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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

was für eine Reliquie der Freundschaft, irgend ein mystisches Band, ein vergilbtes Atlaskißchen, gefüllt mit „blonden Löckchen“ enthält! Das Alles sind Gedichte: es pulsirt überall ein Herz, es jubelt überall irgend eine Erinnerungsstunde, es hüpft überall ein kleiner Freudenengel. Und die Bewohnerin dieser Kammer ist oft ein ergrautes Mütterchen oder Jüngferchen, dem Niemand die Poesie anmerkt, wie Niemand in der geschlossenen Muschel die Perle sieht.

Dem gemüthlichen Comfort Regeln und Anweisungen zu geben, ist schwer, eben weil er gar so sehr individuell ist, gleichsam identisch mit der Person, für die er da ist. Der Liebhaber des gemüthlichen Comforts nimmt vom Luxus nicht gern etwas an, weil er überall Bedeutung sucht und ihm nichts so zuwider ist, als eine kalte Eleganz, Stoffe und Möbeln, die in ihrer Gleichförmigkeit ihm nichts sagen und in die er nichts hineingetragen hat. Ein Lehnstuhl, auf dem die „Großmutter“ gesessen, ist ihm ein unendlich theures Möbel. Das Stückchen Borde an der Armlehne hat sich abgelöst, weil die Hand der alten Frau oft daran gespielt – o wie köstlich! Was ist dagegen ein moderner Rollstuhl von der erfindungsreichsten Eleganz! Aber der Gemüthliche liebt nichtsdestoweniger das Bequeme. Er liebt still zu sitzen und zu träumen. Also gute, feste, auch schöne Möbel, keine eleganten Möbel, die in gewohnter Ordnung und guter Verfassung stehen, wo sie vor Jahren schon standen. Denn dem Gemüthlichen ist eine Vorliebe für das Stabile zur andern Natur geworden. Ach, es war einst so schön! ruft er, und dieses „War“ rufen ihm seine Geräthe, seine Wände, seine Bilder, seine Polster zu.

Der Grundsatz, nach dem ein Zimmer mit gemüthlichem Comfort zu versehen, ist, recht viel „Winkel“ zu schaffen. Bildet das Zimmer einen großen Raum, so wird er in zahllose kleine Räume getheilt. Das giebt „Etablissements“. Jeder Winkel ist gleichsam eine kleine Erinnerungskapelle für sich, wo irgend ein liebes Bild dominirt und still angebetet wird. Dann eilt der liebe Einsame aus einem Winkelchen in’s andere, und zuletzt bleibt er in einer Epheulaube sitzen, die einen ganzen Tisch voll „Andenken“ und „Erinnerungen“ umgrünt. Wir wollen in der Kürze angeben, wie ein solches Zimmer in viele kleine Zimmer zu theilen ist. Die vier Winkel, vielleicht eine Nische oder ein Erker dazu, sind an und für sich und ohne weitere Vorkehrung kleine Schmollstübchen und Empfindsamkeitssolitüden; sie müssen mit einem Ecksopha, einem runden Tische und zwei oder drei Stühlen darum versehen sein. Eine bewegliche Wand mit Einfassungen von Seide oder Glastafeln trennt die verschiedenen Cabinetchen. Es ist so angenehm dunkel darin. Abends erhellt eine verdeckte Lampe das Winkelchen. Das gegenüberstehende ist ebenso eingerichtet, auch das dritte und vierte; alle haben sie ihre absondernden Schirmwände, die zurückgeschlagen werden können, wenn das Eckchen in dem großen Zimmerraum ausgehen soll. Die Mitte des Zimmers nimmt ein runder Tisch ein, den zwei halbrunde Sophas umcirkeln. Die Fenster haben Blumentischchen oder kleine Epheulauben, vor oder in denen Fauteuils stehen; von der Fensterdecke hängen Körbchen mit Epheu herab, und die Vorhänge schließen dicht, denn es ist zum gemüthlichen Comfort erforderlich, daß es nicht zu hell sei. Ein auf diese Weise ausgestattetes Zimmer kann eine ganze gemüthliche Familie mit einer Anzahl guter Freunde bewohnen. Bald erhalten dann die „Etablissements“ Namen, dann heißt’s: dies ist Charlottens Winkel, dies Theresens etc. Und Charlotte empfängt ihre Freundinnen, Therese die ihrigen in ihrem Etablissement. Es giebt tausend kleine empfindsame Scherze und Neckereien; man lauscht und wird belauscht, Geheimnisse, welche in diesem Winkel gesprochen werden, haben, Gott weiß wie, den Weg in den entgegengesetzten gefunden. Für Leute, die den gemüthlichen Comfort nicht kennen und nicht lieben, ist ein solches Zimmer kaum zu bewohnen; sie finden keinen freien Raum, kein helles Fenster darin, überall stoßen sie sich an Tischen und Stühlen, überall hängt etwas von der Decke herab. Je weiter nach dem Norden, je häufiger trifft man auf diese Art von Zimmereinrichtung; das nordische Klima, die ärmliche Natur und der kurze Sommer machen die Zimmerexistenz und das gesellige Beisammensein zum Bedürfniß.

Um den letztgenannten unserer Comforts, den eleganten, in’s Leben zu rufen, bedarf es eines ungewöhnlichen Reichthums, denn er ist das Höchste und Beste, was man von Zimmereinrichtung kennt. Alles ist hier solid, echt, massiv, und jede Quaste an den Gardinen sagt dem Beschauer, daß hier Tausende – nicht verschwendet – sondern wohl angebracht sind, um ein Vollendetes darzustellen, sowohl an Schönheit, als an Bequemlichkeit. Es giebt indeß einen falschen eleganten Comfort, der eben die Summen aufzehrt, die der echte kostet; man erkennt ihn daran, daß ihm der Hauptbestandtheil des echten fehlt, der gute Geschmack. Ueberladung ist ein sicheres Wahrzeichen des Pseudoelegant. Durch nichts kann man mehr gegen den guten Geschmack sündigen, als durch Ueberladung und durch ungehörige Zusammenstellung. Unsere Zeit neigt zu Beidem. Die Fabriken, die eine große Anzahl Stoffe und Ornamente liefern, haben den Geschmack irre geleitet, indem sie ihm das Reiche, in die Augen Fallende, Ueberhäufte als das Schöne darstellen; immer aber ist das Einfache zugleich das Schöne, und man muß sich sehr hüten, ein Fabrikat, mag es noch so gut ausgefallen sein, einem aus der Künstlerhand hervorgegangenen Stücke gleichzustellen. Der elegante Comfort will nicht viel aufeinanderhäufen, er will Weniges, aber dieses Wenige auch in der reinsten Form und in der trefflichsten Masse haben. Beispiele werden dies erläutern. Wir denken uns drei Gemächer, einen Saal, ein Empfangzimmer, ein Boudoir oder Cabinet, und statten diese mit dem eleganten Comfort aus. Unser Saal hat neun hohe helle Fenster mit Spiegelglasscheiben in einer Fronte. Die Wände des Saals sind weiß, geglätteter Gyps, oben mit goldenen Leisten eingefaßt; keine Gemälde. Haben die gegenüberliegende Wand oder die zwei Seitenwände Nischen, so stehen in diesen Marmorstatuen, nicht Gipsabgüsse. Die Fenstervorhänge und die Portieren sind schwerer seidner Damaststoff von dunkelblauer Farbe und gehen bis an den Boden herab, frei hängend und in großer Faltenfülle. Spiegel in einem Stück füllen die Räume zwischen den Fenstern; sie reichen ebenfalls bis zu dem Fußboden, einfache goldene Rahmen schließen sie ein. Die Fensternischen können kleine Marmorsäulen enthalten mit ebensolchen Vasen von flacher Form, die mit Blumen gefüllt sind; doch müssen diese Postamente Raum lassen, daß man an’s Fenster herantreten kann. Die Möbel dunkelblau mit vergoldetem Gestelle, der Fußboden Parquet in verschiedenen Hölzern; ein großer Bronzelüstre schwebt an der Decke, in allen Ecken prangen Candelaber, von denen jeder wenigstens fünfzig Wachslichter fassen kann, so daß aus den vier Ecken ein Glanz von zweihundert Flammen dem großen Lüstre zu Hülfe kommt. Glänzende Beleuchtung ist ein Haupterforderniß des eleganten Comforts, und in einem Saal sind es besonders die Ecken, die erleuchtet werden müssen, weil von hier aus die wirksamste Helle strömt.

Das Empfangzimmer ist mit einer carmoisinrothen oder veilchenblauen schweren seidenen Tapete überkleidet, ebenfalls oben und unten durch goldene Leisten abgeschlossen. Auf dieser Wand nehmen sich die Gemälde besonders schön aus, die in schweren und reichen Goldrahmen von geschnitzter Arbeit, nicht Fabrikat, passend vertheilt sind. Nicht zu viel Bilder. Ein großes Bild auf der freistehenden Wand genügt, doch muß es ein treffliches Gemälde sein, nicht dunkel in der Färbung, weil die Tapete schon dunkel ist; eine Copie nach Claude Lorrain mit sehr hellem Morgenhimmel wäre zu empfehlen. Neben einem guten Bilde will man nicht gern etwas Anderes sehen, deshalb komme nichts weiter an die Wand. Die gegenüberstehende Wand kann drei Bilder von kleinen Dimensionen fassen; indeß müssen es natürlich alles Oelgemälde sein, keine Kupferstiche. Büsten und Oelbilder passen nicht wohl zusammen, darum halte man diesem Zimmer die Skulptur ganz fern. Die Vorhänge sind von demselben Stoffe und derselben Farbe wie die Tapeten und wie im Saale frei herabhängend. Es kann erlaubt sein, einen zweiten leichten Stoff als untere Bekleidung der Vorhänge zu wählen, doch nicht weiß, weil dies zu scharf contrastiren würde. Der Teppich des Bodens ist dunkelgrün, ohne Muster und aus der schönsten und weichsten Wolle gewebt. In der Mitte des Zimmers ruht auf einem dunkelfarbigen Sockel eine große flache Schale von schwarzenn Marmor mit Blumen gefüllt, nicht Blumen in Töpfen, sondern abgeschnittenen, die nach den Farben geordnet sind und täglich erneut werden. Der Farbenschmelz der Blumen in dem schwarzen Marmor nimmt sich trefflich aus und bildet den schönsten Schmuck. Ueberhaupt darf man Blumen, wenn sie in ihrer vollen Schönheit glänzen sollen, nicht in bunten oder vergoldeten Gefäßen aufstellen, weil Gold und Farben das Auge von den Blumen ab und auf sich ziehen. Die Möbeln sind von der Farbe der Tapete in reicher Goldeinfassung.

Das Boudoir oder Cabinet ist mit blaßgelber oder gelblich röthlicher Seide tapezirt und decorirt, über diesem Grund der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_602.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)