ Die Bäcker führen nämlich einen doppelten Löwen im Wappen. Die Metzger begrüßten einander mit dem Worte: „Katzof!“ (Schlächter), worauf mit dem ebenfalls dem Judendeutsch entlehnten Worte: „Ken“ (Ja) geantwortet wurde. Unter den Schwägern bildeten die Schornsteinfeger die am wenigsten von der Cultur beleckten, da natürlich außer den Söhnen der Schornsteinfegermeister nur Jungen der niedrigsten Stände sich diesem Berufe zuwandten. Die Färber repräsentirten in der „Schwägerschaft“ die Aristokratie, da sie meist wohlhabenderen Familien entstammten, hohe Löhne empfingen und auch, wie wir weiter unten wahrnehmen werden, auf der Wanderschaft nicht auf der Herberge, sondern bei den Meistern Quartier und Kost erhielten. Die Gerber waren aus Gründen, die wohl ebenfalls ziemlich nahe lagen, nicht selten versucht, anderen Zünften gegenüber ihre Ueberlegenheit durch ein gemessenes, zurückhaltendes Wesen an den Tag zu legen. Von den Schuhmachern ging – gewiß aber nur boshafter Weise – die Rede, daß sie, meist eigensinniges, knurriges, zum Krawallen geneigtes, auf ihr Metier äußerst stolzes Volk, die knotige Seite des Handwerksburschenleben in Manieren und Sprache vertreten hätten, die raffinirtesten Schimpfer wären und in der ganzen Welt in schwarzem Bunde mit allen Depots des Frankfurter Hühneraugenpflasters stünden. Unter den Fettlappen oder Tuchmachern gab es viele gemüthliche Gesellen oder vielmehr „Knappen“, die einen derben Schwank und Scherz unter Umständen mit Geld bezahlten. Die Schneider endlich, die ja selbst dem Kaiser „auf den Leib kommen“ – selbstverständlich nur beim An- oder Abmessen – und in England die höchsten Staatsmänner zu ihren Zunftgenossen zählen, hielt man für die affectirtesten und rücksichtlich des Blickes den Astronomen verwandtesten unter dem gesammten Gesellenstande, und mit Recht mögen sie wohl manchen Anlaß zu Spott und Hohn gegeben haben; daß sie aber auch viefach unschuldig leiden mußten und daß ihnen häufig Dinge untergeschoben wurden, die sich später als reine Erfindungen erwiesen, dafür fehlt es ebenfalls nicht an Belegen. So wurde in vielen deutschen Städten in früherer Zeit gemunkelt, die Schneidergesellen säßen nicht selten auf ihrer Herberge bei verschlossener Thür um einen großen runden Tisch herum, über welchem ein an einer Schnur befestigter Hering von der Decke des Zimmers herabhinge. Während jeder Geselle nun seine beiden Zeigefinger auf den Tisch zu legen habe, setzte der Altgeselle den Hering durch einen Schlag in Bewegung, wobei die um den Tisch Sitzenden sich bemühten, mit der Zunge mit dem hin und her geschwungenen Hering in Berührung zu kommen, um auf diese Weise ihren Fischappetit zu stillen. Die sorgfältigsten, die gewissenhaftesten Forschungen haben ergeben, daß diese ganze Erzählung rein aus der Lust gegriffen ist und sich als eine infame Beleidigung der ganzen ehrsamen Schneiderzunft erweist. Selbstverständlich reden wir hier nicht von der Gegenwart, sondern von längst vergangenen Zeiten.

Beim Zureisen in eine Stadt, wo seiner Zunft angehörende Meister wohnten, hatte der Handwerksbursch gewisse alte Gebräuche zu beobachten. Ohne Ausnahme war es bei allen Zünften Sitte, „mit Rock, Stock, Hut und Bündel“ oder „Felleisen“ einzuwandern. Das Bündel war hierbei stets über der linken Schulter zu tragen und der Cylinderhut mußte mit einem schwarzen Wachstuch überzogen sein. Im Sommer legte man den Staubmantel vor dem Thore ab. Bei den Hufschmieden und einigen anderen Zünften wurde der linke Tragriemen des Felleisens, welcher zum Einhaken eingerichtet war, beim Einwandern in eine Stadt oben über den Tornister zurückgeschlagen. Zuweilen und namentlich wenn Festtage im Anzuge waren, wurde die Sache auch mit Humor betrieben. In Wien, Lauban, Zittau und vielen andern deutschen Städten kam es nicht selten vor, daß dreißig bis vierzig Färbergesellen, die von verschiedenen Seiten zugereist kamen, sich vor einem und demselben Thore sammelten, aus der Stadt eine Musikbande herbeiholten und in Procession unter Vorantragung einer langen Stange, von welcher eine blaue Färberschürze herabwehte, mit Trompeten und Pauken ihren Einzug hielten. Alsdann wurde vor das Haus des Obermeisters gezogen, diesem ein Vivat gebracht, und in gleicher Weise hierauf auch die Herberge begrüßt.

Das Ceremoniel beim „Umschauen“ oder „Zusprechen“ war ebenfalls an ganz bestimmte Formen gewiesen. In manchen Städten wurde das „Geschenk“ von jedem einzelnen Meister verabreicht, in anderen aber im Ganzen aus der Handwerkscasse ausgezahlt. Auf der Herberge erhielt der zugereiste Handwerksbursch vom Herbergsvater das „Umschaubuch“, welches die Namen der Meister mit Angabe ihrer Wohnungen enthielt. Das Umschaubuch wurde zunächst zum Obermeister getragen, welcher in längerer oder kürzerer Ansprache – der sogenannten „Schuldigkeit“ – die bei einzelnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_699.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)