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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

einer Dampfmaschine hängen. „Meine Herren, ich muß bitten!“ dabei klopft er mit einem Stäbchen auf das kleine Pult und seine Augen schweifen über die Menge. Sind alle vorbereitenden Verrichtungen beendet, dann beginnt er gewisse einsegnende Verbeugungen, die er mit feierlichen Beschwörungsformeln nach den verschiedenen Richtungen der Windrose begleitet.

„Meine Herren, sehen Sie recht genau auf mich. Im ersten Tenor nur das gis recht scharf – um Gotteswillen bei dem Mondesstrahl nicht runterziehen.“ Nun noch ein unendlich ausdrucksvoller Blick, ein Zukneipen der Augen, als ob er von einem der höchsten Thürme in ein tiefes unbekanntes Wasser springen müsse – Unglück, geh Deinen Gang! und er stürzt sich mit seinen Heerschaaren in den Kampf. In diesem letzten Blicke spiegelt sich eine Welt. Man fühlt heraus, daß der Arme alle Brücken hinter sich abgebrochen weiß und daß ihn in diesem Moment die bittersten Vorwürfe zerfleischen, selber die Hand zu einem Werke geboten zu haben, welches allerdings möglicher Weise ihm einige zwanzigtausend jubelnde Menschenherzen vor die Füße legen, möglicherweise aber auch doppelt soviel enttäuscht vorwurfsvoll blickende Augen ihm zurichten kann. Denn man nehme nur den Fall, die fünftausend entschlossenen Männer, welche dreißig, vierzig, sechzig Meilen weit hergereist sind, um unter seiner Aegide dem Publicum die Mittheilung zu machen, daß „sie jetz an’s Brünnele gehe, aber net trinke wolle“, würden an der Ausführung dieses Unternehmens durch irgend einen Umstand gehindert – nein, etwas so Gräßliches läßt sich nicht denken! –




Der Urmensch.
Von Karl Vogt in Genf.
II.
Funde im Trüffellande. – Das Auftreten des Haushunds. – Erste Spuren von Malerei und Skulptur. – Das Liliputanervolk. – Ein Völker-Aërolith. – Die Baskenschädel. – Die Periode von Dänemarks Küchenabfällen. – Geschliffene Instrumente. – Mecklenburger und Südseeinsulaner.

Die Instrumente werden in dieser Rennthier-Periode mannigfaltiger, besser bearbeitet. Die Kieseläxte und Messer werden zum Theil geschliffen, ihre Form wird auch handlicher oder besser zum Einfügen in Griffe von Horn oder Holz zugerüstet. Das Rennthierhorn besonders wird mit großer Sorgfalt bearbeitet. Lanzen- und Pfeilspitzen, Ahle und Nadeln, Glättmesser (vielleicht zum Gerben der Häute) werden zugerichtet; Pfeifchen aus den Fingerknochen gebildet durch Aushöhlung; Zähne von wilden Thieren angebohrt, um sie als Schmuck umhängen zu können, ja man denkt selbst an Verzierung und Ausschmückung des Geräthes, dessen man sich bediente.

In dieser letzteren Beziehung höchst merkwürdige Funde haben die Herren Lartet und Christy im Trüffellande, im alten Périgord, dem heutigen Departement der Dordogne, gemacht. Das Kalkgebirge der dortigen Gegend hat eine Menge von Grotten und Höhlen nachzuweisen, auf deren Boden Knochenanhäufungen liegen, die zuweilen in zwei Schichten getrennt sind, von denen die untere der Periode des Höhlenbären, die obere derjenigen des Rennthiers entspricht. Die Knochenablagerung selbst besteht aus einer schwarzen, muffig riechenden Erde, die offenbar aus der Verwitterung und Fäulniß des Fleisches, welches die Knochen umhüllte, hervorgegangen und durch Infiltration von Tropfsteinmasse eine feste Kruste geworden ist, in welcher die Ueberreste stecken, Alles durcheinander, zerschlagene und ganze Knochen, bearbeitete Hornstücke und Steinäxte, die man dann aus der Masse herausklauben kann. Wagenladungen voll von diesem Fußboden der Grotte von Eyzies, dessen Dicke zwischen einem bis dritthalb Fuß schwankt, haben die Herren Lartet und Christy gefördert und theils den einzelnen Museen geschenkt, theils selbst ein Museum aus ihren Funden zusammengestellt, das vielleicht eines der merkwürdigsten in seiner Art ist.

Wie oft die kleinsten Umstände bei diesen Untersuchungen zu überraschenden Schlüssen Veranlassung geben können, möge aus folgendem Bruchstücke der Abhandlung der Finder hervorgehen, das ich mit ihren eigenen Worten wiedergebe.

„Der erste Anblick der herausgebrochenen Platten zeigte uns, daß zwar alle Röhrenknochen unfehlbar zerbrochen oder der Länge nach gespalten waren, daß aber dennoch die Wirbelreihen in ihrer natürlichen Folge sich aneinandersetzten und daß die mehrfachen Stücke, welche gewisse Gelenke zusammensetzen, wie die Hand- und Fußwurzel, stets in ihrer relativen, anatomischen Lage zu einander sich befanden.

Dies bewies uns, daß jene Ur-Jäger, welche das Mark der Knochen für einen Leckerbissen hielten, nicht die gleiche Vorliebe für die Knorpel der Gelenke zu haben schienen, wie wir dies bei noch früheren Racen zu bemerken geglaubt hatten. Wir finden in diesem Umstände auch einen freilich negativen Beweis für das Nicht-Vorhandensein des Haushundes bei unseren Ahnen aus der Rennthierperiode, denn wenn der Hund an ihrem Essen Theil genommen hätte, so würde er schwerlich die Knorpel des Rennthiers und der anderen Grasfresser verschont haben. Auch sehen wir in der Grotte keine von Fleischfressern angenagten Knochen, und den Vogelknochen fehlen auch die Gelenkköpfe nicht, wie dies in den ‚Küchenabfällen‘ in Dänemark der Fall ist. Bekanntlich hatte Professor Stenstrup in Kopenhagen aus diesem Umstände auf die Gegenwart des Haushundes bei den Eingeborenen der Ostsee geschlossen.“

Die Rennthierjäger des Périgord zeigten offenbar einen künstlerischen Sinn und künstlerische Begabung. Man findet dort schon Steinmesser mit gerundetem Rücken und schmalem Stiele, der in einen Hornstiel befestigt werden konnte; die Instrumente aus Rennthierhorn sind wohlgeformt, oft sehr fein, wie z. B. Nadeln mit ihren Oehren und mit geschlungenen oder gebrochenen Linien im Relief und in Hohlarbeit geziert. Außerdem aber giebt es einige Versuche, auf Schieferplatten und Horninstrumenten Bildnisse von Thieren anzubringen. Die meisten derselben stellen offenbar Wiederkäuer dar, viele allerdings unkenntlich und nicht besser, als wenn ein Kind die Wände beschmiert; in einigen ist das Rennthier unverkennbar. „Das schönste Stück, welches wir besitzen,“ sagen die Herren Lartet und Christy, „stammt aus der Grotte von Laugerie-Basse und ist ein Degen- oder Dolchgriff, der aus der Stange eines Rennthiergeweihes geschnitzt wurde. Der Handwerker oder, besser gesagt, Künstler hat eine gewisse Geschicklichkeit an den Tag gelegt, indem er die Form des Thieres, ohne ihr zu viel Gewalt anzuthun, dem Gebrauch der Waffe anschmiegte. Die Hinterbeine sind in der Längsrichtung der Klinge ausgestreckt; die Vorderbeine unter den Leib gebogen, wie beim Sprunge. Der Kopf ist zurückgebogen und die Schnauze so emporgestreckt, daß die verästelten Geweihe auf die Schultern fallen, wo sie sich anlegen, ohne die Führung der Waffe zu beeinträchtigen. Doch gehört zu dem so gebildeten Griffe eine sehr kleine Hand, weit kleiner, als die der jetzigen europäischen Racen. Die dem Kopf gegebene Lage erlaubte dem Künstler nicht, die für das Rennthier so charakteristischen Augenzinken des Geweihes anzugeben; doch läßt die Kürze der Ohren und die Dicke des Halses schließen, daß er ein Rennthier ausschnitzen wollte. Außerdem hat der Künstler unter dem Halse einen dünnen und zackigen Kamm stehen lassen, der wohl den Haarbüschel vorstellen soll, welchen der männliche Rennhirsch an dieser Stelle trägt und der dem Hirsch selbst fehlt.“

Ich habe diese Waffe selbst in der Hand gehabt und muß sagen, daß mir die Absicht des Künstlers, ein Rennthier darzustellen, in der That unzweifelhaft scheint. Der Griff paßt aber höchstens in die Hand eines zehnjährigen Knaben germanischer Race.

Es waren also wohl kleine Leute, die mit dem Rennthiere, dem wilden Pferde, der Gemse, dem Steinbock, dem Auerochs im Trüffellande zusammenlebten, die sich von dem Ertrage der Jagd und des Fischfanges nährten, in die Felle der erlegten Thiere kleideten, die noch kein Hausthier, selbst den Hund nicht gezähmt hatten, die noch kein Metall und selbst die Politur der Steine nicht kannten, dagegen aber schon sich Zierrathen und Schmuckwaffen verfertigten, welche von einigem Kunstsinn Zeugniß ablegen.

Wer aber sich hinsetzen soll, um mühsam mit einem Steinmesser aus hartem Rennthierhorn eine Figur zu schnitzen, der muß Zeit dazu haben! Erst muß, nach dem alten Homer, das Bedürfniß nach Speise und Trank gestillt sein, ehe der Mensch an etwas

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