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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

keine Biographie Fritz Reuter’s geben – die bleibe eben dem Conversationslexicon und der Literaturgeschichte vorbehalten – sondern so eine Art photographisches Bild, wie Verehrer und Verehrerinnen eines Schriftstellers es gern in ihr Album einreihen. Und ich meine Fritz Reuter hinlänglich zu kennen, um ein solches Momentbild, ohne alle Retouche, rein nach der Natur zu liefern.

Ob er mir aber, inmitten seiner häuslichen Umgebung, zu dem Bilde sitzen will? – Bah! fragt der Criminalrichter den eingelieferten Inquisiten, ob dieser für den eventuell zu erlassenden Steckbrief dem Photographen sitzen will?

Auch die Popularität hat ihre Steckbriefe. –

Ich glaube nicht, daß die Verehrer Fritz Reuter’s – selbst der phantasiereiche weibliche Theil derselben – beim ersten Begegnen mit diesem sich durch seine Erscheinung überrascht oder enttäuscht fühlen werden. Und doch sieht Fritz Reuter gar nicht aus wie ein Poet oder etwas dergleichen. Weder sein Gesicht, noch seine Kleidung, noch sein Behaben zeigen etwas von „der Sekte prahlerischer Tracht“. Er ist eben ein leibhaftiger Mecklenburger in Lebensgröße. Wenn er uns, eine kurze Pfeife im Munde und Stock in der Hand, auf einem Gutshofe oder einem Feldwege begegnete, würden wir ihn für einen Pächter oder Inspector halten. Die Statur gedrungen, etwas zum Embonpoint neigend; dem vollen, runden, von einem blond und grau gemischten Vollbarte eingefaßten Gesichte ist das Gepräge grundehrlicher Offenheit aufgedrückt. Um den Mund spielt ein Zug, dem man die Neigung zum Lachen ansieht; aber die gutmüthig milden, blauen Augen haften dafür, daß aus Fritz Reuter nur der wahrhaft menschliche Humor lacht.

Darf der Dichter der „Olle Kamellen“ anders aussehen? Tritt er uns nicht in dieser Gestalt aus jeder Zeile seiner Schriften entgegen, im innigen Verkehr mit dem Volke, das er so wahr und warm zu schildern weiß? Ist er uns, auch wenn wir ihm zum ersten Male die Hand drücken, nicht bereits ein alter lieber Bekannter? – Wer sich Fritz Reuter’ anders gedacht hat, der hat ihn auch nicht verstanden und wird ihn nimmer verstehen.

Wie im Aeußern, so ist Fritz Reuter auch in seiner Unterhaltung schlicht und ungezwungen. Er liebt es nicht, viele Complimente zu hören oder zu machen. Aber feinfühlig und taktvoll ist er weit von jener rüden Ungenirtheit entfernt, die der Welt zumuthet, den Mangel an Lebensart, ja geradezu die Flegelei, als Ausdruck biderb germanischer Offenherzigkeit anzuerkennen. – Es verkehrt sich gar bequem mit Fritz Reuter. Eine durchaus gesellige Natur, liebt er es, bei der Flasche, im Kreise von Bekannten und Freunden heiter sich zu ergehen. – Fritz Reuter hat eigentlich nicht die Gabe des Witzes, ebensowenig in seiner Unterhaltung, wie in seinen Schriften. Die Pointe, das Schlagwort, das Aperçu stehen ihm nicht zu Gebote. Ich möchte sagen, er ist zu human, um witzig zu sein. Um so mehr weiß er, wie in seinen Büchern, so auch im Leben, das eigentlich komische Element den Menschen und den Dingen abzusehen und abzufühlen. Statt kurzer scharfer Einfälle giebt er gleich ganze ergötzliche Gestalten und Erzählungen, welche die heitere Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln wissen.

Fritz Reuter liebt es, aus seinen Schriften vorzulesen; meistens kommt er dem Wunsche der Gesellschaft damit entgegen.

Es ist dieses etwas sehr Bedenkliches. Mich wenigstens überläuft es stets kalt, so oft ich einen Autor – ich nehme selbst berühmte nicht aus – Miene machen sehe, aus einem Manuskripte oder einem seiner gedruckten Werke vorzutragen. Denn abgesehen davon, daß Schriftsteller gewöhnlich schlechte Vorleser sind, spricht sich fast immer bei solcher Gelegenheit eine unerquicklich krankhafte Selbstüberschätzung, jener Unsterblichkeitsrappell aus, an dem selbst Autoren leiden, die bedeutend genug sind, um bescheiden sein zu dürfen. Mit dem viel citirten Worte: „Nur die Lumpe sind bescheiden!“ hat Goethe viel Unheil angerichtet.

Dieses peinlichen Gefühls sind wir bei Fritz Reuter enthoben.

Allerdings liest auch er mit sichtlichem Behagen. Aber es drückt sich nicht darin das eitle Sichgernhören, das Bespiegeln in dem eigenen Machwerke aus, sondern die Lust und Freude an den Gestalten seiner Feder, mit denen der Humorist aufs Innigste verwachsen ist, die ein Stück seines Wesens sind. Wer mißgönnt dem Schöpfer die Freude an seiner Schöpfung? Dazu klingt in dem volltönenden biegsamen Organe Reuter’s das Mecklenburger Original-Platt so gar zuthunlich, daß man mit Freuden länger zuhört, als es sonst ein Vorleser beanspruchen darf.

Es wäre aber auch schlimm, wenn die Gäste, die Fritz Reuter bei sich sieht, sich an seinem Vorlesen satt hören könnten. Niemand würde darüber mehr verstimmt sein, als Frau Luise Reuter, nicht sowohl aus Eifersucht auf den Autorenruhm ihres Gatten, als auf die Leistungen ihrer Küche.

Ich weiß, Frau Reuter wird fraulich schüchtern erröthen, daß auch ihrer hier öffentlich Erwähnung geschieht. Aber als eines „Preisters Döchting“ muß sie wissen, daß die Frau nun einmal berufen ist, Leid und Freud mit dem Manne zu theilen. Eines Poeten Weib vor Allem muß sich’s schon gefallen lassen, daß einige Blätter aus dem Lorbeerkranze ihres Gatten auch auf sie fallen. – Wie Fritz Reuter seine plattdeutschen Penaten, so hat Frau Luise vom häuslichen Heerde in Mecklenburg das gastliche Feuer nach dem Thüringer Walde getragen, um daran die heilige Flamme der fernen Heimath wieder zu entzünden. Prosaisch ausgedrückt heißt das, daß neben der patriarchalischen mecklenburgischen Gastlichkeit bei Reuters auch noch die mecklenburgische Küche zu Hause ist. Und wer diese kennen gelernt, weiß, daß ihre Leistungen nirgend in Deutschland, selbst in Hamburg nicht, übertroffen werden. Das mecklenburgische Volk hat ja bis heute keine andere Magna charta, als sein Kochbuch! Diese Charte ist eine Wahrheit. – Aber auch jeder Winkel der Reuter’schen Wohnung zeugt von dem feinsinnigen Geschmacke der Hausfrau, die mit geistvoller Lebendigkeit sich an dem Gespräche der Männer betheiligt, ohne eine Spur von jener wirthlich geschäftigen Hast zu zeigen, die den Fremden, der sich als Gegenstand der hausfraulichen Sorgen weiß, eher beunruhigt als befriedigt. Das Gesellschaftszimmer, vor dessen Fenstern und Altane sich das bereits geschilderte anmuthige Landschaftspanorama aufrollt, und die daranstoßenden offenen Gemächer sind mit einem Comfort eingerichtet, der bei aller Anspruchslosigkeit doch an die Grenzen des Luxus streift. Das elegante Pianino, die hinter den Spiegelscheiben des Bücherschrankes dichtgereihten Prachtbände der Hausbibliothek, die Kupferstiche und Oelbilder an den Wänden und auch alle die kleinen Ueberflüssigkeiten, mit denen die ordnende weibliche Hand das Haus zu schmücken liebt, Alles deutet auf eine behagliche, wohlhäbige Häuslichkeit hin.

Nicht ohne Grund verweile ich bei diesen anscheinenden Aeußerlichkeiten.

Das deutsche Publicum war bisher gewöhnt, sich das vaterländische Schriftstellerthum als eine Art Proletariat vorzustellen und diesem ein Mitleid zu schenken, das nicht immer frei von Geringschätzung ist. „Hätt’ er was gelernt, braucht’ er nicht zu schreiben Bücher!“ wie der selige Salomon Heine von seinem Neffen Henri sagte. Dem Dichter vor Allem gehört die Dachstube und die Misere eines dürftigen Erdenwallens. Läßt ja auch Schiller seinen Poeten erst erscheinen, nachdem alle Erdengüter bereits vertheilt waren und ihm nichts mehr offen stand, als der Himmel, auf den bekanntlich irdische Manichäer, und sollten sie auch noch so fromm sein, nicht die kleinste Anweisung annehmen. Nein, unsere Zeit ist wahrlich darum nicht prosaischer geworden, daß sie dieses alte Vorurtheil von der prädestinirten Dürftigkeit deutscher Dichter und Schriftsteller zu zerstören beginnt. Es schadet der himmlischen Göttin Poesie nicht an ihrem Rufe, wenn sie ihre Poeten auch mit Butter versorgt. Und ich denke, es gereicht ebenfalls der deutschen Nation zur Ehre, daß sie – was Engländer und Franzosen schon längst gethan – ihre Lieblingsdichter und Schriftsteller nicht nur nach Verdienst ehrt, sondern auch honorirt und zwar dadurch, daß sie Bücher kauft, statt sie, wie bisher, aus Bibliotheken oder sonst wie leihweise, sogar vom Autor selbst, zu entnehmen.

Reuter verdankt seinen Wohlstand lediglich seiner Feder. Er hat in diesem Jahre von den neuen Auflagen seiner Schriften nicht weniger als 7000 Thaler eingenommen; ein Honorar, das sich mit Ehren neben dem populärer englischer Autoren sehen lassen kann, besonders wenn man bedenkt, daß die kleinere Hälfte der deutschen Nation – die plattdeutsche – dasselbe aufgebracht hat. –

Diese sichtlich sorglose Lebenslage läßt den Besucher bei Reuters die herzige Gastlichkeit, die ihm entgegenkommt, besonders wohlthuend empfinden.

Aber zu der Heiterkeit, die im thüringischen Mecklenburg zu Hause ist, trägt Lisette gewiß nicht das Wenigste bei. Wie Fritz Reuter dem französischen Chansondichter das Wort nachsprechen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_588.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)