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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Anderes, an die Befriedigung eines höheren Kunsttriebes, gehen kann. Die Rennthierjäger des Périgord müssen also Wild genug zu ihrer Disposition gehabt haben, um einige Stunden dieser Beschäftigung widmen zu können, sie müssen nicht von steten Nahrungssorgen gedrängt gewesen sein.

Dann aber ist die Art dieser Kunstbethätigung höchst merkwürdig. Es ist Nachahmung der Natur. Bei andern Racen tritt diese erst weit später auf. In der Schweiz z. B. findet sich selbst bis in eine weit spätere Periode, in die Zeit der Metalle hinein, keine Spur von Ausschmückung durch Naturnachahmung, sondern einzig und allein durch geometrische Linien, gerade, gebogene, gewellte und zackige Linien. Sollte der Geschmack der Naturnachahmung, die realistische Kunstrichtung, etwas diesem französischen Boden Eigenthümliches sein, während diesseits des Rheines die idealistische Richtung sich in geometrischen Abstractionen kund gäbe? Sollte die Race der Rennthierjäger des Trüffellandes ganz besondere künstlerische Fähigkeiten besessen haben?

Ein französischer Forscher, Herr von Gobineau, behauptete vor einigen Jahren in einem mehrbändigen Werke, das manches Gute, aber auch manches Bizarre enthält, der Kunstsinn nach allen seinen Richtungen sei wesentlich der schwarzen Race eigen und die Bethätigung desselben hänge bei den verschiedenen Stämmen nur von der größeren oder geringeren Menge von Beimischung schwarzen Blutes ab, welches sich bei ihnen finde. Die germanische Race kommt bei dieser Anschauung freilich sehr schlecht weg: trotz Cornelius und Thorwaldsen (wenn es überhaupt erlaubt ist, in unseren Zeiten einen Dänen und einen Deutschen nebeneinander zu nennen), Mozart und Beethoven, verdammt uns Herr von Gobineau zu ewiger Unproductivität in der Kunst, weil wir ursprünglich blonde Haare, blaue Augen und weiße Haut haben, eine Beimischung schwarzen Blutes also nur schwer nachweisbar ist. Vielleicht kommt uns diese schwarze Kunstinfusion nur durch dritte Hand mittels der Romanen, besonders der Franzosen, denen Herr von Gobineau natürlich die bedeutendste Dosis davon zuspricht.

Immerhin mögen dies Träume sein, aber ich wurde doch daran erinnert, als ich die Kunstproducte der Lartet’schen Sammlung in Händen hatte und zugleich an die Schädel dachte, welche man von solchen Rennthierjägern gefunden hat. Die mir bekannten stammen aus der Höhle von Lombrive im südfranzösischen Departement der Arriège. Es sind schöne Schädel mit hochgewölbter Stirn, von mittlerer Länge und bedeutender Hirn-Capacität, ohne vorgewulstete Augenbrauen und überhaupt von sanft gerundeten Linien begrenzt, also offenbar Schädel eines Culturvolkes und von den Schädeln der Höhlenbärenzeit himmelweit verschieden. Genauere Untersuchungen, die Broca in Paris, einer der ausgezeichnetsten Forscher im Gebiete der Menschenkunde, über die Schädel der Basken angestellt hat (Broca war so glücklich, den Kirchhof eines tief in den Pyrenäen liegenden baskischen Dörfchens ausräumen und sechszig Schädel von dort entnehmen zu können), lassen eine große Aehnlichkeit der Schädel von Lombrive mit den Baskenschädeln nicht verkennen. Sie gehören dazu, unterscheiden sich nicht von ihnen. Man würde sie in der Reihe der Baskenschädel aufstellen, ohne sie unterscheiden zu können.

Nun sind aber diese Basken ein gar seltsames Völkchen, eine Völkerinsel mitten im indogermanischen Racen-Ocean, mit einer Sprache, die von allen andern in ihren tiefsten Wurzeln sich entschieden abtrennt, gar nichts mit ihnen gemein hat, gleichsam ein Völker-Aërolith, der auf die Pyrenäen gefallen scheint, ohne daß Spuren vorhanden wären über die Wurfbahn, auf welcher er dahin gelangt ist.

Vielleicht kann die Untersuchung der Baskenschädel selbst hierüber einige Auskunft geben. Broca findet in der That, daß dieselben mit den afrikanischen Langköpfen, nicht aber mit den europäischen Ähnlichkeit haben, und daß man unter den Racen des afrikanischen Mittelmeergürtels ihre Verwandten suchen müsse. Ist dies nicht ein bedeutsamer Fingerzeig auf die anderen Thatsachen entnommene Zusammengehörigkeit dieses Gürtels und auf den Zusammenhang der Säulen des Hercules, zur Zeit, als die Basken den pyrenäischen Theil dieses Gürtels bewohnten und in den Ebenen der Provence und des Périgord das Rennthier jagten?

Einen noch späteren Abschnitt der Zeit des Urmenschen mögen wohl die Küchenabfälle Dänemarks (Kjoekkenmöddinger) bezeichnen, welche in ungeheuren Haufen von Schalen der dort im Meere lebenden Seeschnecken, besonders Austern, Mies- und Herzmuscheln, in Fischgräten, Vögel- und Säugethierknochen, Kohlen, Bruchstücken von Töpferwaaren, Kieselgeräthschaften aller Art bestehen und von einem Strandvolke Zeugniß ablegen, das auch Gräber hinterlassen hat. Alles, was früher, zur Zeit jener Küstenlappen, hier wuchs und lebte, hat sich mehrmals geändert; anstatt der Fichten wuchsen später Eichen, auch diese gedeihen jetzt in Dänemark nicht mehr; der Auerhahn ist verschwunden und der große nordische Taucher ist gänzlich ausgestorben. Der Küstenlappe lebte im Sommer vom Fisch- und Austernfang und von der Jagd, welche sich auf die nächste Umgebung der Lagerplätze beschränkte, denn alle vorgefundenen Thierknochen, von Vögeln wie Säugethieren, weisen auf Geschöpfe hin, die gern Meer und Strand und Tiefgrund besuchten; er weidete seine Heerden vielleicht in einiger Entfernung und nährte sich nur von ihrer Milch, während im Winter das Fleisch und Blut des Rennthieres seine wesentliche Speise abgab.

Die Thierbevölkerung hat sich in dieser Periode der Küchenabfälle schon mehr der jetzigen genähert, wenn auch noch immer einige dieser Thiere, wie Schwan und Taucher, auf die nördlichere Fauna hindeuten. Aber der Fortschritt documentirt sich auch durch andere Thatsachen. Vor allen Dingen durch die Gegenwart des Haushundes, dessen Anwesenheit man zwar zuerst aus den benagten Vogelknochen erschloß, denen stets die verknorpelten Enden, sowie die feineren Knochen des Rumpfes, Wirbel und Rippen fehlten, welche die Hunde so gern zusammenknetschen, und von dem man später auch Knochen fand. Es war eine kleine, aber offenbar intelligente Hunderace mit ziemlich rundem und geräumigem Schädel und mittellanger Schnauze, die zwischen dem Wachtel- und Jagdhunde innestand. Vielleicht benutzten die Küstenlappen diesen Hund ebensowohl zur Jagd wie zur Wacht – vielleicht finden wir die Nachkommen dieser Urrace in den kleinen, struppigen, aber klugen und wachsamen Hunden, die den heutigen Lappen stets begleiten und ohne welche er seine Rennthierheerde nicht führen und zusammenhalten könnte. Die Race ist in der That ganz eigenthümlich langleibig mit kurzen Beinen, meist mit langem Haar, die ihr etwas Aehnliches mit den jetzt so beliebten Griffons giebt, deren Schönheit in ihrer Häßlichkeit besteht – aber die Lappen schätzen sie sehr, und ein guter Hund wird bei ihnen im Verhältniß zehnmal theurer bezahlt, als ein wohldressirter Hühnerhund bei uns. Merkwürdiger Weise war diese kleine Hunderace mit rundem Schädel während der Zeit, wo die Bevölkerung nur Stein, Horn und Holz als Material zu Werkzeugen kannte, über ganz Europa verbreitet und stets in ihren Charakteren identisch, so daß sich also damals keine Spur von jener außerordentlichen Menge von Raritäten, Racen und Arten fand, die wir jetzt in dem Hundegeschlechte gewahren. Erst später, mit der Kenntniß des Metalles, findet man einen großen Wolfshund oder Windhund, von welchem mir neulich ein außerordentlich schöner und wohlerhaltener Schädel zukam, den Professor Jeitteles in Olmütz in den Pfahlbauten am Ufer der March gefunden hat.

Derselbe Fortschritt, welcher sich in der Zähmung des Haushundes erblicken läßt, zeigt sich auch in der Bearbeitung der Instrumente. Zwar bleiben die Kieselmesser und Aexte, die man zum Oeffnen der Muscheln, zum Zerschlagen der Knochen braucht, noch eben so roh und nur durch Spalten der Feuersteine gebildet wie früher, aber daneben finden sich auch wohlpolirte und geschliffene Instrumente von höherem Werth, die offenbar auch der Seltenheit und der Schwierigkeit der Bearbeitung wegen geschont wurden, vielleicht selbst als Zeichen einer socialen Stellung dienten. Wenigstens fand man bei der Entdeckung mancher Südsee-Inseln, daß solche wohlpolirte und geschliffene Steinwaffen von Vater zu Sohn mit einer gewissen Häuptlingswürde sich vererbten.

Ich nannte die austernessenden Steinmenschen Küstenlappen und zwar mit vollem Rechte. Man hat Schädel dieser Race in ziemlicher Anzahl ausgegraben, die unter großen aus zusammengeworfenen Steinen gebildeten Hügeln, in Grabkammern aus rohen Steinblöcken, mit Steinwaffen an ihrer Seite lagen; ja man hat ähnliche Schädel im deutschen Küstenlande, in Mecklenburg, einfach im Sande gefunden, nebst einigen Stein- und Hornwaffen daneben. Diese Schädel sind klein, sehr rund, sehr kurz, die Nasenwurzel tief eingesenkt, die Augenbrauenbogen bei den Männern meist wild vorgetrieben. Es sind entschiedene Kurzköpfe und stehen, den Schädeln von Engis und Neanderthal gegenüber, fast am entgegengesetzten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_671.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)