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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 39. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Nobles Blut.
Schloßgeschichte aus den Erinnerungen meines Vaters.
(Schluß.)



Der weitläufige Park, der zum Schlosse Frankenfelde gehörte, schloß sich unmittelbar an die Hofgebäude an. Man hatte auch einen besonderen Eingang zu ihm dicht an dem dicken runden Thurme; der Weg dazu führte vom Schloßhofe aus um den Thurm herum. Auf diesem Wege waren vor fünfzig Jahren glücklich, Arm in Arm, die beiden Kinder, der Graf Adolph und die Comtesse Caroline gekommen, um von dem Grafen Moritz mißhandelt und auseinander gerissen zu werden und sich dann niemals wiederzusehen.

An diesem Tage, da der alte greise Mönch das Schloß seiner Väter nach fünfzig Jahren zum ersten Male wiedersah, war den Weg eine schöne junge Frau gegangen, die hohe Gestalt von der schweren, rauschenden, dunklen Seide umhüllt, das feingeformte Gesicht unter dem Capuchon von schwarzer Seide verborgen. Sie war in dem Dunkel des Abends aus einem Seitenpförtchen des weiten Schlosses hervorgekommen, war, ehe sie in den Hof hineintrat, lauschend und spähend nach allen Seiten stehen geblieben, hatte mit ihrem leichten Schritt rasch die Strecke des Hofes um den runden Thurm herum durchmessen, und war durch das Pförtchen in den Park eingetreten. An dem Thurme hatte sie doch einmal unwillkürlich anhalten müssen, nur eine Secunde lang. Es schien ihr plötzlich unheimlich zu werden, so dicht an dem alten Gebäude, das in der Finsterniß des Abends so dunkel und still neben ihr lag. Erzählten ihr die alten Mauern mit ihrem seit fünfzig Jahren nicht betretenen Innern, mit der fest verschlossenen Thür, mit den dichtverhangenen Fenstern, die keiner der im Schlosse lebenden Menschen mit Ausnahme des alten Grafen und des alten Conrad, jemals frei und offen gesehen hatte – und der alte Graf und der alte Diener waren Beide stumm wie das Grab – erzählten ihr die alten stummen Mauern alte Geschichten, die vor fünfzig Jahren in ihnen passirt und noch heute grausig waren? Oder sprachen sie ihr von der Gegenwart prophetische Worte, gar von der nächsten Stunde? Süß mußten auch diese in ihrem Ohre nicht klingen und in ihrem Innern nicht nachklingen. Die schöne junge Gräfin, das untreue Weib des schwachsinnigen Mannes, schüttelte sich, wie vor plötzlichem Frost, fuhr rasch mit der Hand über die Augen, als wenn sie ein recht häßliches Bild verscheuchen wolle, und beschleunigte hastig ihren Schritt.

In dem Park wandte sie sich rechts zu einer kleinen, dunklen Kastanienallee, durcheilte diese und stand an ihrem Ende vor einem Pavillon. Das kleine chinesische Häuschen war mit Thür und Fenstern versehen. Die Fenster waren dunkel, die Thür schien verschlossen zu sein. Die junge Dame wollte leise in die Hände klatschen, um ihre Ankunft anzukündigen. Sie war schon gesehen worden; die Thür wurde von innen geöffnet. Ein Mann flog auf die Gräfin zu. Die knappe, eng anliegende Uniform des Obersten der Kürassiere hob auch in dem Dunkel des Abends die schöne und stolze Gestalt des Mannes hervor. Sie lagen einander in den Armen. Arm in Arm gingen sie zu der Thür des Pavillons, verschwanden durch sie in seinem verschwiegenen Innern. Rund umher herrschten nur Finsterniß und Stille der Nacht. Das dauerte lange so, doch endlich wurden Finsterniß und Stille der Nacht unterbrochen.

„Höre ich nicht Stimmen?“ fuhr der Oberst auf.

„Und leise Schritte!“ sagte die Gräfin bebend.

„Zittere nicht, Adele. Was es auch sei, Du stehst unter meinem Schutze!“

„Auch gegen den Ruf der Welt?“

„Horchen wir!“

„Es ist die Stimme meines Gatten. Mit wem kann er sprechen?“

„Pah, es ist sein Großvater, der wahnsinnige Graf. Ein Spaß! Zwei Verrückte beisammen.“

„Du kannst scherzen, Alphons! Ich vergehe vor Angst. Was kann sie hergeführt haben?“

„Horchen wir, ob ein Dritter bei ihnen ist.“

„Sie sprechen nur miteinander.“

„Welche Gefahr könnte uns dann drohen?“

„Aber es ist doch noch Jemand bei ihnen. Ich höre so eigenthümliche Töne.“

„Ich werde mit den Augen zu erkennen suchen, was es ist. Meine Augen sind scharf.“

Der Oberst erhob sich leise, ging langsam an das Fenster, brachte seine Augen vorsichtig dem Glase näher. Er hatte scharfe Augen.

„Es sind die beiden Herren. Sie stehen zehn Schritte weit von hier, an einer Kastanie der Allee. Es ist Niemand bei ihnen. Ah doch! Der Hund des Alten ist mit ihnen. Er steht unmittelbar vor ihnen; darum sah ich ihn nicht gleich. Das Thier scheint fort zu wollen – wohl hierher – der alte Graf hält es zurück, an dem Ringe, den es um den Hals trägt.“

Die Dame unterbrach den Officier. „Den Hannibal? So sind sie nicht durch Zufall hier. Sie sind auf unserer Spur. Wir sind verloren!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_609.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)