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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sich zwar bald wieder ein Bogenschreiber, nur daß sich die Sache hundertfach besser lohnte.

Bereits nach zwei Jahren sehen wir unsern Freund in ganz behaglichen Verhältnissen an schönen Sommernachmittagen im Schweizerhäuschen des Rosenthales, im Kreise von Freunden, deren er sich durch seine joviale Laune bald in Menge erworben hatte, sein Gläschen Grog schlürfend und von Zeit zu Zeit mit einem Operngucker, seinem steten treuen Begleiter, die anwesenden Frauen und Mädchen musternd.

Die glücklichste Periode seines Lebens begann unstreitig mit der Gründung des „Kometen“, eines belletristischen und für die damalige Zeit ziemlich freisinnigen Blattes, obschon das erste Jahr durch Mißhelligkeiten mit dem ersten Verleger getrübt war. Der Komet trat mit dem Jahre 1830 in’s Leben und wurde in Altenburg gedruckt, wo die Censur weniger streng war, als in der Stadt der deutschen Befreiungsschlacht und der Musen. Die pikante Weise, in der das Blatt geschrieben war, fand überall Freunde. Mit ihm zugleich erschien ein satirischer Band unter dem Namen „Hahn und Henne“, der aber weniger ansprach, da er nur die Schattenseiten des gesellschaftlichen Lebens behandelte. Nachdem der Roman „der Venetianer“ den Reigen eröffnet, folgte „der Ungar“ und diesem nun von Jahr zu Jahr, in fast ununterbrochener Reihenfolge, die übrigen bekannten historisch-romantischen Gemälde.

Als Lyriker hat Herloßsohn manch schönes inniges Lied gesungen. Viele seiner metrischen Dichtungen sind componirt, und außer einigen gefälligen Trinkliedern ist besonders das „Wenn die Schwalben heimwärts ziehn“ in’s Volk gedrungen. Viel Freude machte es dem Dichter, wenn zu Messenszeiten dieses Lied von den Preßnitzer Jenny Linds zum Besten gegeben wurde, und er bedachte dann stets reichlicher das umherwandelnde Notenblatt. Und dieses Lied war durch einen reinen Zufall in die Hand des Componisten gelangt, der es berühmt machte. Der Leipziger Schriftsteller hatte an F. Abt ein Paket Bücher zu schicken und benutzte als Umschlag zufällig die Kometennummer, worin das Lied zum ersten Male abgedruckt war. Die einfachen Verse sprachen den Componisten in einem Grade an, daß er sofort die Melodie dazu schuf, die bald die Reise um die Welt machte.

Herloßsohn war nie verheirathet, obschon er, wie seine erotischen Dichtungen hinreichend darthun, ein großer Verehrer des schönen Geschlechts war. So kam denn seine ganze freie Zeit und gute Laune allein seinen Freunden zu gute, die er im Hause oder an der Wirthstafel aufsuchte. Hier sprudelte sein harmloser, nie verletzender Witz mit seltener Unermüdlichkeit, und seinem Anekdotenschatze ward Gelegenheit, sich in seinem ganzen Reichthums zu zeigen.

Zu den vertrautern Bekannten unsers Herloßsohn gehörten eine Reihe von Jahren der liebenswürdige Componist des „Czar und Zimmermann“, Albert Lortzing und der beliebte Baßbuffo Berthold. Man sah die Drei oft beieinander, zuweilen auch bei einem Fläschchen Scharlach- oder Johannisberger in einer der bekannten Leipziger Weingrüfte. Der heiterste Scherz wechselte da mit den ernstesten Stimmungen, da die zwei Letztgenannten mit den grauen Sorgen des Lebens nur zu schwer zu kämpfen hatten. Wenn diese Drei, die der Himmel so reich mit Talenten und Liebenswürdigkeit gesegnet hatte, zusammensaßen, dann sammelte sich rasch ein größeres Publicum um sie und Alles horchte ihrer geistreichen und immer anregenden Unterhaltung. Es war ein seltenes Kleeblatt aus der Musenwelt: der sinnige reichbegabte Dichter, der tüchtige Opernsänger und Schauspieler und der liederreiche Componist – der Schöpfer von „Czar und Zimmermann“, des „Wildschützen“ etc. etc.

Zur Ruhe, zu jener abgeklärten Abgeschlossenheit und künstlerischem Stillleben, wie sehr er sich oft danach sehnte, konnte Herloßsohn indeß nie gelangen. Es ist darum ein Räthsel geblieben, wann er überhaupt seine zart empfundenen und sauber geformten Lieder gedichtet. Seine Wohnung, zugleich sein Redactionsbüreau, ward nicht leer von Mitarbeitern, Schauspielern etc., die alle den damals mächtigen Schriftsteller um seine Fürsprache baten. Der Komet war zu jener Zeit das gelesenste Wochenjournal und Alles geizte nach einer Erwähnung in die Spalten dieses Blattes.

Einmal nahm der störende Besuch in solchem Grade überhand, daß sich unser Freund in seiner Verzweiflung nicht anders zu helfen wußte, als daß er sich nach Baiern flüchtete, nicht in das Bierland, sondern nach Hotel de Baviere [WS 1], wo er sich für seine „anatomischen Leiden“, die damals fertig werden mußten, nach dem Hofe hinaus ein einsames, selbst für den Pedell unergründliches Stübchen gemiethet hatte. Ein ähnliches Asyl gewährte ihm später der Buchhändler Taubert, für den er einen Roman schrieb. Hier saß er in einem Stüblein, dessen Fenster nach einem Sackgäßchen hinausging; und um ihn vor etwaigem Besuche möglichst zu schützen, hatte Madame Taubert die Vorsicht getroffen, die Thür mit einem vorgelegten Plattbrete zu verbarrikadiren und selbst plattend Wache zu halten. Das schlagbaumartige Plattbret mußte erst aufgehoben werden, ehe man zu Herloßsohn gelangen konnte, was natürlich nur in den außerordentlichsten Fällen und den intimsten Freunden verstattet war.

Zur Zeit der Ostermesse erreichte der Tumult auf dem Bureau des Kometen den höchsten Grad. Zu den instädtischen schönen Geistern gesellten sich auch noch die ausländischen, von denen jeder glaubte, dem beliebten Herloßsohn seinen Besuch abstatten und seine Bekanntschaft machen zu müssen. Letztern schlossen sich dann die Löwenbändiger, Feuerfresser, Reitkünstler und sonstigen Beherrscher des Roßplatzes an, die alle den geplagten Redacteur um eine Empfehlung im Kometen bestürmten. Herloßsohn in seiner überaus großen Gutmüthigkeit vermochte kein derartiges Gesuch abzuschlagen, sobald aber Petent das Zimmer verlassen, fluchte ihm der Besitzer desselben über alle Maßen nach.

Herloßsohn’s Witz und Schlagfertigkeit waren allbekannt und es existiren darüber eine Masse der prächtigsten Anekdoten. So hatte der Besitzer des Hotel de Pologne zu einer Messe die Säle seines Hauses neu decoriren lassen und Alles freute sich der geschmackvollen Einrichtung. Nur ein paar Berliner Kaufleute, die in Geschäften zur Messe anwesend, fanden sich in Betracht ihrer heimischen Etablissements keineswegs befriedigt und sprachen in vielfacher Beziehung ihren Tadel aus. Herloßsohn, der an der Table d’hôte in nächster Nähe saß, erwiderte kein Wort. Endlich wandte sich einer dieser Meßfremden an den Dichter selbst.

„Sagen Sie mal,“ schnarrte er, „man hat uns so viel von der noblen Einrichtung dieser Säle erzählt – wir sehen aber nichts Besonderes und auch das Publicum, namentlich die Frauen, scheinen uns nicht zur Noblesse zu gehören.“

„Nein,“ sagte Herloßsohn ganz trocken, „zur Noblesse gehören diese nicht. Es sind die Frauen der Meßfremden.“

Der Berliner sagte kein Wort mehr.

Gern liebte es Herloßsohn, wenn er im heitern Kreise seiner Bekannten saß, die ihm zunächst Sitzenden durch taschenspielerische Scherze zu necken. Namentlich that er sich auf seine Escamotage viel zu Gute, und eh’ man sich’s versah, hatte man eine fremde Tabaksdose, ein Cigarrenetui, einen Fidibusbecher in der Tasche. An einem heißen Sommertage speiste Verfasser dieses mit Herloßsohn im Hotel de Baviere. Zu Herloßsohn’s Linken saß ein etwas zudringlicher, aber sonst gutmüthiger Bewundrer seiner Muse, dem indeß die neckenden Liebhabereien des Dichters weniger bekannt waren. Herloßsohn benutzte diese Unschuld und prakticirte aus dem neben ihm stehenden Eiskühler ein Stück Eis nach dem andern geschickt in die Fracktasche seines Bewundrers. Er rieb sich vergnügt die Hände, als ihm die Escamotage vollständig gelungen; denn als wir bald darauf mitsammen die Petersstraße entlang gingen, begann das schmelzende Eis seine hydraulischen Belustigungen aus dem Frackschooße und ließ eine eigenthümliche Wasserspur hinter dem Bewundrer der Herloßsohn’schen Muse zurück. Der Betreffende wollte aus der Haut fahren, als er den durchweichten Zustand seiner Tasche visitirte, während sich der Escamoteur vor Lachen die Thränen aus den Augen trocknete.

Von Herloßsohn’s überaus großer Herzensgüte nur ein Beispiel. Ich ging mit ihm eines Sonntagnachmittags aus dem Rosenthale nach der Stadt zurück. Viel geputzte Spaziergänger kamen uns entgegen. Da entstand am Ufer der Pleiße plötzlich ein Auflauf. Ein paar Jungen hatten einen kleinen Hund in’s Wasser geworfen. Angstvoll kämpfte das arme Thier mit den Wellen. Herloßsohn vermochte dies nicht anzusehen, und eh ich mir’s versah, spang er trotz seiner schneeweißen Sommerbeinkleider in’s Wasser und rettete das gequälte Thier. Wir mußten einen Umweg machen, um so unbemerkt wie möglich Herloßsohn’s Wohnung zu erreichen, wo sich der thierfreundliche Retter umkleidete.

Bei Herloßsohn’s ungemeiner Gutmüthigkeit – er hat nie einen Bittenden abgewiesen – war es kein Wunder, wenn trotz der schönen Honorare seine finanziellen Verhältnisse nie recht zu einem ersprießlichen Gedeihen gelangen wollten. So lange die

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