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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

darin und hat den Folianten, in dem er gerade studirt, auf die Lehne, wie auf ein Beipult gelegt. Weiche Teppiche über das ganze Zimmer sind nothwendig, denn der Gelehrte macht barfuß Abends vor dem Zubettgehen eine kühlende Promenade über den weichen Rasen der Wollenfäden. Das ist ein kleiner lucullischer Genuß, der sein Gutes auch für die Gesundheit hat, denn die Füße, die den Tag über in der engen Stiefelumhüllung stecken, machen ihre Gelenkigkeit und Ausdehnbarkeit geltend und sammeln Kräfte für den morgenden Stiefelzwang. Der Morgen- oder Schlafrock des Gelehrten ist ein Priesterrock der Bequemlichkeit, denn in ihm ist Alles vereinigt, was je die menschliche Kleidertracht an flatterndem Wesen, an Weite, an Fülle der Falten, mit einem Worte an Bequemlichkeit aufzutreiben hat. Seine Absicht ist, die leicht gehaltene Beinbekleidung zu verstecken, aber er erreicht diese Absicht selten, und noch seltener denkt der Gelehrte daran, seinem Schlafrock zu Hülfe zu kommen, indem er Knöpfe in Bewegung setzt oder ein Schnur fester bindet.

Zum Comfort eines Gelehrten gehört, daß man ihn seinem Staube überläßt, den er einen gelehrten Staub nennt, der aber durch nichts verschieden ist von dem Staube, den man überall studiren kann, höchstens daß dieser Staub die Eigenschaft hat, sich fester an seinen Gegenstand anzuklammern und hartnäckiger den oppositionellen Bestrebungen von Bürste und Besen zu widerstreben. Das wissen zu ihrem großen Leid Hausfrauen und Haushälterinnen zur Genüge. Aber diese Frauen wissen nicht, daß den Gelehrten aus dem Staube emporziehen heißt, ihn seinem Comfort entrücken. Gäbe es ein Mittel, den Staub zu entfernen, ohne auch das geringste Blättchen, Täfelchen und Stiftchen aus seiner Lage zu bringen, so würde der Gelehrte mit Freuden in das Reinigen seiner Zimmer willigen, denn er ist kein Protector des Staubes oder gar der Unreinlichkeit.

Die Wohnung des Gelehrten pflegt eine Anzahl von Gegenständen zu beherbergen, die zum theuersten Luxus gehören, allein sie gehören zugleich zum Comfort des Gelehrten und sind deshalb an ihrem Platze; so Büsten, Gemälde, seltne Zeichnungen, umfassende Sammlungen, vor Allem Bücher. Ueber Aufstellung und Vertheilung dieser Dinge kann man dem Gelehrten, wenn er dabei ein Mann von Bildung ist, manchen Rath ertheilen, den er willig aufnehmen wird, denn er will nicht nur bequem, sondern auch schön wohnen. Nehmen wir an, der Gelehrte sei zugleich Kunstkenner, dabei habe er über bedeutende Mittel zu gebieten, so wollen wir sein Zimmer ungefähr so einrichten. Es muß groß, hell und ein behagliches Viereck sein, denn ein Zimmer mit Tiefe ist ein nothwendiges Bedürfniß für einen Raum, wo viel aufgestellt sein will, ohne daß das Eine das Andere erdrücke oder verdecke. Geben wir dem Zimmer drei hohe und breite Fenster und nur eine Haupt- und eine Seitenthür; dadurch erhalten wir eine breite Wandfläche links von dem Eingange, eine durch die Seitenthüre gebrochene rechts. An der breiten Wand stellen wir zwei Bücherschränke auf, die nicht in die Höhe, wohl aber sehr in die Breite reichen. Die Höhe des obersten Bücherbretes darf nicht die des menschlichen Auges überragen, sonst muß zu Treppen und Bänken die Zuflucht genommen werden, was immer unbequem ist; auch nicht zu tief auf den Boden dürfen die Bücherreihen hinablaufen, da das Bücken beschwerlich fällt. Den frei bleibenden oberen Raum über den Büchern nehmen entweder Gemälde oder Büsten ein; diesen schadet die Höhe nicht, wenn es nicht Miniaturen oder Statuetten sind. Die Bücher selbst ordnet man besser auf freistehenden Bücherbretern an und schließt diese mit einem leicht beweglichen grünen Vorhang; das ist vortheilhafter, als sie in Schränken unterzubringen, deren Glasthüren immer mit einiger Umständlichkeit geöffnet und geschlossen werden, und, offen bleibend, Gegenstände abgeben, an denen man sich stößt. Auf alten Gemälden sieht man diese Art Bücherbehälter, die sich ganz gut ausnehmen. Will man ein Uebriges thun, so legt man den Vorhang in schöne Falten und läßt ihn über eine Stuhllehne niederhängen. Die breite Wand, wollen wir annehmen, hat in ihrer Mitte eine nicht tiefe Nische; dort findet ein schöner Gypsabguß des Diskuswerfers oder der Venus von Milos seinen Platz. An der andern Wand bringen wir ebenfalls Büchergestelle an, soweit dies möglich ist, und nicht minder Büsten und Bilder. Die Cabinetthüre schließt eine grüne Gardine von demselben Stoffe, welcher die Büchergestelle umhüllt; über die Thür, die nicht hoch ist, kommt entweder ein besonders hübsches Cabinetstück, etwa ein Genrebild von Teniers oder van der Werff oder ein Medaillon. Die Wände am Eingang sind zu zierlich gearbeiteten Stendern und pyramidalzulaufenden Gerüsten bestimmt, auf denen geschmackvolle und seltne Bronzen, Antiquitäten, schönes altes Silber und Porzellan, Elfenbeinarbeiten, kleine Miniaturen ausgestellt werden – ein kleines gelehrtes Büffet gleichsam, wo die Gourmandise ein feines Gläschen echten und subtilen Kunstgenusses schlürft. Ueber der Eingangsthür eine Gruppe oder ein Bild, das jedoch nicht das beste der Sammlung sein darf, denn das Licht ist dort schlecht und der Standpunkt des Beschauers ein ungünstiger. Die Wand zwischen den Fenstern füllen Spiegel aus, doch nicht moderne, sondern kleine venetianische Spiegel mit Rahmen von ciselirter Arbeit. Zwar reflectiren diese Spiegel wenig mehr als das Gesicht, allein was thut es? unser Gelehrter ist nicht eitel, zu seinem Gebrauch führt er in seinem Schlafgemach ein minder kostbares und minder gelehrtes, aber dafür desto brauchbareres Glas.

Jetzt ist das Gemach comfortabel meublirt? Nein, noch nicht! Der Leser vergißt, daß wir noch kein Sopha, keine Fauteuils, keine Chaiselongue hingestellt haben, und er wird uns zurufen: wohin? Es ja nirgends Platz. Allerdings nicht an den Wänden, aber wohl in der Mitte des Zimmers. Hier steht ein runder oder ovaler Tisch, bedeckt in unordentlicher Ordnung mit Büchern, Zeichnungen, Mappen, und um diesen Tisch herum gruppirt sich zunächst ein Sopha von großer Tiefe und Weite, mit niedrigen Lehnen, damit nichts hindert, es als Ruhebette zu gebrauchen, je nachdem der Körper diese oder jene Lage wählt. Die Polster sind von Leder, denn es muß sich auf ihnen rasch hingleiten lassen, auch müssen sie eine angenehme Kühle aushauchen, endlich dürfen sie nicht zu weich, sondern müssen eher etwas hart und elastisch sein. Außer dem Sopha sind noch eine Anzahl Stühle, sämmtlich Armstühle, vorhanden, die, auf Rollen, mit der darin sitzenden Person leicht hierhin und dorthin fahren. In der Tiefe des mittlern Fensters steht der Arbeitstisch mit seinen zwei Begleitern, zwei mächtigen Papierkörben. Der Arbeitstisch hat keine Fächer und keine Gerüste, er ist geräumig, um eine große Anzahl Papiere und Bücher zugleich zu fassen. Der Stuhl vor diesem Tische ist ein ungepolsterter, womöglich ein Rohrstuhl, denn es ist ungesund und unzweckmäßig, bei lang anhaltendem Sitzen sich durch Polster zu erhitzen. Das Licht des Fensters ist gedämpft, entweder durch gute Glasmalereien oder durch einen grünen Vorhang, der bis zur Hälfte niederhängt. Auf dem Schreibtisch steht, so daß das Licht gerade darauf fällt, ein Glas mit frischen Blumen gefüllt, oder eine schöne kleine Bronzestatuette. An der Wand, welche den Schreibtisch begrenzt, lehnen besonders zierliche Bilder und Bildchen in kunstvollen Rahmen. Mit diesen wird gewechselt, um neue Schätze der Sammlung dicht vor das Auge des Besitzers zu bringen, dessen Blick, von dem Papier aufschauend, so stets einen anmuthigen Gegenstand der Betrachtung erfaßt. Ist’s in der Jahreszeit der Früchte, so ist neben den Schreibtisch ein Tischchen herangerückt, auf dem eine antike Thonschale, kein moderner vergoldeter Porzellanteller, mit Früchten garnirt, Platz findet. Das ist der gelehrte Comfort. Den Staub und das Durcheinander der Papiere und Bücher muß sich der Leser hinzudenken.

Wenn wir jetzt zur Beschreibung des gemüthlichen Comforts schreiten, so müssen wir nothwendig ein Capitel der Poesie aufschlagen und zwar der Poesie, die jeder Mensch unbewußt treibt, wie etwa in den „Précieuses ridicules“ von Molière die junge Dame Prosa spricht, ohne zu wissen, daß es Prosa ist. Es kann Jemand im Geschäftsverkehr sehr trocken, sehr langweilig sein – geht diesem Manne nach in seine Behausung, und siehe da, ihr findet, daß er Poet ist; ein Poet in der Stille seiner vier Mauern, wo ihn niemand sieht, ihn Niemand stört. Hört den Pedanten nur sprechen, der stets seine Acten, seine Processe im Munde führt, der über die doppelte Buchführung nicht hinaus kann, der Agio, Procente und Dividenden aller möglichen Geldsorten und Werthpapiere mit einer grausamen Geläufigkeit wie am Schnürchen herzusagen weiß, der einfältig dreinschaut, wenn ihr von der Rose und der Nachtigall sprecht – geht ihm nach, wenn er die niedrige Thür seiner kleinen Wohnung öffnet, und ihr werdet den Poeten finden. Und nun gar die Frauen! Diese sind Meisterinnen in dieser Art des Comforts. Welch ein anmuthiges Spiel mit einem Blumentopf, mit einem Stückchen Schleier, das über einem Bilde hängt! mit einem unter zärtlichen Thränen, unter Seufzern im Mondenschein verblühten Kranze, der dort an der Wand angebracht ist über einem Kästchen von Cedernholz, das der Himmel weiß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_601.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)