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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Uebertünchte Ruinen.
Aus der neuesten Aera lm Lande Homer’s.

Die Besichtigung der zahlreichen Ruinen der griechischen Hauptstadt war beendet, – die üblichen Ausflüge in Athen’s Umgegend sollten unsern dortigen Aufenthalt beschließen. Wir gingen daher zu Herrn Theophilus, einem neben unserm Hôtel wohnenden Fuhrherrn, und sagten ihm, wir wünschten zu morgen früh um neun Uhr einen zweispännigen Wagen nach Eleusis.

„Wie steht es denn mit der Bedeckung?“ fragte der Fuhrherr, der durch langjährigen Umgang mit den in Athen lebenden Deutschen unsere Sprache ziemlich geläufig sprach.

„Sie können einen halben Wagen schicken,“ gaben wir zur Antwort, „dessen Verdeck sich aufschlagen läßt, wenn es zu warm wird.“

„Ganz wohl,“ bemerkte der Fuhrherr lächelnd; „von einem Verdeck ist aber nicht die Rede. Ich meine die Militär-Bedeckung.“

Wir sahen ihn verwundert an.

„Sie scheinen nicht zu wissen,“ fuhr Herr Theophilus fort, „daß man seit dem Thronwechsel nicht die Nase aus den Thoren von Athen stecken kann, ohne von Räubern angefallen zu werden, und daß zu einer Fahrt nach Eleusis, sowie nach jedem andern Orte, nicht einmal den Piräus ausgenommen, eine militärische Escorte erforderlich ist, deren Bezahlung dem Reisenden den Beutel nicht weniger leicht macht, als ein räuberischer Anfall.“

Jetzt lachten wir. Der Aermste hatte wahrscheinlich unter der Regierung des Königs Otto die Kundschaft der Hof-Cavaliere besessen und durch den Thronwechsel Einbuße erlitten.

„Wir sehen wohl,“ bemerkten wir daher spöttisch, „für morgen sind bei Ihnen keine Pferde mehr disponibel.“

„Sie glauben mir nicht?“ rief er mit zornblitzenden Augen.

„Sehen Sie sich um! Und wenn Sie morgen ohne Bedeckung nach Eleusis fahren, so werden Sie den Cameraden jener fünf Galgenvögel dort einen großen Gefallen thun.“

Unsere Blicke folgten seiner Hand, die auf die Straße deuteten. Was sahen wir? Fünf wüste Männergestalten, umringt von reitenden Gensdarmen, die theils den blanken Säbel, theils den Karabiner mit gespanntem Hahn in der Hand trugen und ihren Fang einem sichern Gewahrsam zuführten. An Neugierigen, die bei dergleichen Anlässen schreiend nebenher laufen, fehlte es hier gänzlich; das Publicum schien in Bezug auf Räubertransporte bereits blasirt zu sein. Einige von den Räubern waren ohne Kopfbedeckung, die sie wohl bei der Verfolgung verloren hatten. Alle gingen barfuß, trugen die bei den griechischen Landleuten übliche „Flockusta“, einen kurzen zottigen Mantel aus grober Schafwolle, dessen glatte Seite im Sommer, und dessen zottige im Winter nach innen gekehrt wird; Alle blickten scheu und trotzig umher wie Eulen, die bei Tage aus ihrem Schlupfwinkel vertrieben und von Sperlingen umschrieen sind.

„Ja, ja!“ triumphirte der Fuhrherr, als er unsere betretenen Mienen sah. „Das ist in dieser Woche der dritte Fang, den die Gensdarmen in der Umgegend gemacht haben, und dennoch ist vorgestern Abend auf dem Wege von hier nach dem Piräus die Post angefallen und des Geldes, das sie mit sich führte, beraubt worden. Die Passagiere aber, drei Matrosen, die keinen Heller in der Tasche hatten, sind mit einer Tracht Prügel davongekommen, deren Verdoppelung die Räuber in Aussicht gestellt, wenn die Seeleute sich abermals auf der Landstraße ohne Geld betreten ließen. Damit Sie aber sehen,“ schloß der Fuhrherr, „daß über meine Pferde noch nicht disponirt ist, soll der Wagen morgen früh um neun Uhr vor Ihrer Thür sein.“

„Wir danken für Ihre Güte,“ riefen wir eifrig, „unter den obwaltenden Umständen leisten wir auf Eleusis Verzicht.“

„Das glaub’ ich, ohne daß Sie darauf schwören,“ höhnte Theophilus. „Von Eleusis rede ich nicht mehr. Der Wagen soll Sie nach dem Champ de Mars, dem Exercirplatz, eine Viertelstunde von der Stadt, führen, wo Sie morgen ganz Athen versammelt finden.“

„Was giebt es dort zu schauen?“

„Allerlei! Den jungen König, unsere ganze Armee, alle Schönen der Stadt in ausgesuchter Toilette.“

„Und die Veranlassung?“

„Sie wissen, daß England uns die ionischen Inseln abgetreten hat. Um nun diese neue Eroberung besetzen zu können, – denn was man besitzen will, muß man bekanntlich besetzen, – ist ein neues Regiment Gensdarmen errichtet worden, denen der König morgen vor ihrem Aufbruche nach den Inseln die Fahne übergiebt. Bei dieser Gelegenheit ist für die übrigen Truppen große Parade und Vorbeimarsch.“

Wir gingen auf den Vorschlag des Fuhrherrn mit Vergnügen ein; denn wo die Bewohner des Landes zusammenströmen – sei die Veranlassung, welche sie wolle – darf der Fremde nicht fehlen. Am nächsten Morgen war es sehr lebendig auf dem Schloßplatze, an welchem wir wohnten. Truppen mit klingendem Spiele kreuzten ihn, Equipagen mit Damen in glänzender Toilette rollten darüber hin, zahlreiche Bewohner der Stadt und Umgegend bildeten Gruppen auf demselben, die in jedem Augenblick wechselten. Wir warteten auf unsern Wagen, – er kam nicht. Voller Ungeduld und um auch nicht die geringste Minute zu verlieren, gingen wir hinunter vor die Thür unseres Hôtels und vertrieben uns die Zeit damit, die graziösen Pfefferbäume vor demselben zu betrachten und den feinen, hellgrünen Blättern durch Zerreiben den auffallend starken Gewürzgeruch zu entlocken. Da der Wagen nicht erschien, klagten wir unsere Noth unserm Wirthe, der seine Mußestunden, d. h. seine ganze Zeit mit Ausnahme der Schlaf- und Eßstunden, im Schatten der erwähnten Pfefferbäume zuzubringen pflegt.

„Theophilus ist ein Mann von Wort,“ entgegnete er. „Aber man kann nicht wissen, was man ihm heut für Ihren Wagen geboten hat. Sie mögen getrost den meinigen nehmen. Anastasius!“ rief er dann, und als Anastasius, der Kellner, erschien, befahl er: „Anspannen für den Effendi!“

Der Wirth hatte die Kunst, Fremden die Heimath zu ersetzen, in Constantinopel studirt und nannte, um dies zu zeigen, einen Jeden Effendi. Bald erschien der auffallend anständige, einer Privat-Equipage ähnliche Wagen unseres Hôtels, und wir fuhren zur Stadt hinaus.

Wohl in keinem Orte der Welt kommt man so schnell zur Stadt hinaus, als in Athen; denn von dieser Capitale ist bis jetzt so wenig vorhanden, daß man sich fast an jedem Punkt innerhalb zugleich außerhalb derselben befindet. Mit Ausnahme der Aeolus-Straße, die zum „Thurm der Winde“ und zur Akropolis führt, und der Hermes-Straße, welche die vorige senkrecht durchschneidet, findet man fast noch nichts, was man in älteren Städten eine Straße zu nennen pflegt. Athen existirt für jetzt nur in seinem Grundrisse, die Straßen sind ausgesteckt und getauft, aber die Häuser fehlen noch. Dagegen wird an vielen Stellen rüstig gebaut, und das bereits Vollendete wird sauber gehalten. Fertig sind bis jetzt an öffentlichen Gebäuden hauptsächlich das kasernenartige Schloß, welches das neue Athen ebenso beherrscht, wie das alte von der Akropolis dominirt wurde; die Kathedrale, äußerlich sehr frappant im byzantinischen Styl, innen bunt, prächtig und phantastisch; endlich mehrere palastartige Gasthöfe, in denen die schöne Kunst blüht, Rechnungen zu schreiben, und zwar solche, die sich bisher ein Versehen zu Gunsten des Fremden nicht haben zu Schulden kommen lassen.

Wenn sich der Reisende nicht schon durch die herrlichen, an den Meißel des Phidias erinnernden Menschengestalten, die krystallreine Luft und die Schönheit der scharf in sie hineingezeichneten Umrisse der die Stadt umgebenden Höhen des Hymettus und des Lykabettus belohnt genug fühlt, so wäre es wohl der dem Publicum geöffnete Schloßgarten, eine Schöpfung der Königin Amalie, was ihn für so manche Täuschung in und über Athen entschädigen könnte. Die unvergleichlichen und hochphantastischen Gartenanlagen vor dem neuen Orangeriehause in Potsdam; die aus der Mode gekommenen Spielereien zu Wörlitz, Schwetzingen und Hellbrunn bei Salzburg; die unter der Scheere gehaltenen Heckenwände von Versailles und Schönbrunn, die Hesperiden- und Blumengärten der Villa Butera und ihrer Nachbarin, der Villa Serra di Falco in der goldenen Muschel bei Palermo, – diese alle sind uns bekannt und wir wissen ihre Reize zu würdigen; aber über den Garten hinter dem Schlosse von Athen geht doch nichts!

Mag das wüste, dürre Ansehen, welches die griechischen Inseln,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_632.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)