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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Schatze ihres Wissens den Grund legen half. Es begründete den Ruf des späteren Altmeisters und führte ihn in alle Kreise der damaligen Forscherwelt ein. Das Buch hat aber, meines Erachtens, noch ein weit größeres Verdienst. Es ist bei aller Wissenschaftlichkeit so volksthümlich geschrieben, daß sein Verfasser wohl als einer der Bahnbrecher in dieser Richtung bezeichnet werden darf. Die Beschreibungen der Vögel, zumal die Schilderung ihres Lebens, zeichnen sich namentlich durch eine wohlthuende Kürze aus.

Einem „Lehrbuch der Naturgeschichte aller europäischen Vögel“ und einer Zeitschrift „Ornis“ folgte 1831 das „Handbuch der Naturgeschichte aller Vögel Deutschlands“, in welchen, sich die eigenthümliche Anschauung des Vaters zum ersten Male bekundet, indem es Arten beschreibt, welche in den Augen der meisten Forscher höchstens Abarten sind, und Unterarten (subspecies), mit welchen die Leute gar nichts anzufangen wissen; das Handbuch wird heute noch kopfschüttelnd bei Seite gelegt. Wohlwollende Beurtheiler der Neuzeit meinen, daß es eine andere Auffassung der Darwinschen Lehrsätze bekunde. Wo nämlich mein Vater die geringste Abweichung im Gefieder eines Vogels erkannte und fand, daß solche Verschiedenheiten nicht auf einzelne Vögel sich beschränkten, sondern mehreren gemeinsam waren, so sah er in diesen eine selbstständige Form und diese nannte er „Unterart“ oder „Gattung“, während Andere von „Racen“ sprechen; das ist der ganze Unterschied zwischen ihren und seinen Ansichten. Einer unserer Altmeister der Thierkunde aber, der hochverdiente Reichenbach, urtheilt anders. „Er schöpfte,“ sagt er von meinem Vater, „immer aus ungemein reichen Quellen, und die Summe seiner Beobachtungen gestaltete freilich eine Fülle von Objecten zu specieller Unterscheidung, welche manche seiner Gegner darum nicht begriffen, weil es ihnen an ähnlichem Reichthum von Objecten gebrach.“ Gewiß, so war er. Es mag sein, daß auch der Vater manchmal zu weit gegangen; Folgerichtigkeit, beharrliche Gleichmäßigkeit der Anschauungen und Auffassung, ist ihm aber nicht abzusprechen, und – selbst weil er Widerspruch hervorrief, hat er die Wissenschaft unendlich gefördert.

Außer den genannten und noch einigen andern größeren Werken, führt die „Bibliotheca zoologica“ von Larus und Engelmann noch einige achtzig verschiedene naturwissenschaftliche Aufsätze seiner Feder an, die ungerechnet, welche er für volkstümliche Zeitschriften verfaßte, weil von diesen die Wissenschaft keine Kenntniß nimmt. Diese kleineren Arbeiten verdienen den Ruhm, welchen ihnen Reichenbach zuerkannt hat, in den nachstehenden warmen Worten: „Sein tiefes Gemüth waltete thätig in seinen Beschreibungen mit, und rührend sind seine Schilderungen von der Liebe und Treue der Vögel, von ihrem Familienleben und von ihren Freund- und Feindschaften, von ihrem immer thätigen Treiben in der freien Natur und von ihrer Bedeutung für die große Oekonomie in der Regierung des Weltalls. Sein amtlicher Beruf als geistlicher Lehrer in seiner Gemeinde verlieh auch seinen Berichten aus dem Naturleben jene eigenthümliche Weihe, welche dem selbst beobachtenden und erfahrungsreichen Naturforscher die Ueberzeugung von einer Harmonie des allgemeinen Naturlebens immer gewährt. Seine unablässige Erforschung der Naturgesetze stimmte ihn zu milder Gesinnung, und sein Grundprincip beruhte auf der steten Anschauung einer Veredlung des Menschenlebens durch die Hingabe an die Erforschung der ursprünglich reinen Natur.“ Ja, wahrlich – diese milde Gesinnung, welche ihm eigenthümlich war, er hat sie auch in seinen Schriften stets bewährt. Er ist oft auch angegriffen worden wegen seiner wissenschaftlichen Thätigkeit, und nicht blos von seiner würdigen, sondern auch von seiner unwürdigen Gegnern, der erfahrungsreiche Meister von unreifen Lehrlingen; er aber hat jene Milde nie verleugnen und sich deshalb zwar Gegner, niemals aber Feinde schaffen können!

Mit der schriftstellerischen Wirksamkeit meines Vaters war eine andere Thätigkeit unzertrennlich verbunden, die stete, sorgenvolle Arbeit, welche seine Vögelsammlung beanspruchte. Diese Sammlung ist nicht blos der Theilnahme werth, welche sie bei den Naturforschern aller Länder gefunden hat – sie verdient mehr: sie verdient die Beachtung unseres gesammten Volkes, denn sie ist ein des deutschen Fleißes und der deutschen Gelehrsamkeit würdiges Denkmal; sie hat ihres Gleichen nicht. Wir, die Söhne ihres Gründers, kennen sie von unserer Jugend an, und wir mußten erstaunen immer von neuem, als wir nach des Vaters Tode die traurige Pflicht erfüllten, sie zu ordnen, in der Absicht, sie, dem Wunsche des Verstorbenen gemäß, dem Vaterlande zu erhalten. Diese Vögelsammlung, d. h. der Kern, die „Hauptsammlung“, wie wir sie nennen, enthält siebentausend europäische Vögel, diese aber nicht blos in beiden Geschlechtern, sondern auch in allen Unter-, Ab- und Spielarten, in allen Kleidern und aus allen Ländern, in denen die betreffenden Arten vorkommen. Ich will einige genauere Zahlen geben, um die Gesammtmenge verständlicher zu machen. Die Sammlung wird gebildet durch gegen 700 Raubvögel, ungefähr 400 Würgvögel (Schwalben, Würger), 450 Rabenvögel, über 3000 Singvögel, 300 Tauben und Hühner, 900 Sumpf- und gegen 800 Schwimmvögel. Diese Sammlung ist ein ganz unschätzbarer Stoff für die Wissenschaft; sie ist ein Museum für die Thierkunde der Zukunft, dessen Wichtigkeit erst begriffen wird, nachdem Darwin den alten Sauerteig wieder einmal aufgerührt und die ganze deutsche und englische Forscherwelt in gährende Aufregung versetzt hat. Jetzt, gerade jetzt bedarf die Wissenschaft einer solchen Rüstkammer! Und deshalb ist es unser ernstes Streben, sie dem Vaterlande und zwar, wo möglich, unserer thüringischen Hochschule, dem vom Vater und uns, den Söhnen, gleich warm geliebten Jena zu erhalten. Wir dürfen Hoffnung hegen, daß der alten Ehrenkrone Jenas diese Perle eingereiht werde – und wenn nicht, so würde ich bei allen übrigen deutschen Hochschulen betteln gehen, bevor ich mich entschließen könnte, dem geldreicheren Ausland einen Schatz auszuliefern, den ich mir selbst nun einmal nicht erhalten kann. Außer diesen 7000 Vogelbälgen sind aber noch über 2000 andere vorhanden, welche der Hauptsammlung unmöglich eingereiht werden können, weil sie dieselbe nur beschweren würden. Sie sollen später nach und nach an Schulen abgegeben werden, damit wir dem Manne, welcher unablässig für seines Volkes Bildung arbeitete, in jeder Hinsicht gerecht werden.

Und diese Sammlung von mehr als 9000 Stück hat der Mann, welcher sein beschwerliches Amt treu verwaltete und noch immer Zeit fand, Anderen zu helfen, welcher nebenbei als Schriftsteller thätig war, durch seine eigene Arbeit zusammengebracht – ohne jemals zu kaufen! Er hat weitaus die größere Anzahl dieser Vögel erlegt, zubereitet und durch fünfzig Jahre bewahrt vor dem Verderben; er hat die außerdeutschen Vögel durch deutsche ertauscht. Ein Grundsatz von ihm erklärt seinen späteren Reichthum. Er ließ Nichts „umkommen“ von dem, was er zu wissenschaftlichen Zwecken in seine Hand bekam. Ihm war der von ihm oder von Anderen getödtete Vogel ein heiliger Gegenstand, mit welchem er, wie er sich ausdrückte, nicht freveln durfte. Deshalb saß er oft noch in später Nachtstunde ausstopfend an seinem Arbeitstische, um eine Vogelleiche zu „erretten“, d. h. um sie nicht der natürlichen Zerstörung preiszugeben. Seine Wissenschaft war ihm Gottesdienst: „Ich habe,“ sagte er schon vor nunmehr vierundvierzig Jahren, „in diesen Beiträgen nur da auf den Schöpfer hingewiesen, wo ich dem Drange, dies zu thun, nicht widerstehen konnte. Doch bin ich mir bewußt, bei Abfassung des Ganzen Gott im Herzen gehabt zu haben … und trüge dieses Werkchen etwas dazu bei, unseren Forschungen in der großen Natur die Richtung zu geben, daß man bei ihnen mehr, als bisher, den Einzigen, der Alles erfüllt und belebt, suchte und fände, dann wäre sein höchster Zweck auf das Vollkommenste erreicht!“ Es bedarf keines Wortes weiter, um die „Allotria“, welche der alte Pastor trieb, zu kennzeichnen.

Der Vater arbeitete in seinem Greisenalter, wie er in seiner Jugend gearbeitet hatte, unablässig, unermüdlich. In seinen letzten Lebensjahren vermehrte sich seine Sammlung außerordentlich rasch. Von allen Seiten kamen Geschenke – ganze Kisten voll. Man kannte seine Art zu sammeln, und man ehrte sie und dadurch sich. Wir Beiden, mein Bruder und ich, haben auch das Unsrige beigetragen, dem alten Herrn die Lösung mancher Fragen zu erleichtern. Er wünschte von mir, als ich in Afrika reiste und sammelte, Thurmfalken zu haben, ich brachte ihm 362 Stück derselben mit; er verlangte Schafstelzen, ich sammelte gegen fünfhundert von ihnen. Mit diesen Schätzen erwarb er sich tauschweise neue. Spanien, Norwegen, Lappland brachten ihm auch ihren Zoll. Es war eine Freude für uns, dem geliebten Mann Freude zu bereiten, eine Lust, ihn beim Auspacken einer seiner Kisten zu beobachten, ihn das Neuangekommene prüfen, vergleichen zu sehen. Nicht blos der Sohn, auch der Künstler konnte sich dann an dem Eifer des greisen Forschers begeistern.

Unser Bild ist der Beweis dafür. Karl Werner, der Vielgerühmte, einer unserer größten Architekturmaler, wollte gerade ihn, den forschenden Priester, durch eine seiner Schöpfungen verewigen. In das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_663.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)