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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

dauern würde, bis die Schulden abgetragen seien. Seitdem sind achtzehn Jahre verflossen … Sie waren damals acht Jahre und zählen jetzt sechsundzwanzig …“

„Es ist wahr,“ sagte der junge Baron milder und wie einem überlegenen Wesen sich beugend, „ich war in der That sehr überrascht durch die unverhoffte Nachricht des Gerichts, daß ich kommen und mein Erbe übernehmen könne …“

„Ohne die Rentenablösungen, die uns so viel Geld brachten, und ohne die unerwartete Erbschaft von Ihrem Vetter in Schlesien wäre es freilich nicht möglich gewesen … aber trotzdem,“ fuhr der Administrator selbstbewußt fort, „darf ich sagen, daß ohne meine ehrliche, umsichtige und rastlose Ausbeutung der Hülfsquellen, welche Ihre Besitzungen darboten, das Ziel nicht so rasch erreicht worden wäre, und so habe ich denn freilich einigen Anspruch – nicht auf Ihren Dank, Herr Baron, den ich nicht verlange, aber auf eine andere Art des Verkehrs!“

Der junge Mann sah den Redenden groß und offen an; er schien zu fühlen, daß er mit dem Tone, den er angeschlagen, ein Unrecht begangen, und ganz bereit, es gut zu machen, entgegnete er: „Ich bin aber durchaus nicht gewillt, mich dem Danke zu entziehen, mein lieber Herr! Glauben Sie das nicht – ich weiß auch sehr wohl, daß ich, ohne Ihre fortdauernde Hülfe bei der Verwaltung meiner Herrschaft zu finden, für die nächste Zeit in großer Verlegenheit sein würde. Aber ich gestehe Ihnen, daß der erste Eintritt in mein Vaterhaus mir einen unangenehmen Eindruck gemacht hat. Ich bin etwas von einem Kunst-Dilettanten … ich habe meines Vaters Interesse für die Plastik geerbt, und so war mir lebhaft in der Erinnerung der große Werth geblieben, den mein Vater auf seine farnesische Flora setzte, auf die Marmorstatue, die er einst in Italien erstanden, die er hütete wie seinen Augapfel. Wenn ich in den langen Jahren, die ich in der Fremde zubrachte, mich meiner Heimath erinnerte, so trat mir dies weißglänzende schöne Bild entgegen wie eine Art von waltender Hausgottheit, wie ein schützender Genius des Orts – Sie wissen, welche Rolle in unserer Seele solch’ ein Ding, das sich tief der kindlichen Phantasie eingeprägt hat, spielen kann – und nun ist das schöne Bild verschwunden, ich finde einen wahren Plunder an seiner Stelle… wo ist es? wohin ist es gerathen?“

Wäre die Dämmerung nicht schon so stark eingebrochen, Baron Horst, der bei diesen Worten in die Züge des Mannes vor ihm blickte, hatte wahrnehmen müssen, daß diese Züge sich leise verfärbt hatten, während er sprach, daß sich wieder tiefe Falten in die Stirn des Administrators gruben und seine Blicke einen etwas scheuen und unsteten Ausdruck einnahmen.

„Wenn ich nicht irre,“ versetzte er ein wenig zögernd und mit dem Tone eines Mannes, der sein Gedächtniß anstrengt, „wenn ich nicht irre, ist das Bild verkauft, schon vor Jahren, Sie wissen vielleicht nicht, daß das Gericht für gut befunden hat, manches Werthvolle, was nicht zum Fideicommiß gehörte, z. B. das Silberzeug Ihrer Eltern, verkaufen zu lassen; die Statue wird mit verkauft sein … es wird sich bei den alten Rechnungen eine Notiz darüber finden … es war mir unbekannt, daß Sie so großen Werth darauf legten … daß Sie selbst die Kunst treiben … und ich meine,“ setzte er lächelnd hinzu, „Sie können ja jetzt solche alte Kunstsachen wieder kaufen, so viel Sie wollen … von der Erbschaft des Vetters in Schlesien und den Renten des letzten halben Jahres, die schon Ihnen zu gute kommen, liegt eine ganz hübsche Summe für Sie bei Gericht deponirt … Sie brauchen sich nur zu melden, um sie ausgeantwortet zu bekommen, sie muß etwas wie dreißigtausend Thaler sein …“

„Mit Geld allein sind solche Kunstschätze nicht zu erlangen, mein lieber Administrator,“ fiel Horst ein … „daß die Flora mir geraubt, vielleicht für einen Spottpreis an irgend einen Althändler losgeschlagen ist, bleibt mir ein bitterer Tropfen in die Freude dieses Tages, der ein so wichtiger und bedeutungsvoller in meinem Leben ist … sehen Sie ja die Rechnungen nach, damit ich erfahre, wohin die Statue gekommen ist!“

„Gern, Herr Baron.“

„Schon morgen, ich bitte darum …“

„Wollen Sie sich jetzt nicht gefallen lassen, eine Erfrischung unten bei mir einzunehmen, bis das Abendessen bereitet ist…?“

„Das will ich mit Vergnügen,“ sagte Horst, „ich habe, wie Sie sagen, dreißigtausend Thaler auf dem Gericht liegen und bin doch so hungrig und durstig, wie ein armer Student … ich habe mein letztes Geldstück am Thor der Stadt, wo ich zu Mittag gegessen, an einen Bettler gegeben und bin eingezogen in die Pforten meines Ahnensitzes ohne einen Heller in der Tasche!“

Der Administrator lachte und entgegnete: „Mein Gott, weshalb schrieben Sie mir nicht?“

„Weil ich Sie nicht kannte, nicht wußte, ob ich Geld fordern könne … so mußt’ ich die ganze Reise mit den Ersparnissen meiner österreichischen Oberlieutenantsgage machen.“

„Ich kann Ihnen den Inhalt der ganzen Rentcasse zur Disposition stellen,“ sagte der Rentmeister.

Beide erhoben sich nun und begaben sich nach unten in das Wohnzimmer des Administrators.

„Und nun,“ sagte Horst, indem er sich hier auf dem harten Roßhaarkanapee lang ausstreckte, „müssen Sie mir vor allen Dingen von einer bezaubernden jungen Dame erzählen, welche ich in Schloß Falkenrieth gesehen und gesprochen habe.“

Allmer, so hieß der Administrator, wandte bei diesen Worten sehr lebhaft sein Gesicht dem jungen Manne zu, ohne zu antworten.

„So viel ich mich entsinne,“ fuhr Horst fort, „lebt nur eine Gutsbesitzerfamilie hier in der Nähe, ein Herr von Schollbeck … ist es nicht so?“

Allmer wandte sich ab und trat an den Klingelzug in der Ecke, um nach Licht zu schellen.

„Hat Herr von Schollbeck Töchter, so war die schöne Dame ohne Zweifel ein Fräulein von Schollbeck … sie ist bildhübsch, gescheidt, beredt, ich war ganz bezaubert von ihrer Erscheinung, als ich sie völlig unvermuthet in dem Salon auf Falkenrieth vor mir erblickte.“

„Also Fräulein Eugenie hat bereits Ihre Eroberung gemacht?“ versetzte jetzt Allmer mit einem Tone kühlen Spotts.

„Erzählen Sie mir von ihr …“

„Ich will Ihre Illusionen nicht stören, Herr Baron – hier kommt Speise und Trank, und dem sollen Sie sich jetzt in völliger Gemüthsruhe hingeben.“




4.

Es waren einige Tage verflossen, die Horst dazu angewandt hatte, sich in seinem großen und schönen Besitzthum zu orientiren, das ihm, dem armen Oberlieutenant, so unvermutheter Weise zurückgegeben war, während er es vielleicht noch für ein halbes Jahrhundert hinaus sich entzogen geglaubt und demgemäß sich in seinen fernen steierischen und italienischen Standquartieren nicht das Allermindeste darum gekümmert hatte.

Wir finden ihn wieder in der nächsten Stadt, welche der Sitz eines Kreisgerichts ist, und eben neben seinem Administrator die Stufen des Gerichtsgebäudes niederschreitend, einem offenen leichten Jagdwagen zu, der, mit zwei hübschen Braunen bespannt, vor dem Gebäude hält. Ein Diener trägt ihnen schwere graue Leinensäcke nach, die hinten im Wagen niedergelegt werden.

„Seltsam,“ sagt der junge Mann, „daß sich auch da oben in den Gerichtsacten keine Notiz über den Verkauf der Flora findet.“

„Es sind noch viele ältere reponirte Acten da,“ versetzte der Administrator, „wenn Sie befehlen, werde ich darum einmal eine besondere Reise hierher machen und einen ganzen Tag daran wenden, in den alten Papieren nachzusuchen.“

„Thun Sie das ja, Herr Allmer,“ entgegnete der junge Mann, „und jetzt kommen Sie mit mir zum Notar …“

„Dahin müssen Sie schon allein gehen, Herr Baron,“ antwortete der Administrator ein wenig barsch, „ich bleibe bei den Geldsäcken zurück.“

„Die Geldsäcke werden schon gehütet werden von Kutscher und Knecht … bei der Verhandlung mit dem Notar habe ich Sie nöthig …“

Allmer schüttelte den Kopf. „Sie werden schon fertig werden, Sie geben einfach Ihr Gebot, und damit ist die Sache abgemacht; alles Andere ordnet der Notar.“

„Aber wenn man in solchen Geschäften so unerfahren ist…“

„Ich kann Ihnen nicht helfen … ich gehe vom Wagen nicht fort,“ versetzte Allmer mit einer fast groben Bestimmtheit und sich abwendend.

„Mißbilligen Sie vielleicht meine Absicht?“

„Nicht im geringsten … ich hab’s Ihnen ja gesagt, Herr

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