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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

letzten Ausstellungen in Berlin gezeigt. Aber abgeschnitten von Familie und Vaterland, in einen flachen Kosmopolitismus versunken, vermag der deutsche Künstler in Rom nicht jene classische Schönheit, die ihm in den Werken vergangener Jahrhunderte entgegentritt, in genialer Weise auf andere Gebiete des Lebens zu übertragen; er bleibt in der passiven Benutzung jener alten Werke und in der Wiederholung ihres Inhaltes, sei es durch reine Copien oder durch zwar neue Arbeiten, denen aber die Copie auf der Stirn geschrieben steht.

Es erklärt sich, wie unter solchen Umständen neben der Copie das Genre-Bild und die Landschaft zum Hauptgegenstand der Produktion werden mußten. Bei einem halbwegs geübten künstlerischen Blick bietet die unmittelbare Wirklichkeit in Italien den vollständigen Inhalt für solche Gemälde, und es bedarf daher auch bei diesen nur des geschickten Copirens. Für die Engländer und Amerikaner, die jetzt die Hauptkäufer für die Künstler in Rom sind, genügt schon, daß der Inhalt italienische Natur, italienisches Volksleben darstelle; die stereotype Bewunderung solchen Inhalts läßt sie alle sonstigen Mängel übersehen und sichert ihnen den Ruhm eines Kunstkenners, wenn sie damit beladen in ihr prosaisches Vaterland zurückkehren.

Hiermit hängt die allgemeine Gewohnheit der Künstler zusammen, Rom im Sommer auf vier bis fünf Monate zu verlassen und sich in die abgelegenen Dörfer des Gebirges zu vergraben. Ihre Isolirung, schon in Rom groß genug, steigt da auf einen Grad, bei dem man nur staunen muß, daß ein gebildeter Mensch ihn auf so lange zu ertragen vermag. Während der Künstler, um Großes zu schaffen, mitten in dem häuslichen und öffentlichen Leben stehen, von dessen Freuden und Schmerzen sich durchdringen lassen muß, wenn er auch nicht davon sich überwältigen lassen darf, gleicht solcher Landaufenthalt der Lebensweise eines alten Anachoreten und muß zur Vertrocknung der geistigen Productivität führen.

Die Künstler ziehen sich alljährlich immer tiefer in die Schluchten entlegener Landschaften zurück, um irgendwo noch eine neue landschaftliche Scenerie, eine neue Situation, eine neue Tracht zu entdecken, denn in den zugänglichen Ortschaften ist bereits Alles ausgebeutet und erschöpft, und die eigne Phantasie ist nicht im Stande, den Stoff zu Höherem zu liefern. Das Resultat solcher Vereinsamung kann nur die Idylle der Landschaft und des Bauernhauses sein.

Trotzdem machen die lebenden Modelle in Rom bei der Unzahl der Dilettanten, neben den Künstlern, sehr gute Geschäfte. Sie halten sich nur während des Winters für ihren Verdienst in Rom auf und kehren im Sommer in ihre heimathlichen Dörfer zurück, wo sie dann die Signorini spielen. Die Schönheit steht bei diesen Modellen erst in zweiter Linie; stark markirte Züge, eine zerlumpte Kleidung, ein alter schäbiger Hut sind Haupterfordernisse für das Genrebild.

Der mit diesen Verhältnissen Vertraute findet auf hundert Bildern dieselben Gesichter wieder, und ein Maler aus Rom, der eine Reise nach England oder Nordamerika macht, würde sich in den Privatgalerien dieser Länder unter lauter Bekannten wiederfinden. Die weiblichen Modelle kommen nur in Begleitung der Mutter und sind mit ihren Reizen sehr haushälterisch. Jeder Zoll weiter hat seine Taxe, welche pränumerando erlegt werden muß. Sie machen nicht selten ihr Glück durch eine Heirath, und noch kürzlich war ein solches in Rom allbekanntes Modell von einem reichen Pariser heimgeführt worden.

Die bedeutenderen Künstler in Rom vermeiden die Benutzung dieser Modelle; um die Originalität ihrer Figuren sich zu erhalten, ziehen sie mit ihrem Diener auf die Wochenmärkte in Rom aus; finden sie dort ein brauchbares Gesicht, eine passende Gestalt, so wird die betreffende Person ganz im Geheimen zur Sitzung in das Atelier geführt und ebenso vorsichtig unter dem Siegel der Verschwiegenheit wieder entlassen. Der Bursche kehrt vergnügt mit seinem Esel in sein Dorf zurück; sein dummes Gesicht hat ihm mehr eingebracht, als die mühsam gepflegten Kohlköpfe seines Gartens.

Einen auffallenden Zug bei den deutschen Künstlern in Rom bildet ihre krankhafte Reizbarkeit in Bezug auf Alles, was Rom und Italien an Natur- und Kunstschönheiten besitzt. Wer nicht unbedingt hierbei in Bewunderung versinkt, gilt für einen Barbaren. Ich selbst erfuhr dies, als ich meinte, daß in Italien die Gestaltung der Gebirge, die Bauart der Häuser, die Weise der Bodencultur und manches Andere sich so gleichmäßig wiederhole, daß man die Aufsuchung jedes in den Reisebüchern empfohlenen Punktes sich billig ersparen könne. Die dem Deutschen so unangenehme Nachlässigkeit und Unsauberkeit italienischer Orte in Wohnung, Kleidung und Hausrath galt ihnen als die unentbehrliche Bedingung des Malerischen, und die Pein, welche man von dem Ungeziefer bei Tag und Nacht zu leiden hat, erklärten sie nur für Empfindelei, für Mangel an Kunstsinn, der bei gehöriger Entwickelung dergleichen gar nicht bemerke.

Das Forcirte und an das Affectirte Streifende eines solchen Kunstenthusiasmus schien mir eine neue Bestätigung der gedrückten und vereinsamten Stellung der dortigen deutschen Künstler. Losgelöst von dem, was auf andern Gebieten das Herz, den Geist, die Phantasie hoch erhebt, halten sie in dem Gebiete der Kunst, wo allein sie sich als die Herren fühlen, an dem von Alters her für classisch schön Erklärten krampfhaft fest und lassen keinen Widerspruch aufkommen.

Es kann auffallen, wie unter solchen der wahren Kunst ungünstigen Verhältnissen dennoch eine so große Zahl deutscher Künstler in Rom ihren bleibenden Aufenthalt nehmen mag. Es erklärt sich indeß zunächst daraus, daß Rom der Hauptmarkt der Welt für Gemälde und Bildwerke ist; nirgends findet der Künstler eine bessere Gelegenheit zum Verkauf seiner Arbeiten. Insbesondere sind es jetzt die Amerikaner, welche die bedeutendsten Ankäufe machen, und alle Künstler waren mit dem verflossenen Winter zufrieden.

Sodann lebt der deutsche Künstler in Rom billiger, als in den großen Städten seines Vaterlandes, er mag verheirathet sein oder nicht. Das Leben in Rom ist bei einfachen Ansprüchen an sich nicht theuer, und der Künstler kann in Wohnung und Kleidung sich so ungenirt einrichten, wie nirgends anders. Das Atelier eines der bekannteren Künstler fand ich drei Treppen hoch, unmittelbar unter dem Dache, so daß die Dachziegel und Sparren die Decke bildeten. Der Hausrath war der Art, daß ihn ein deutscher Student nicht zugelassen hätte, und ein alter verrosteter Windofen stand noch als Zeichen des vergangenen kalten Winters im Zimmer; seine krumme, mit Lehm verschmierte Röhre zog sich der Decke entlang unmittelbar zum Dache hinaus. In Berlin würde diese Einrichtung für einen viel besuchten Maler nicht möglich sein; in Rom wird sie von den Engländern und Amerikanern als Zeichen der Genialität betrachtet.

Ich redete meinem Freunde zu, zu heirathen; er konnte indeß über die Bedenklichkeiten eines solchen Schrittes nicht hinwegkommen. Eine Römerin zu heirathen, hat für den deutschen Künstler seine Schwierigkeiten, und die abschreckenden Beispiele derer, die es versucht haben, machen es noch bedenklicher. Er hätte wohl gern eine Deutsche geheirathet, aber deshalb nach Deutschland zu reisen, konnte er sich nicht entschließen. Er betheuerte mir viele Male das Leben in Rom habe seine eigenthümlichen Reize. Auf meine Forderung, dies mir näher zu erklären, versicherte er nach wiederholten vergeblichen Ansätzen endlich, daß solcher Reiz unsagbar und nicht zu beschreiben sei.

Vielleicht, daß ich den Schlüssel zu diesem unlösbaren Räthsel in dem Obigen gefunden habe.




Der Salm des Rheins.

Wenn die fränkischen Könige in ihrem Palast bei Andernach Hof hielten, so konnten sie, an der Tafel sitzend, dem Salmfang im Rhein zusehen, – so erzählt der Dichter Venantius Fortunatus, der oft zu Gast bei ihnen gewesen und um das Jahr 600 als Bischof von Poitiers gestorben ist. Aber schon zweihundert Jahre früher hatte der Salm seinen Sänger gefunden, und zwar einen römischen, den Ausonius, in dessen berühmter Dichtung „Mosella“ folgende Stelle vorkommt:

„Auch du bleibst mir, o Salm, mit dem röthlich schimmernden Fleische,
Nicht unerwähnt, deß schweifender Schlag mit gebreitetem Schwanze

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_619.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)