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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

angeregter. „Was ist denn der Lohn des Künstlers,“ fuhr er fort und legte seine Hand theilnehmend auf die meinige, „der es ernst meint, für alle seine Anstrengungen? Sind es die Collegen, die ihn als ebenbürtigen Genius mit ungeheuchelter Achtung und Freundschaft aufnehmen? In’s Angesicht, ja; hinter seinem Rücken zucken sie erhaben mitleidig die Achseln über seine Einbildung, sich auch als einen Maler fühlen zu wollen, da er doch nicht gerade so componirt wie sie. Ist es die Kritik, die ihm Gerechtigkeit widerfahren läßt? Die Journale zeigen’s. Entweder Erhebungen seiner Freunde, die, selbst im Falle daß sie reine Wahrheit redeten, dem Künstler keine Freude machen können, weil er aus der Quelle der Freundschaft keine reine Wahrheit schöpfen kann, oder Herabsetzungen des Neides und feindseliger Coterie. Sind es die öffentlichen Ehrenbezeigungen, die Applaudissements, zugeworfenen Kränze, Dacapos, zwei-, dreimaligen Hervorrufe unmittelbar hintereinander? Sie können dem echten Künstler keine Genugthuung bereiten, denn dieselben Ehren, die heute ihm, werden morgen dem gewöhnlichsten Talente entgegengebracht, wenn es nur das ‚Klappern‘ geschickt auszuüben versteht. Was bleibt also, frage ich, nach all dem problematischen Zeug einem Künstler für seine treue Hingabe an die Kunst übrig?“

„Der an der halbgeöffneten Thür, im tiefsten Innern ergriffene, den hohen Genius voll begreifende, begeisterte arme Jüngling,“ fiel ich ein, „ferner derjenige, welcher jetzt das Glück hat, an Ihrer Seite sitzen zu dürfen, und übrigens – Millionen guter, treuer, unbefangener Menschenherzen, denen Sie durch Ihre Schöpfungen so viele Stunden reinsten Glücks geschenkt und die Ihnen dafür danken, Sie lieben und verehren.“ – Meine warme Rede that dem kranken Meister sichtlich wohl. Er sah, daß sie aus einer unmittelbaren wahren Empfindung floß.

„Es macht mir immer Freude,“ sagte er freundlich, „mich mit jungen Männern zu unterhalten, die ein ernstes und redliches Streben in ihrer Kunst bekunden. Führt Sie Ihr Lebensweg einmal nach Dresden, so werden Sie nicht an meiner Wohnung vorübergehen, und Sie sollen wohl aufgenommen werden.“

Er reichte mir die Hand. Ich zog sie, trotz seines Sträubens, an meine Lippen und drückte mehrere heiße Küsse darauf. Dann entfernte ich mich rasch. Ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehen.

Das eingefallene Angesicht, mit jener kränklichen Blässe überzogen, die mir schon wie ein Widerschein des immer näher schwebenden Todesengels traurig ahnungsvoll das Herz beengte, ließ die Hoffnung auf eine längere Lebensdauer des Meisters nicht aufkommen. Jenes schreckliche Uebel, das kein Erbarmen kennt und aller Hoffnung spottet, die Lungensucht, hatte ihr Zerstörungswerk längst in ihm begonnen. Dennoch nahm er den Auftrag des Covent-Garden-Theaters zur Composition des „Oberon“ an. Mehr als die Ehre, deren er seit dem Freischütz zur Genüge genossen, mehr als der schöpferische Drang nach einem neuen Werke, den ihm der Musiksinn des englischen Publicums schwerlich in hohem Maße erregen konnte, mochte ihn diesmal die heiße Liebe zu den Seinen, für die er eine reiche Ernte zu halten und ihre Existenz dadurch nach seinem Tode zu sichern hoffte, antreiben zu langer Reise im Winter, über’s Meer, und mit der Last einer erst halbvollendeten Partitur. Die Anstrengungen, die ihn in London empfingen, die Direction der Concerte, des „Freischütz“ und „Oberon“, das Probehalten, Componiren, die Gesellschaft der Freunde und derer, die den berühmten Künstler bei sich gesehen haben wollten, die Nebel und Dämpfe Londons – das Alles mußte die schwindende Lebenskraft vollends verzehren.

Nur ein Gedanke lebte in seiner Seele, der Gedanke an das Wiedersehen seiner Lieben, nur ein Gefühl regte sich noch in seinem Gemüth – das Heimweh! Er hatte versprochen über Paris zurückzukehren, wo ihn neue Aufträge erwarteten, er gab sie auf; man wünschte ihn in London länger zu behalten, er kürzte den Aufenthalt nach Möglichkeit ab, die Tage, die Stunden zählte er ununterbrochen bis zu dem Augenblick, wo er den Reisewagen besteigen könne. Aber dies heißersehnte Glück des Wiedersehens war dem versagt, der Anderen so viel glückliche Lebensstunden geschenkt hatte. Am 4. Juni Abends befand er sich noch in Gesellschaft seiner Freunde. Er verließ sie mit dem Ausdruck des Gedankens, der allein noch seine Seele einnahm: „Wieder einen Tag dem Wiedersehen näher!“ Allein begab er sich in sein Zimmer, im Hause seines edlen Freundes, Sir George Smart, bei dem er wohnte. Was sich von da an mit dem Meister begeben, weiß Niemand. Er wurde am nächsten Tage, den 5. Juni, nicht sichtbar, die Thür war und blieb verschlossen. Als die Freunde, davon benachrichtigt, herbei kamen, lauschten und seinen Namen riefen, erfolgte keine Antwort. Nun erbrach man spät am Tage sein Zimmer. Da lag der Meister, wie ruhig schlummernd, todt im Bett. Obwohl die Katastrophe nahe geschienen, hatte sie doch Niemand so schnell erwartet! Wenn in dem Gedanken „ein schöner Tod“ Trost für den Verlust unserer Lieben liegen kann, so konnte man ihn hier finden. C. M. v. Weber hat allem menschlichen Ermessen nach einen schönen Tod gehabt. So hoffnungslos sein Zustand in den Augen aller seiner Freunde war, den Lungensüchtigen selbst verläßt die Hoffnung auf Genesung nicht; ja, die meisten wenigstens sollen sich, je näher der Auflösung, desto näher der Genesung wähnen. Jedenfalls zeigt die letzte Aeußerung Webers an jenem Abende, als er die Gesellschaft verließ: „Wieder einen Tag dem Wiedersehen nahe,“ daß er den vollen Glauben daran in sich hegte.

Mit dem Gedanken an Frau und Kind in der schönen lieben deutschen Heimath ist der Meister aller Wahrscheinlichkeit nach hinüber geschlummert.

Was man dem Künstler an Ehren anthut, wenn er seine irdische Bahn durchwandelt hat, darüber will ich kein Wort weiter verlieren. Schiller mußte aus Stuttgart fliehen, weil er nicht aufhören wollte zu dichten, später setzten sie ihm in Stuttgart eine Statue, weil er zu dichten nicht aufgehört hatte. Eine Huldigung aber, die ein großer Künstler in einem andern Kunstgebiete, der Malerei, unserem großen Tondichter gebracht, hat mich tief gerührt, eine Huldigung, welche das obige Bild geschaffen, und mit der Geschichte derselben, wie sie uns der talentreiche Sohn, Max von Weber, gütigst mitgetheilt, will ich meinen kleinen Artikel schließen.

„Das obige Bild,“ schreibt der Sohn an den Herausgeber der Gartenlaube, „ist von einem der größten jetzt lebenden belgischen Maler, dem Director der königlichen Akademie zu Antwerpen, de Keyser, der ein warmer Freund der Musik meines Vaters war. Vor einer Reihe von Jahren sandte dieser berühmte Künstler ein Bild zur Dresdner Ausstellung, das ein reines Phantasiestück war und das er „den letzten Augenblick Carl Maria v. Weber’s“ nannte. Der Gedanke war an das verlöschende Licht auf dem Piano und den hereinbrechenden Morgen geknüpft, der das Gesicht des sterbenden Meisters beleuchtet. An ein historisches Factum war er nicht gebunden. Das Bild war nichts Anderes, als eine lebensgroße Darstellung desselben Bildes, das Sie Ihren Lesern in der heutigen Nummer vorlegen. Von Portraitähnlichkeit war in jenem großen Bilde keine Rede. Nichtsdestoweniger interessirte mich das herrlich gemalte Werk, und ich schrieb an den Meister, den ich von meinem Aufenthalte in Belgien her schon kannte, und bat ihn um die Erlaubniß, eine Photographie des Bildes nehmen zu dürfen, wobei ich ihm jedoch bemerkte, wie sehr ich bedaure, daß sein schönes Bild durchaus keinen Anklang von Portraitähnlichkeit habe. De Keyser antwortete mir sofort, daß er mich bitte, keine Photographie von dem Bilde nehmen zu lassen, das seine ganze Wirkung der Farbe verdanke, und ersuchte mich schließlich um Sendung von Portraits, da er sein Bild darnach zu ändern beabsichtige. Ich schickte ihm die besten Stiche und einen Abguß der Leichenmaske. Jahr und Tag hörte ich nun nichts weiter von der Sache, als eines Tages das Gemälde, das hier die Gartenlaube nachbildet, an mich ankam mit der Frage de Keyser’s: ob es nun ähnlich sei? In der That ist es dem großen Meister gelungen, nach dem ihm gesendeten Material das ähnlichste Portrait meines Vaters zu schaffen, das existirt! Freudig schrieb ich ihm dies und erhielt umgehend den liebenswürdigsten Brief mit der Bitte, das Bild als Andenken an ihn zu behalten!“

Möge dem liederreichen Deutschland bald wieder ein Meister erstehen, in dessen Tonschöpfungen das deutsche Gemüth, die deutsche Herzensinnigkeit einen so vollen Ausdruck findet, wie in den unsterblichen Melodien unsers großen Carl Maria v. Weber.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_679.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)