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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sah plötzlich über seinem Kopf die Decke, in dieser Decke einen viereckigen Ausschnitt, in diesem Ausschnitt eine ihn schließende Klappe, die sich eben senkte, um die Durchlaß gewährende viereckige Oeffnung zu schließen. Im Eifer, im zornigen Sturm seiner Verfolgung, fuhr er mit beiden vorgestreckten Armen wider diese Klappe an, schleuderte sie empor und stand, bevor eine Secunde vergangen, in dem obern Raum, in den die Oeffnung führte; zugleich fiel mit einem heftigen lauten Gekrach die stürmisch aufgeschleuderte schwere Klappe zurück und in den Durchlaß hinein.

Horst sah sich in einem runden, eiförmig über ihm gewölbten Raum, der sein Licht von oben erhielt; er sah vor sich Eugenie stehen und fühlte sich vor Aufregung, Verwunderung und Bestürzung völlig sprachlos. Die Verwunderung, die Bestürzung wurden verursacht von dem Anblick, den ihm das junge Mädchen darbot.

Ihr Gesicht war dunkelroth und wurde dann leichenblaß, bleich wie der Kalk an der Wand hinter ihr … sie streckte beide Arme vor, sie lallte ein paar unverständliche Worte, sie ließ dann die Hände sinken, sie schlug sie vor’s Gesicht, als ob sie einen fürchterlichen Anblick von sich abwehren wolle, sie verrieth in jeder ihrer Bewegungen einen Zustand, als ob sie sterben wolle vor Angst.

Horst stand mehrere Minuten lang stumm und ohne eine Silbe hervorbringen zu können vor diesen Symptomen einer unerklärlichen Erschütterung.

„Mein Fräulein,“ stammelte er endlich, einen kleinen Schritt näher tretend „ … finde ich Sie hier … sehe ich endlich …“

„Kommen Sie nicht näher, kommen Sie nicht näher, rühren Sie mich nicht an, oder ich sterbe!“ rief Eugenie auf mit einem herzerschütternden Tone der Verzweiflung.

„Um Gotteswillen, Sie scheinen ja eine ganz fürchterliche Angst vor mir zu haben … ich begreife nicht …“

„O, Sie sind ein fürchterlicher, ein abscheulicher, böser Mensch!“ rief sie jetzt wie im hellen auflodernden Zorn, „wie ist es möglich, daß…“

„Ich ein böser, abscheulicher Mensch? Das sind seltsame Vorwürfe, während ich Ihnen doch nur gefolgt bin, um Ihnen zu sagen …“

„Sie sollen mir nichts sagen, ich will nichts hören, nichts … keine Silbe, Sie sollen mich gehen lassen, ohne mich anzurühren!“

„Nun, mein Gott,“ versetzte Horst, der bei diesem seltsamen Benehmen, bei diesem beleidigenden Mißtrauen der jungen Dame auch ein Etwas wie plötzlichen Zorn in sich aufkochen fühlte, „ich bedaure in hohem Grade, daß Sie sich unnützer Weise so furchtbar ängstigen … Sie anzurühren ist durchaus nicht meine Absicht, wenn ich auch nicht im Entferntesten ahne, weshalb Sie zu fürchten scheinen, daß ich etwa die Pest habe und meine Berührung Sie tödten würde! Und wenn Sie gehen wollen, ohne mich angehört zu haben, mein gnädiges Fräulein, so vertrete ich, wie Sie sehen, Ihnen den Weg nicht!“

Eugenie sah ihn groß an; es schien, sie bedurfte der Zeit, seine Worte zu verstehen und sich klar zu machen. Sie athmete hoch auf. Sie machte einen Schritt der Klappe zu, die allein aus diesem Behältniß hinausführte; Horst zog sich, sie mit Blicken, in denen Zorn und Trauer lägen, messend, so weit zur Seite zurück, wie es ihm nur möglich war, er drückte sich förmlich an die Wand.

Sie hielt ihr Auge in scheuer Angst auf ihn gerichtet, während sie langsam schwankend weiter ging … es war, als ob sie eines Zusammenraffens all ihres Muthes bedürfe, bevor sie wagte, sich zu bücken, um den Ring zu fassen, mit dem man die Klappe aufhob … noch einen letzten Angstblick auf ihn, dann wagte sie es in der That; aber die Klappe hob sich nicht!

„Sie sehen,“ sagte jetzt Horst in fast spöttischem Tone, „die Klappe ist zu schwer für Sie; Sie werden am Ende doch gestatten müssen, daß ein so gefährlicher Mensch wie ich Ihnen näher tritt, um die Arbeit für Sie zu verrichten!“

Eugenie riß mit aller Kraft, mit beiden Händen an dem Ringe … aber fruchtlos. Horst sah ihr mit ironisch bitterem Lächeln zu, ohne ihr zu helfen!

„Es geht nicht,“ sagte er dann, „Sie sehen, ohne mir mit einem guten Wort eine gewisse Ehrenerklärung zu gönnen, ist keine Rettung für Sie möglich!“

Eugenie sah zu ihm aus, und plötzlich schössen ihre Augen voll Thränen; ein ganzer Strom rieselte ihre bleichen Wangen hinab.

„O mein Gott!“ rief Horst von diesem Anblick wie vollständig umgewandelt und mit einem Tone wahrer Trauer aus, „bin ich Ihnen denn wirklich eine so fürchterliche, so ganz entsetzliche Erscheinung … beruhigen Sie sich doch, Sie werden im nächsten Augenblick befreit sein und mich nie wieder sehen!“

Betroffen von diesem Tone hielt Eugenie ihre Thränen ein, in dem Blick, den sie auf ihn warf, während er jetzt rasch an den Ring herantrat und sich zu ihm niederbückte, lag etwas von zurückkehrender Beruhigung.

Aber auch dem Kraftgriff, mit dem Horst den Ring emporreißen wollte, folgte die Klappe nicht.

„Das alte Holzwerk hat sich geklemmt, die Klappe ist so heftig in die Oeffnung hineingeschlagen, daß sie nun schwer wieder herauszuziehen ist…“

Er machte noch einen vergeblichen Versuch, und blickte dann halb rathlos, halb spöttisch zu dem jungen Mädchen auf.

Eugenie begegnete diesem Blick mit einem Ausdruck von zurückkehrender grenzenloser Bestürzung.

Horst schwieg einen Augenblick.

„Sie denken,“ sagte er dann achselzuckend, „ich spiele Komödie und stelle mich nur so, als vermöchte ich die Last nicht zu heben.“

Eugenie antwortete nicht.

„Es thut mir leid,“ fuhr er fort, „aber ich kann leider nichts daran ändern. Vielleicht werden wir fertig damit, wenn es Ihnen möglich wäre, Ihre Furcht vor mir so weit loszuwerden und mir so nahe zu kommen, daß wir den Ring gemeinsam fassen … vielleicht gelingt es unseren vereinten Kräften, was ich allein mit dem besten Willen nicht zu Stande bringe!“

Der Versuch mit vereinten Kräften wurde gemacht… Eugenie trat dazu rasch und wie ein wenig beschämt über ihr bisheriges Betragen heran und zeigte auch kein Symptom von Erschrecken, als Horst’s Schulter beim Niederbeugen die ihre berührte. Nichts destoweniger mißlang der Versuch.

Horst stieß nun einen zornigen Ausruf aus, kniete mit beiden Knieen vor dem Ring und zog daran mit dem Aufgebot aller seiner Kraft, so daß die Schweißperlen über seine Stirn rannen. Nach einigen Augenblicken erhob er sich.

„Mein gnädiges Fräulein,“ sagte er, „ich bedauere Ihnen erklären zu müssen, daß wir hier in allem Ernste eingesperrt sind. In der Hast, Ihnen zu folgen, in dem stürmischen Verlangen, Sie zu sehen und die Gelegenheit, mich gegen Sie auszusprechen, um keinen Preis fahren zu lassen, habe ich eine Unbesonnenheit begangen und diese einzige Thüre in die Freiheit sich auf eine Weise hinter mir schließen lassen, die uns nun den Ausgang versperrt. Es ist das leider mein Charakterfehler, daß ich ein wenig rasch und unbesonnen bin, und hier seh ich einmal wieder, wohin das führt! Wir sind gefangen! Ich kann Ihnen nur mein Bedauern darüber aussprechen, und – das Ehrenwort eines Mannes, daß ich es bedauere! Ich habe diese Lage verschuldet … ob Sie mir glauben wollen, daß es unabsichtlich geschah, das muß ich Ihnen überlassen … große Hoffnungen hegen darf ich in dieser Beziehung freilich nicht, denn ich habe Sie von einem so seltsamen Mißtrauen, von einem solchen Schrecken vor mir erfüllt gesehen …“

„Mein Gott, o mein Gott!“ antwortete Eugenie nur, die wieder leichenblaß geworden war und sich in rathloser Angst rund umher in dem Raume umsah, ob denn nichts da sei, das ein Mittel zur Rettung aus dieser Lage werden könne.

Auch Horst untersuchte den Raum jetzt näher. Es war offenbar das Innere einer Thurmkappe, wie man ihrer zwei, in der Form kleiner Kuppeln, mit Kupfer gedeckt, außen die beiden Thürme krönen sah, welche rechts und links Schloß Falkenrieth flankirten.

Die Wände bestanden aus gekrümmten, daubenartig nebeneinander befestigten und nach oben hin immer schmaler werdenden Eichenbohlen, die um eine oben angebrachte runde, vielleicht zwei Fuß im Durchmesser haltende Oeffnung, durch welche das Licht einfiel, zusammenliefen. Ein starker Holzring wie eine Radfelge hielt sie hier zusammen. Durch die Oeffnung aber blickte man in eine kleine, die Kuppel krönende, rings offene Thurmlaterne hinein. Die Höhe der Kuppel betrug ungefähr sieben Fuß vom Boden an. Der Raum selbst war vollständig leer; er zeigte nichts als die mit weißer, stellenweise abgefallener Tünche überzogenen Wände und auf dem Boden, da wo Eugenie zuerst gestanden, ein blaubroschirtes Buch.

„Die Hülfe aus unserer Lage,“ hub Horst nach einer Pause wieder an, „kann uns nur von außen kommen. Aber sie herbeizuziehen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_690.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)