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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Ich habe Waffen bei mir, Adele – meinen Säbel, zwei geladene Pistolen.“

„Der Hund wird Lärm machen –“

„Still, sie kommen näher –“

„Großer Gott!“

„Ich beschwöre Dich, bleibe ruhig, Adele. Sie können nicht zu uns herein, die Thür ist verschlossen.“

„Aber der Hund wird das ganze Schloß zusammenrufen.“

„Ich werde ihn erschießen.“

„Damit der Schuß noch mehr Menschen herbeiführt?“

„Sie machen Halt. Sie sprechen wieder mit einander. Hören wir, was sie reden. Wir werden jetzt ihre Worte verstehen können.“

Sie konnten die Worte der Beiden verstehen, von denen der Eine wahnsinnig, aber in seinem Wahnsinn zuweilen vernünftig, der Andere nur schwachen Sinns, aber in seinem Schwachsinn wohl auf dem Wege zum Wahnsinn war.

„Hannibal, mein treues Thier,“ sagte der alte Graf, „warum bist du denn so ungeduldig? Ist es ein Wolf oder ein Dachs, was du witterst? Oder wäre es gar ein Fuchs? – Moritz!“

Er erhielt von dem Blödsinnigen, an den er sich gewandt hatte, keine Antwort. Der Alte lachte.

„Hm, haben sie dem blödsinnigen Burschen die Ehre angethan, ihm meinen Namen zu geben – die Ehre sollte für den Großvater sein, meinten sie – Heuchelei in der Welt, nichts als Lug und Trug, unter den nächsten Verwandten am meisten. Ist es nicht so, Moritz?“

„Wenn Du es befiehlst, gnädiger Großvater,“ antwortete der junge Graf.

„Ja, ich befehle es. Aber was meinst Du, was der Hund, der Hannibal, wittert? Einen Wolf oder einen Fuchs? Oder meinst Du, daß es ein Hase sei?“

„Ich sehe gar nichts, Großvater.“

„Du sollst auch nichts sehen. Der Hund sieht nicht einmal und er weiß es. Und wenn ich noch in Deinen Jahren wäre, so wüßte ich es durch das Ansehen des Hundes. Aber die Jugend taugt jetzt nichts mehr, verkommt von Jahr zu Jahr, und ich – he, wie alt bin ich denn schon? He, mein Sohn, mein theurer Enkel, kannst Du rechnen?“

„Ich habe die vier Species gelernt, gnädiger Großvater.“

„So rechne mir einmal aus, wie alt ich bin.“

„Das weiß ich nicht.“

„Dann will ich es Dir sagen. Ich bin dreiundneunzig Jahre alt und drei Monate und so und so viele Tage. Und sieh, ich kann noch auf die Jagd gehen – Du warst nie ein Jäger, Moritz!“

„Nein, gnädiger Großvater.“

„So sollst Du es heute werden. Du bist es schon geworden. Wir stehen hier auf dem Anstande.“

„Aber wir haben ja keine Gewehre, gnädiger Großvater!“

„Recht edles Wild hetzt man zu Tode, mein Sohn.“

„Du meinst, durch den Hannibal, gnädiger Großvater?“

„So meine ich. Und weißt Du, was man mit dem gemeinen Vieh im Walde macht?“

„Ich weiß es nicht, gnädiger Großpapa.“

„Das läßt man von den Hunden zerreißen.“

„Ah!“ sagte der junge Graf verwundert.

„Ah!“ sagte im Pavillon die Dame mit einer von der Angst erstickten Stimme.

Wie bleich mochte das schöne Gesicht sein, das vor einer Viertelstunde noch von dem Glücke der unheiligen Liebe geglüht hatte! Ihr Geliebter – man sah in der Dunkelheit auch sein Gesicht nicht – aber er stand starr; seine einzige Bewegung war, daß er dann und wann mit der flachen Hand über die Stirn wischte – dem tapferen Oberst der großen Armee, der in so mancher heißen und blutigen Feldschlacht nicht gebebt und nicht gewankt hatte, mochte der kalte Schweiß auf die Stirn treten.

Die da draußen unter dem Fenster des Pavillons fuhren fort:

„Und wir haben hier ein edles Wild und eine gemeine Bestie, mein Sohn.“

„Ah, wo, gnädiger Großvater?“

„Wo ist Deine Frau, Moritz?“

„Ich denke, in ihrem Zimmer.“

„Hm, sie ist eine Edelfrau!“

„Aus einem sehr alten Hause, gnädiger Großvater.“

„Und in ein eben so altes, hm, in ein noch älteres hineingekommen. Sie ist Hochgeboren, sie ist gar Erlaucht und darf von den Hunden nicht zerrissen werden, nicht wahr, Moritz?“

„Ich denke nicht, gnädiger Großvater.“

„Ja, sie muß zu Tode gehetzt werden.“

„Befiehlst Du es, gnädiger Großvater?“

„Ich sagte es.“

„Und wer soll von den Hunden zerrissen werden?“

„Warte einen Augenblick, mein Sohn.“ – „Gott, du Gerechter!“ rief die Dame im Pavillon. Sie hatte in ihrer entsetzlichen Angst nicht gewußt, was sie sprach, indem sie den Gott der Gerechtigkeit anrief. „Gott der Barmherzigkeit, Gott der Gnade, schenke mir deine Gnade, deine Barmherzigkeit!“ Sie sank in die Kniee und rang die Hände.

Draußen wurde an die Thür des Pavillons gepocht.

„Mein Herr Oberst, öffnen Sie!“ rief laut eine befehlende Stimme. Es war die Stimme des alten Grafen. Der alte, reichsfreie Edelmann sprach in dem reinsten Französisch. Er stand unmittelbar an der Thür des Pavillons.

Der Oberst hatte seinen Säbel umgegürtet, seinen Helm aufgesetzt. Er zog seine beiden Pistolen hervor. Sie waren geladen, hatte er gesagt. Er spannte den Hahn an jeder; dann sah er nach der Frau, die knieend, die Hände ringend, betend am Boden lag.

Er stand unschlüssig.

„Mein Herr Oberst,“ wiederholte der alte Graf, „ich fordere Sie auf, zu öffnen.“

Der Oberst hielt eine der beiden geladenen Pistolen in der Hand, die andere unter dem Arme. Er hatte seinen Entschluß gefaßt.

„Tritt zurück, Adele,“ sagte er zu der Frau.

„Was willst Du thun?“

„Uns befreien.“

„Sie werden Dich tödten.“

„Die beiden Wahnsinnigen?“

„Der Hund wird Dich zerreißen. Der Alte sagte es. Du kennst den Hund nicht.“

„Pah, meine Kugel wird ihn sicherer treffen, als mich seine Zähne. Tritt zurück.“

„Ich beschwöre Dich, Alphons. Schone Deinen und meinen Ruf. Oeffne nicht. Was wollen sie, wenn Du es nicht thust? Mit Gewalt eindringen? Sie können es nicht. Sie können die Thür nicht öffnen, die stark und fest verschlossen ist, die Fenster nicht, wenn wir die Läden vorschieben; sieh, hier sind sie; sie sind fest, verschließbar. Sie haben uns ja auch noch nicht gesehen und nicht gehört. Es ist ihnen noch ungewiß, ob wir hier sind. Halten wir uns ferner still, noch eine Weile. Der Sinn verwirrt sich ihnen vielleicht dann ganz; sie kehren zurück.“

Die Dame hatte die Gegenwart des Geistes zurückbekommen. Der Oberst gab ihr nach; vielleicht ihren Gründen, vielleicht ihrer Liebe; vielleicht etwas Anderem; vielleicht schien es nur so, und er sann über Anderes nach. Draußen war der alte Graf ein paar Schritt von der Thür zurückgetreten.

„Moritz, mein Sohn,“ sagte er, „kennst Du die Geschichte Deiner Vorfahren?“

„O ja, gnädiger Großvater, sie waren ein mächtiges und edles Geschlecht.“

„Und Raubritter dazu, mein Sohn. Und weißt Du, wie sie es machten, wenn sie einen Feind in einem festen Thurm belagerten, aus dem sie ihn nicht heraustreiben und herauslocken konnten?“

„Ich weiß das nicht, gnädiger Großvater.“

„Sie legten Feuer rund um den Thurm, und wenn das recht hoch und lustig brannte, dann wurde dem Gefangenen drinnen recht heiß und immer heißer, und zuletzt verdammt schlimm zu Muthe, und er mußte heraus, er mochte wollen, oder nicht. Hm, Moritz, legen wir Feuer an das Ding hier. Es soll ein recht großes, lustiges Feuer werden.“

Der alte Wahnsinnige lachte boshaft. Der junge Blödsinnige mochte sich still freuen.

„Du reibst die Hände, Moritz?“ sagte sein Großvater. „Ah, Du wirst Dich noch mehr freuen, wenn ich Dir sage, wen wir da herauslocken werden.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_610.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)