Seite:Die Gartenlaube (1864) 667.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

treffend und schlagend der evangelische Prediger Wimmer in seiner gediegenen Schrift: ,Adam und sein Geschlecht’ – Versuch einer Geschichte der Menschheit aus ihrer ältesten Urkunde. Bremen 1863 – bewiesen.“

Und so ständen wir denn auf dem Höhepunkt orthodoxdogmatischer Frechheit, denn nachdem man in Gottes Wort den Teufel als Hauptperson gefunden, werden wohl die Wortgläubigen das Höchste geleistet haben.

Bedarfs noch einer Bemerkung? – Ja, denn viele unserer Leser werden fragen: Warum theilt die „Gartenlaube“ uns diesen Blödsinn mit, der sein Unheil sich auf jeder Seite des Schriftchens selbst spricht? – Antwort: Dieses Spuk- und Klopfgeister-Büchlein, im Selbstverlag des Verfassers erschienen, war ganz geeignet, hauptsächlich durch Colportage in den unteren Schichten des Volks verbreitet zu werden, ohne vielleicht von Seiten der Gebildeten und der Kritik Beachtung zu finden. Darin lag das einzige Gefährliche desselben und dies wird dadurch beseitigt, daß man das Machwerk möglichst hoch, recht weit sichtbar, am Pranger der Lächerlichkeit annagelt. Ohne Zweifel wird gerade deshalb mit demselben der Herr Doctor ein besseres Geschäft machen; gönnt es ihm! Die Hauptsache ist, daß dem Aberglauben das Geschäft in unserm Volke verdorben werde.




Charakterköpfe aus der deutschen Liedertafel.
I.

Ich möchte behaupten, daß mit dem Singen genau dieselben Umwandlungen vor sich gegangen sind, wie mit dem Spinnen. Man sang früher allein oder zu zwei, was die Stimmung eingab. In jedem Hause drehte sich lustig das Singrädchen, wie in jedem Hause ein Spinnrad schnurrte, und beide arbeiteten heimlich miteinander an dem Aufbau eines kleinen, reizvollen Himmels im eigenen Herzen, in dessen Kreise jeder Hörer mit stiller Macht gezogen wurde. Und wenn die sorglichen Gedanken, von Lust verwirrt oder von Schmerz übertäubt, das Schließen der Pforte vergaßen, dann leuchtete der helle Sonnenstrahl aus befreundetem Auge mit hinein und ließ tausend goldene Herrlichkeiten aufflimmern und stöberte die kalte Winterluft und den Winterstaub aus den trüben Winkeln, die Jeder im Herzen hat und vor denen die Seele sonst immer scheu und rasch vorübergeht.

Die Rädchen rückten enger zusammen, und es begann ein emsiges Drehen. Bei dem heimlichen Surren sprach sich manches Wort leichter aus, das sonst seinen Weg nicht über die Lippen gefunden hätte. Jetzt verlor es sich mit im allgemeinen Geräusch. Und bei dem oftmaligen Niederbücken, um den Faden zu befeuchten, konnte sich manches nasse Auge verbergen und seinen Tropfen fallen lassen, ohne daß es die Andern merkten. Dann ging man nach Hause über den hartgefrorenen Boden, viel leichter und beruhigter, als man gekommen war. Aus dem verfitzten Werg waren die Spelzen heraus, und mit jeder war ein Zweifel von der Brust herabgefallen. Auf der Spule aber lag das Garn klar und knotenlos, wie ein silberner Faden, – so hatte sich auch das Wirrsal der Gedanken und Gefühle geglättet. Aber nun sind große mechanische Spinnereien entstanden, in denen der Dampf in seinem Kampfe gegen die Hemdennoth allen Flachs der Erde verarbeitet, und das Spinnrad, der alte Freund des Herzens, ist in die Rumpelkammer gewandert. Man hört sein vereinzeltes Summen nicht mehr. Fast so ist es auch mit dem Singen.

Der Associationstrieb, das Princip der Arbeitstheilung, hat sich auch hier geltend gemacht. Ueber die Sänger kam die Einsicht des neunzehnten Jahrhunderts, sie vereinigten sich zu gemeinschaftlichen Gesangsspinnereien, in denen Jeder nach seinen besonderen Fähigkeiten seine Spindel dreht. Die hohen Stimmen wurden von den tiefen, die Tenöre von den Bässen gesondert, und wie in der Uhrenfabrikation der Eine blos Rädchen, der Andere blos Zeiger und wieder ein Anderer blos Zifferblätter macht, so sang von nun an die eine Partei die Melodie, die andere den Grundbaß, und der Rest theilte sich in die harmonische Ausfüllung.

Das wäre nun ganz gut gewesen. Aber wie das Spinnrad noch eine andere Bedeutung hatte, als nur für den Garnmarkt zu arbeiten, so war ursprünglich der Gesang auch mehr für das eigne innere Haus und nicht eine Waare, die in möglichst großer Menge für Andere geliefert werden mußte. Mit der Erfindung der Gesangsfabriken ist das anders geworden; allein es sei ferne von uns, dagegen reden zu wollen, denn der Vortheil liegt ja offenbar auf Seiten des hörenden Publicums, und dieses scheint, wie eine oberflächliche Berechnung ergeben hat, zur Zeit noch in der Majorität zu sein. Eine eigentliche Gesangsnoth – in dem Sinne, wie eine Brodnoth, – kann gar nicht mehr vorkommen. Der gesangshungrigste Mensch muß seine Befriedigung finden, denn wenn er irgend im Stande ist, sich im Sommer mit einem Hendschel’schen Telegraphen und dem nöthigen Fahrgelde auszurüsten, so kann er, im Fall er immer die passenden Züge benutzt und dann und wann eine Nachtfahrt nicht scheut, im Laufe von sechs Wochen mindestens 60,000 ausgewachsene, singende, sonst aber ganz gesunde Männer sehen und hören. Denn es kommt den Orpheusen, Harmonien, Polyhymnias, Arions und was für heidnische Namen jene Associationen noch führen mögen, bisweilen vor, als ob die Versicherung, daß

„die stille Wasserrose vor Liebe und Liebesweh“

zittert, nicht glaubhaft genug erschiene, wenn sie nur von achtzig handfesten Männern in allen erdenklichen Stimmlagen gegeben wird, oder als ob der Wunsch

„Das Liebchen, ach! nur ein einzigsmal zu sehen“

sich gar nicht anders aussprechen ließe, als durch die gleichzeitige Betheuerung einer ganzen Eidgenossenschaft.

Von dem Drange geleitet, diesen ihren Gefühlen einmal einen wirklich entsprechenden Ausdruck zu verleihen, rufen sie dann einander zu gegenseitiger Hülfsleistung zusammen. Es werden förmliche Ausstellungen veranstaltet, gegen welche die Londoner von 1851 ein erbärmliches Kinderspiel ist. Je nach der Betheiligung an diesen Massendemonstrationen kann man die Männergesangvereine in mobile und stabile theilen. Indessen ist der letztere Zustand nur ein vorübergehender, eine Entwickelungsphase, gleichsam die Säuglingszeit. Denn es läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß jeder Verein in derselben Zeit auch laufen lernt, wo er anfängt, selbstständig zu lallen, das heißt, ohne am Gängelbande eines ausgespielten Claviers geführt zu werden. Die erste Probe davon erfüllt alle weiblichen Angehörigen mit dem höchsten Entzücken. Im Handumdrehen ist eine Fahne gestickt. Der Posamentier und der Buchdrucker des Vereins entschlagen sich soweit ihrer natürlichen Verpflichtungen gegen Weib und Kind, daß sie begeistert erklären, die Sängerzeichen für den Selbstkostenpreis herstellen zu wollen. Die Polyhymnia geht damit aus dem stabilen Zustande in den mobilen über, denn das Erste ist der einstimmig gefaßte Beschluß, dem nächsten großen Gesangfeste in pleno beizuwohnen. Diesen großen Act hat hauptsächlich der erste Baß bewirkt, der seine gemeinnützige Gesinnung so weit bethätigt, daß er zur Anschaffung eines Trinkhornes sofort die nöthigen Gelder zusammensteuert.

Der erste Baß ist überhaupt in allen innern Angelegenheiten von dem wesentlichsten Einfluß. In ihm befinden sich die eigentlichen Vereinsmenschen. Durch Quantität und Qualität üben sie eine keimende Kraft, welche zwar keine in Drift und Farbenpracht sonderlich auffallenden Blüthen treibt, die aber das Ganze in seinem eigenthümlichen Charakter erhält. Die ersten Bassisten sind der Nährstand, die eigentlichen Bourgeois des Vereines. Denn sie zählen in der Regel ebensoviel Köpfe, wie alle übrigen Stimmen zusammen, und tragen demnach allein die Hälfte aller Lasten mit, während die Einkünfte an öffentlichem Beifall und heimlichen Schwärmereien ihnen nur zum allergeringsten Theile zufließen. Das ist insofern vom nationalökonomischen Standpunkte zu bedauern, als der erste Bassist kraft seiner Körperbeschaffenheit selbst den enthusiastischsten Verehrungen nicht erliegen würde und demnach das „Gefeiertwerden“ für ihn zu einer wirklich naturwüchsigen Industrie werden könnte. „Das vertrage ich nicht,“ steht in keinem seiner Wörterbücher. Die Brauer gehen ihm beschämt aus dem Wege, denn ihre stärksten Producte belächelt er, wie der Matrose die Mandelmilch. Er würde sich an Arsenik gewöhnen, wenn er einen Grund dazu sähe, denn er thut nichts ohne Grund. Und es bedürfte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_667.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)