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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

auf. Sie genossen der frischen Morgenluft, der Aussichten über die Stadt und auf das liebliche Thal von Häslach, der ungezwungenen Bewegung und des Gesprächs nach Wahl und Laune. Denn dieser Auszug war ein Spaziergang, keiner der allgemeinen, zu welchen die Akademie bisweilen nach der Vesper in’s Freie geführt wurde, auch keine Excursion in Folge gnädigster Einladung des Herzogs, um eine seiner großen Jagden mit anzusehen, aber ebensowenig ein Spaziergang, wie ihn gewöhnliche Menschenkinder sich in einer freien Stunde erlauben, sondern ein – ärztlich verordneter Spaziergang.

In die Karlsschule war eine epidemische Krankheit eingedrungen und hatte nach und nach die Mehrzahl der Schüler ergriffen. Nun das Uebel endlich besiegt war, zog die letzte Abtheilung der in der Genesung begriffenen Karlsschüler aus, um die ihnen vom Hofmedicus Reuß verordnete Waldpromenade abzumachen.

Unter diesen Reconvalescenten waren auch die beiden Eleven von Hoven und Schiller, welche in diesem dritten Jahr ihres Studiums der Medicin schon einigen Theil an der praktischen Behandlung von Patienten, die nach ihnen von der Epidemie befallen worden waren, genommen hatten. Vier andere Eleven aus verschiedenen Abtheilungen, welche aber in der letzten Zeit sich mit Schiller und von Hoven im Krankenzimmer vereint gefunden, hielten sich auch jetzt bei dem gemächlichen Ansteigen und fröhlichen Gewimmel des Trupps meistens in der Nähe dieser beiden Freunde.

Die einzelnen Glieder dieser Jünglingsgruppe müssen wir uns näher betrachten, ehe wir sie zu ihrem heutigen geheimen Ziel weiter verfolgen. Einige von ihnen hob der Glücksstern ihres Lebens hoch genug, um ihre Namen in das Ehrenbuch der Nation zu schreiben. Nicht blos im Widerschein von Schiller’s Ruhm glänzen die drei Künstler unter ihnen: Dannecker, der große Bildhauer, der einer der fruchtbarsten Künstler seines Fachs wurde, dem wir die gefeierte Kolossalbüste Schiller’s und die bekannte Ariadne im Bethmann’schen Garten zu Frankfurt a. M. verdanken und der, nachdem er bis 1839 die Stuttgarter Kunstschule geleitet, 1841 als Dreiundachtzigjähriger starb; ferner Victor Peter Heideloff, der Stuttgarter, der sich als Bildhauer, Maler und Architekt auszeichnete und besonders die Theaterdecorationsmalerei zu einer gepriesenen Kunst erhob; er ist schon 1816 gestorben, hat aber in seinem Sohne Karl Alexander einen Träger seines Namens hinterlassen, der auch den des Vaters nie vergessen läßt; endlich Jacob Schlotterbeck, gestorben um 1820, als Kupferstecher und Maler einer der geachtetsten Künstler seiner Zeit. Von den beiden Anderen der fünf Krankenzimmer- und Waldgenossen des „Eleven Schiller“ erreichte Friedrich Wilhelm von Hoven, der 1838 als Ober-Medicinalrath zu Nürnberg gestorben ist, als akademischer Lehrer (in Würzburg) und als Schriftsteller seines Fachs s. Z. hohen Ruf; der fünfte der Jünglinge, der „Chevalier“ Kapf, wird in allen Erinnerungen aus der Karlsschule als „nachheriger Lieutenant“ bezeichnet.

Eilen wir nun der hoffnungsreichen Schaar nach. Wir sehen, wie von den Fünfen eben Heinrich Dannecker, dermalen Schüler der Académie des Arts, der, vor sieben Jahren vom Herzog zum Tänzer bestimmt, bald jedoch den Professoren der bildenden Kunst sein Talent zur Plastik verrathen und rasch entwickelt hatte, mit seinen offenen blauen Augen an Schiller’s Lippen hing, den er zu Bemerkungen aus dem Bereich seiner anatomischen Auffassung des menschlichen Körpers veranlaßt hatte, und so angeregt aufmerksam war, daß er kaum die zustimmenden Worte hörte, die von seiner andern Seite Jakob Schlotterbeck dazwischen warf.

Nach der auch gedankenspringlustigen Weise der Jugend hatten die erregten Geister der Kunstjünger sich plötzlich im Lobe ihres Lieblingslehrers, des Professor Guibal, festgehakt. Dies veranlaßte wieder den Maler-Eleven Heideloff die hohe Mission der Nadel des Stechers zu preisen, der für die Verbindung der Künste wirke und deren durch Zeit und Ort getrennte Leistungen in reiche Uebersicht sammle – und ebenso rasch sprang er auf die nothwendige Verbindung der Poesie und der Malerei über und war eben daran, erst recht in’s Feuer zu kommen, als er von einem Zeichen, das ihm Hoven gab, plötzlich verstummte: die zwanglosen Gruppen zogen sich wieder in eine knappere Ordnung und gleichen Takt der Schritte zusammen, denn der Hauptmann ließ defiliren, während die Aufseher zur Wendung von der Steig in das Gehölz des Bopsers lenkten. Die Einrückenden begrüßten den Wald mit freudigen Blicken und Lauten, die der Hauptmann mit wohlwollendem Lächeln bemerkte, und indem er nun wieder voran durch die Gebüsche ging, folgten die Gefährten in ihrer Bewegung und Zueinandergesellung auf’s Neue der Bequemlichkeit und Neigung.

Die drei Kunst-Eleven umgaben mit sichtlicher Anhänglichkeit den still hinschreitenden Schiller, der in Gedanken verloren schien. Hoven zog den Chevalier Kapf heran, weil er Heideloff gar aushören müsse. Unter Schiller’s Cameraden war Victor Heideloff derjenige, der auf Schiller bei seinem ersten dramatischen Versuche bezüglich der theatralisch-technischen Gestaltung desselben vorzugsweise einwirkte. Es muß hier nachgeholt werden, daß Schiller während seines dreiwöchentlichen Krankenlagers – gegen das ausdrückliche strenge Verbot jeder geistigen Arbeit im Krankenzimmer – so oft als möglich unter der Bettdecke an seinen „Räubern“ schrieb. Das Verbot fand später einige Milderung in der Nachsicht eines Krankenwärters, der aus Rücksicht für Heideloff, in dessen elterlichem Hause er bekannt war, Schiller’s Arbeiten stillschweigend gestattete, weil die Freunde sie für medicinische ausgaben. – Heideloff, Schiller’s Bettnachbar im Krankenzimmer, war damals Schüler der Theater- und Dekorationsmalerei und der Theaterbaukunst und in seiner Ausbildung soweit fortgeschritten, daß nicht nur der Herzog ihn häufig bei seinen prachtvollen Theatervorstellungen in Anspruch nahm, sondern auch die Cameraden ihm die Besorgung des theatralischen Theils ihrer dramatischen Aufführungen in der Karlsschule ausschließlich übergaben. Dagegen benutzte Heideloff ebenso eifrig die ausgezeichnete Dichtergabe seines Freunds Schiller, er munterte ihn auf, sein Talent dem akademischen Theater zuzuwenden, Prologe, Monologe, Epiloge dafür zu fertigen und selbst vorzutragen, und als von Beiden das erste deutsche Schauspiel in der Karlsschule eingeführt wurde, darin die Hauptrolle selbst zu übernehmen. – Es war daher sehr natürlich, daß Schiller sich auch enger an Heideloff anschloß und ihn bei seinen Kunstschöpfungen stets zu Rathe zog. Auch die übrigen Vier nahmen oft an diesen Unterhaltungen, die meist die „Räuber“ betrafen, Theil. Da jedoch solche ästhetische Besprechungen im Krankenzimmer zu beschränkt und kärglich waren, so beschloß Schiller, die Gelegenheit des nächsten Genesungs-Spaziergangs zu benutzen, um an einem ruhigen und ungestörten Orte sein Stück zur Beurtheilung und zum Genuß, wie er es so gern that, vorzutragen.

Dieser Augenblick stand den Jünglingen bevor, das wußte Heideloff, und darum zielte er schon in dem Gespräche darauf hin, zu welchem Kapf und Hoven ihn, auf Guibal’s Wirksamkeit für das Kunstleben der Karlsschule zurückkommend, von Neuem angeregt hatten. „Was,“ rief er – „was würde man hier mit all dem Aufwand für Musik und Ballet in der Oper ausrichten, was würden die Verse unsers gekrönten Poeten Haug helfen, wenn nicht Guibal mit Costümen und Attributen und mit seinen Decorationen die unmittelbaren Reize und Contraste der Darstellung, die Scenen und Tempel der festlichen Handlungen erschüfe? Er wird auch wieder für das Festspiel, das Haug schon jetzt auf den Januar zur Geburtsfeier der Frau Reichsgräfin von Hohenheim vorbereitet, den zauberisch geschmückten Schloßsaal und für den Schluß der Vorstellung den brillanten Parnaß mit seiner Phantasie ausstatten. Für die Decoration des mittleren Acts hab’ ich gestern die Baumflur bei dem neuen Dorfe und Perspective auf Schloß Hohenheim an Ort und Stelle aufgenommen. Und Schlotterbeck wird fleißig sein, Euch Akademisten zu Bauern und Cyklopen, Schäfern und Göttern harmonisch bunt herauszustaffiren und die Demoiselles von der Ecole als Musen und Nymphen idealisch zu drapiren. Seht, das ist das Feld, wo wir zusammengehören, Ihr Studirenden und wir Kunstschüler, wo wir einander helfen und im Schönen uns höher heben sollen: ein Theater, wo die geistige Bildung durch den Verein aller Künste mit hinreißender Macht sich offenbart und die ganze Gesellschaft begeistert.“

„Läßt sich aushalten,“ versetzte Kapf trocken, „mit der geistigen Bildung bei diesen Maskeraden. Für den Augenblick kann der Spectakel unterhalten, wenn die Beleuchtung glänzend ist, hübsche Gesichter darunter sind und die Schminke nicht zu grob aufgetragen ist auf den Backen und in den Versen. Aber es ist doch Jahr aus Jahr ein dieselbe Garderobe von ländlichen und olympischen Figuranten und dieselbe alte Leier von überhimmlischer Herablassung und Tugend wie Heu.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_630.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)