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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Und mit etwas wie einem neuen kann ich aufwarten,“ sagte in diesem Augenblick die Stimme eines Mannes, der eben um einen Jasminstrauch trat und der Gesellschaft eine leichte Verbeugung machte. Es war Allmer. „Hier,“ fuhr er zu Florens von Ambotten gewendet fort, „lesen Sie das, dies Billetdoux hier!“

Florens nahm mit einem mißtrauisch scheuen Blick das Billet, das Allmer ihm reichte, und erbrach es. Seine Züge verfärbten sich, während er las.

„Um Gott,“ stammelte er, wie hülfeflehend zu Herrn von Schollbeck und zu Eugenien aufblickend, „er hat mich gefordert!“

„Er … Horst?“ fragte Eugenie.

„Horst!“

„Und weshalb?“ rief Herr von Schollbeck aus.

„Weil … weil mein Betragen beleidigend gegen ihn gewesen … da lesen Sie selbst … gefordert auf Pistolen!“

„Das ist ja ein wahrer Türke!“ sagte Herr von Schollbeck.

„Armer Florens!“ flüsterte Eugenie mit einem Blick des Mitleids, wie man ihn auf ein geängstigtes Kind wirft.

Florens war aufgesprungen. Florens von Ambotten war, was selten zu geschehen pflegte, in Aufregung gekommen; er war zornig geworden, … aber sein Zorn äußerte sich in unendlich sanft vorgebrachten Vorwürfen gegen Herrn von Schollbeck.

„Es war aber auch unrecht von Ihnen,“ sagte er, „daß Sie mir nicht früher erklärten, daß Sie ihn nicht empfangen, daß Sie seinen Besuch abweisen und auch mir befehlen würden, ihn abzuweisen. Ich konnte es ja gestern Abend nicht wissen … und jetzt, jetzt hat er mich gefordert …“

„Da machst Du mir sehr ungerechte Vorwürfe,“ unterbrach ihn Herr von Schollbeck ärgerlich, „es wurde ja erst gestern Abend spät beschlossen, daß wir ihn abweisen wollten, nachdem Allmer dagewesen und uns den Kauf von Falkenrieth und seine Drohungen mitgetheilt hatte. …“

„Ja, Allmer!“ rief Florens wieder aus, diesmal mit dem Tone entschiedenen Verdrusses.

„Was willst Du thun? Willst Du Dich mit ihm schießen?“ fragte Herr von Schollbeck.

„Ich, schießen … o mein Gott, das wäre ja fürchterlich! Muß ich das denn?“

„Ich sehe nicht, wie Du ihm ausweichen willst!“

„Was meinst Du, Eugenie?“ sagte der Vetter, wie in der Erwartung, Hülfe in seiner Noth bei dem jungen Mädchen zu finden.

Eugenie sah zu Boden, ohne zu antworten. „Ich, ich würde mich mit ihm schießen,“ sagte sie dann, plötzlich den Kopf erhebend, mit geröthetem Gesichte und zornig die Worte zwischen den Zähnen murmelnd.

„Aber Sie können es nicht, Fräulein Eugenie,“ fiel hier Allmer ein, „und Herr von Ambotten ist zu ungeübt in den Waffen, um es zu können. Ueberlassen Sie mir, den heftigen jungen Mann für den Verdruß zu strafen, den er Ihnen gemacht hat!“

Allmer blickte bei diesen Worten das junge Mädchen mit einem der sprechenden, wie schwer auf ihrem Gegenstande lastenden Blicke aus seinen dunklen Augen an, die sie seit seinem ersten Kommen nicht verlassen hatten.

„Sie wollten …“ fiel Herr von Schollbeck hier ein, „für Florens …?“

„Lassen Sie Herrn von Ambotten erwidern,“ entgegnete langsam und bestimmt Allmer, „er sei ungeübt im Pistolenschießen, es sei wider seine Grundsätze sich zu schlagen, oder was er für gut findet, und statt seiner werde ich die verlangte Genugthuung geben …“

„Aber bei dem Verhältnisse, in welchem Sie zu ihm stehen?“ unterbrach ihn Florens.

„Dies Verhältniß wird bald abgebrochen sein – noch heute. Ich habe nicht die geringste Lust, es nur noch einen Tag lang fortzusetzen. Zudem habe ich für mein eigenes Gut zu sorgen. Sie wissen, daß ich in Unterhandlungen wegen des Ankaufs des Ritterguts zu Flursheim stand – dasselbe ist seit voriger Woche mein!“

„So wünsche ich Glück, von Herzen Glück dazu!“ sagte Herr von Schollbeck.

„Ich danke Ihnen, Herr von Schollbeck,“ versetzte Allmer, immer in derselben Ruhe, welche einen so eigenthümlichen Contrast mit der inneren Aufgeregtheit der Anderen bildete; „ich danke Ihnen, wenn ich auch das Glück – sein Auge lag bei diesen Worten wieder auf Eugenie – nicht von Umständen erwarte, die immer nur die Grundlage für ein darauf zu bauendes Glück bilden können ! Aber zur Sache … werden Sie den Brief schreiben, werden Sie mich zu Ihrem Stellvertreter annehmen, Herr von Ambotten?“

Florens von Ambotten schien in seinem sanften Gemüth am wenigsten für Allmer die Gefühle zu hegen, die ihn geneigt machten, von ihm einen solchen Freundschaftsdienst anzunehmen. Mit einer gewissen Aengstlichkeit hatte er die auf Eugenien liegenden Blicke Allmer’s bewacht. Auf der anderen Seite hatte er noch weniger Lust, sich den Kugeln des bösen Menschen, der ihn zu erschießen drohte, zu stellen, und so sah er mit einem eigenthümlichen Blicke von Rathlosigkeit und Verlegenheit zu Herrn von Schollbeck und Eugenie auf.

„Ist es denn zulässig, kann man denn einem Andern überlassen, eine Ehrensache auszufechten, die uns persönlich angeht?“ sagte er schwankend.

„Herr von Horst verlangt eine Satisfaction,“ fiel Eugenie hier ein, „wenn sie ihm wird, so ist es einerlei, wer sie ihm giebt, ob Du oder ein Freund an Deiner Statt, Florens - – laß sie deshalb ruhig Allmer ihm geben. Ich hoffe, die Belehrung, die dieser böse Mensch dann erhält, wird um so gründlicher sein … es ist wahrhaftig abscheulich, ein, nimm mir’s nicht übel, ein harmloses Kind wie Dich auf Pistolen zu fordern… es gehört so entsetzlich wenig Muth zu dieser Heldenthat … es ist erbärmlich, verächtlich … wenn Allmer ihm entgegentritt, wird er vielleicht Gelegenheit es zu bereuen bekommen!“

„Wenn Du es so auffassest!“ sagte Florens, der bei der Heftigkeit, womit Eugenie gesprochen, gar nicht wagte, gegen die kindliche Harmlosigkeit zu protestiren, die ihm seine Cousine zuschrieb und die ihn doch so verletzte, daß er einen vorwurfsvollen Blick auf Herrn von Schollbeck warf, als ob er sagen wollte: „Du siehst, wie sie mit mir umgeht!“ Dann stand er auf und fügte hinzu: „So will ich gehen und eine solche Antwort an Horst schreiben!“

Damit verließ er die Gesellschaft. Diese letztere blieb eine Weile stumm und schweigend; Eugenie nahm eine Stickerei zu Händen, ihr Vater blickte gedankenvoll auf die nächste grüne Rasenfläche hinaus. Nach einer Weile erhob auch er sich.

„Ich muß doch gehen und schauen, was Florens schreibt … ob er sich in der gehörigen Weise ausdrückt!“ sagte er und ließ Eugenie und Allmer allein.

Eugenie wechselte leicht die Farbe; es zuckte etwas über ihr Gesicht, als sie ihrem Vater nachblickte, und die Finger, womit sie in einem kleinen, auf Papierunterlage genähten Stücke weißen Zeuges Stiche machte, begannen von diesem Augenblicke an zu zittern. Allmer entging diese Bewegung nicht. Er beobachtete sie eine Weile schweigend; dann sagte er: „Fräulein Eugenie, Ihre Hand zittert ein wenig…“

„Sie irren,“ entgegnete sie halblaut; in der That die Finger hatten von diesem Augenblicke an ihre ganze Festigkeit wieder erhalten.

„Ich bewundere die Kraft, welche Sie über sich besitzen. Sie haben eine seltene Gewalt sich zu beherrschen …“

„Sich beherrschen können ist der Anfang aller Weisheit …“

„Und aller Anfang ist schwer, wie bekannt.“

„Man muß nur den Willen haben!“

„Den Willen! Was ist der Wille! Es giebt viel in uns, was den Willen unterjocht, ihn unter die Füße tritt, oder ihn zum Spielzeug macht!“

„Das sagt ein Mann?“

„Ja, ein Mann, ein Mann von starkem, nicht leicht zu beugendem Willen sagt Ihnen, daß sein Wille nichts werden kann als eine Seifenblase, die der Hauch der Leidenschaft schaukelt und hinbläst wohin sie mag.“

„Welch’ kläglicher Wille!“ fiel Eugenie mit spottendem und doch offenbar ängstlichem Tone ein, indem sie einen scheuen Blick in Allmer’s dunkel auf sie niederglühende Augen warf und dann die ihren rasch wieder auf ihre Arbeit senkte.

(Fortsetzung folgt.)
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