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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„O gewiß! Als die Sonne gesunken war und die Dämmerung eintrat, stand er auf, steckte das Perspectiv in die Waidtasche, warf die Büchse über und ging in den Wald hinein, wie um da zu bürschen – es ist ja jetzt sein Gehege, der Wald gehört schon zu Falkenrieth – und so verschwand er. Ich wollte es Euch sagen, aber ich besann mich, daß es besser sei, Deinen Vater nicht damit zu erschrecken, bis ich mit Dir gesprochen. Und nun vorhin ging ich aus, den Fluß aufwärts, weil ich da oben in der Wiese Asche ausgestreut habe, um die Aale zu fangen, wenn sie aus dem Wasser gehen und auf’s Land kommen; ich sitze da und gebe Acht, ob keines von den Thieren sich in den Mondschein herauswagt – da seh’ ich ihn von oben her den Fußpfad, der durch die Wiesen läuft, daherkommen, er muß über die obere Brücke gegangen sein, und so stehe ich auf und gehe ihm leise im Schatten der Gebüsche nach. Er schreitet langsam schlendernd vor mir her, bis er in der Nähe des Hauses ist; da blickt er sich um, geht eine Weile hin und her, wie ungewiß, wie etwas suchend; endlich geht er an der westlichen Wand entlang, blickt zu den Fenstern auf, kommt dann zur hintern Fronte zurück und schleicht da in den Schatten der Gebüsche, wo er regungslos stehen bleibt und zu Dir – Du warst unterdeß auf die Veranda herausgetreten – hinaufstarrt.“

„Seltsam … und wohin wandte er sich dann?“ fragte Eugenie ängstlich ausathmend.

„Dann verschwand er nach der Brücke zu …“

„Und Du hast eine Ahnung, was er gewollt, einen Schlüssel dazu?“

„Gewiß … er hat irgend einen schlimmen Anschlag vor … er hat die Lage des Hauses ausspionirt … er will mit Gewalt seine Flora zurückholen … vielleicht hat er gehofft, auf irgend Jemanden von unseren Leuten zu stoßen, ihn ausholen, bestechen zu können … solch’ ein böser Mensch rastet und ruht ja nicht … und ein böser Mensch, der gar Recht hat oder Recht zu haben glaubt …“

„In der That,“ sagte Eugenie, im höchsten Grad bewegt, „und dem muß ein Ende gemacht werden, er darf, nein, er darf nicht Recht zu haben glauben wider uns; der Gedanke ist mehr, als ich ertragen kann!“

Sie warf sich in ihren Sessel und stützte die Stirn in die Hand.

„Eugenie,“ sagte nach einer Pause schüchtern Florens von Ambotten.

„Was willst Du sagen?“ fragte sie in zerstreutem Tone, ohne ihre Stellung zu ändern.

„Wenn Du mit Allmer redetest … wenn Du … Allmer hat ja so viel Einfluß, so viel Macht über Dich …“

„Macht? Allmer Macht über mich?“ rief Eugenie auffahrend aus … „und das hast Du – Du bemerkt, Florens?“

Sie war auf’s Schwerste betroffen von diesen Worten des Vetters. Also übte in der That schon, jener Mann, den sie fürchtete, eine „Macht“ über sie aus, eine so große, daß es sogar dem harmlosen Vetter sichtbar geworden?

„Nun ja, das ist doch wohl zu merken,“ erwiderte Florens, „er blickt ja immer nur auf Dich, und wenn er spricht, so ist Niemand, der so gespannt auf das, was er sagt, lauscht, als Du, und …“

„Sprich weiter!“

„Und so mein’ ich, müßtest auch Du etwas über ihn vermögen … Du müßtest ihn zu dem bringen können, was die einzige ehrliche Art und Weise ist, aus dieser Sache zu kommen. Du müßtest ihn dazu bringen, daß er offen zu Horst spricht: ,Vor Jahren, als ich nicht daran dachte, daß Sie Ihre Herrschaft jemals überantwortet erhalten würden, habe ich das Kunstkleinod, auf welches Sie so großen Werth legen, verkauft. Herr von Schollbeck wünschte es zu besitzen und bot eine Summe dafür, welche ich annahm, weil ich es im Interesse des Guts, das ich zu verwalten hatte, geboten hielt, sie anzunehmen. Die Summe hat dazu gedient, die Lage Ihrer verschuldeten Herrschaft zu verbessern. Sind Sie nun unzufrieden mit dem Geschehenen, so bieten Sie in friedlicher Weise Herrn von Schollbeck den Ersatz der Summe an, und als Ehrenmann wird er sich nicht weigern, Ihnen die Statue zurückzusenden!‘ “

„Wird Allmer das thun? Er war nicht befugt ohne Einwilligung der Gerichtsbehörde zu verkaufen.“

„Er muß also selbst wünschen, auf friedliche Weise aus dem Handel zu kommen!“

„Wenn er das wünschte, hätte er nicht gleich bei der ersten Frage Horst’s nach der Statue so gesprochen?“

Florens zuckte die Achseln.

„Ich kann mir denken, weshalb er es nicht that; er wollte Deinen Vater nicht um seinen Schatz bringen, er wollte vor allen Dingen sich die Gunst und Gnade Deines Vaters erhalten, und weshalb er das will, das,“ setzte Florens mit einem fast bitteren Tone hinzu, „ist mir nicht räthselhaft!“

Eugenie sah ihm groß und voll in’s Gesicht.

„Du hast Recht,“ sagte sie plötzlich bewegt und zornig aufspringend, „und gerade deshalb rede mir nie mehr davon, daß ich mich mit einer Bitte an diesen Allmer wenden soll … nie … niemals!“

„Und sollen wir es denn ruhig darauf ankommen lassen, was dieser Horst wider uns beginnt? Gerichtliche Verfolgungen, die Schmach gezwungen zu werden … das Gespötte der Welt … ich glaube, Dein Vater mit seinem reizbaren Ehrgefühle überlebte es nicht.“

„O mein Gott!“ rief händeringend Eugenie aus, deren Verzweiflung noch gemehrt wurde durch den Gedanken, daß er, er, dieser Horst, jetzt einen innerlichen Triumph über sie Alle hege, sie fühlte sich in einer ganz trostlosen Lage … Allmer um etwas bitten, mit ihm gemeinschaftlich handeln, nein, nimmermehr! und dem bösen Nachbar sein Recht lassen – der Gedanke war gleich fürchterlich!




7.

Sehen wir uns jetzt nach unserem jungen Freunde, nach dem bösen Nachbar um, der Nachts die Häuser seiner Feinde umschleicht, um sie zu verderben.

Horst war in einer schwer zu beschreibenden Stimmung. Die zornige Gereiztheit, in welcher er sich befunden, als er den Brief an Florens von Ambotten geschrieben, war verschwunden. Statt Andere anzuklagen, klagte er jetzt nur noch sich an. Diese Wandlung war durch nichts Anderes hervorgebracht, als durch einen Brief Allmer’s, den er am Nachmittage dieses Tages erhalten und worin Allmer ihm zweierlei Mittheilungen machte: zuerst die, daß er, Allmer, die Verwaltung seiner Herrschaft weiterzuführen nicht beabsichtige und das Verhältniß von dem Tage an, an welchem die gerichtliche Uebergabe und Rechnungablage erfolgt sei, als gelöst betrachte; sodann, daß er die von Florens von Ambotten gewünschte Genugthuung an dessen Statt zu geben bereit sei. Horst ließ das Blatt vor Ueberraschung aus den Händen fallen.

„Nun erhältst du auch von dem einen Absagebrief!“ sagte er sich. „Bist du unter einem bösen Bann hier! Oder hast du selbst verschuldet, daß du jetzt so jammervoll verlassen und rathlos allein dastehst? Zum Verzweifeln rathlos! Was beginnen ohne diesen Allmer? Alle Welt nennt ihn einen Menschen von seltener Tüchtigkeit. Alle Welt sagt, du habest die größte Verpflichtung gegen ihn für das, was er an deinem Eigenthum gethan, für das, was er in den wenigen Jahren geleistet! Und nun kündigt er dir an, daß er nichts mehr mit dir zu schaffen haben[WS 1] wolle! Welche Gründe hat der Mann? Bist du ein thörichter, unverträglicher Mensch, mit dem nicht zu hausen ist? Zu rasch und vorschnell haben dich deine Freunde immer genannt! Du mußt ihn dadurch verletzt haben, du mußt ihm zu sehr den Herrn und Gebieter gezeigt … er muß keinen Charakter in dir erkannt haben, mit dem er länger Hand in Hand gehen mag!“

Horst nahm zerknirscht eine wahre Gewissensprüfung mit sich vor. Es fiel ihm jetzt schwer seine Forderung an Florens auf’s Herz; das, ja, das ganz gewiß, war eine nicht zu rechtfertigende Voreiligkeit, eine Handlung der Hitze gewesen, die sich nicht entschuldigen ließ. Mit der Pistole in der Hand zurückkommen, wenn unser Besuch abgewiesen wird, es war thöricht, kindisch. Horst ärgerte sich jetzt gründlich über diese Unbesonnenheit, und weniger darüber, weil sie seine Stellung in seiner neuen Heimath gründlich verschlechtern mußte, als weil er ihr, ihr, die bei allem diesem der Mittelpunkt seiner Gedanken blieb, dadurch absurd vorkommen mußte, oder gar gehässig, oder vollends lächerlich! Und dies wurmte ihn so fürchterlich, daß er hätte darüber weinen können, wie sich seiner denn überhaupt bald eine Stimmung so tragischer Art bemächtigte, wie er sie nie empfunden. Er kam sich so allein, so verlassen, so von Allen zurückgestoßen vor, daß er etwas wie ein vollständiges Mitleid mit sich selber empfand. Die Zimmer, das

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: habe
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_675.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)