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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

daß die Reuter’schen Schriften sich überhaupt nicht in’s Hochdeutsche übertragen lassen – es wäre nichts leichter als das – aber mit einer derartigen Uebersetzung würde der Zauber innig naiver und darum so humoristischer Naturwahrheit, vor Allem jene liebenswürdige Ironie verloren gehen, die aus dem Contraste des derb ehrlichen Plattdeutsch gegen die fein abgeschliffene hochdeutsche Sprechweise, wie eine Art kulturhistorischer Neckerei, uns aus jedem Satze der Dichtungen Fritz Reuter’s schalkhaft anlacht. Würde z. B. nicht die dem Leben förmlich gestohlne Figur des „Entspeckters“ Bräsig, der in seiner „gebildeten“, zwischen Hoch- und Plattdeutsch bedenklich schwankenden Conversation, trotz einem Wrangel, die haarsträubendsten Attentate gegen die deutsche Grammatik und die reichlich gebrauchten Fremdwörter begeht, würde in hochdeutscher Uebersetzung diese unnachahmlich köstliche Gestalt nicht ihrer ganzen vis comica, wie der Gelehrte sagt, geradezu entkleidet werden?

Eine Uebertragung der Reuter’schen Schriften in’s Hochdeutsche wäre kaum etwas Anderes, als wollte ein Maler die Meisterwerke der niederländischen Schule derartig copiren, daß er die Composition treu in den Linien nachzeichnete, die derb natürlichen Localfarben aber in ein klassisch italienisches Colorit transponirte. Man denke sich eine Bauernschlägerei von Adrian van Ostade oder eine fröhliche Kneiperei in einer Dorfschenke von David Teniers in dem keuschen Colorite Rafaelischer Madonnen- und Heiligenbilder dargestellt!

Ich meine darum, es wäre gerathen, auf die Kehrseite der Titelblätter zu Fritz Reuter’s Büchern, statt der gegenwärtigen warnenden Affiche: „Die Uebersetzung in’s Hochdeutsche wird Vorbehalten“, in Zukunft, bei allen ersten und allen neuen Auflagen anzuzeigen: „Jedwede Uebersetzung in’s Hochdeutsche wird verbeten!“

Unsern des plattdeutschen Idioms nicht kundigen Landsleuten jedoch, die offene Sinne und Herzen für erquickliche Volkspoesie haben, können wir nur den Rath geben, sich um den Sprachschlüssel zu bemühen, der ihnen Zugang zu den goldenen Schätzen verschafft, die in Fritz Reuter’s Schriften geborgen liegen und die der Dichter auch in seinem thüringischen Mecklenburg mit vollen Händen zu Tage fördert.

Wir aber wollen an Fritz Reuter nicht blos den ihm innewohnenden Humor des Poeten, sondern auch den Humor der weltrichtenden Geschichte verehren, der sich an ihm offenbart. Man nenne den Namen Fritz Reuter’s neben dem Namen eines Grafen Hahn, eines Ritters Nußbaum von Zieseldorf, eines Prügel-Blanck und was unter dem Zeichen des ¾ zölligen und 1½ elligen Stockes wahlverwandt dahin gehört; man vergleiche das Mecklenburg des Junkerthums mit dem Mecklenburg des Volkes, wie es gemüthsinnig und charaktertreu in Fritz Reuter’s Schriften sich darstellt, und man wird mich verstehen. – Diese mecklenburgischen Junker, alten und ältesten Stammbaumes, wie sie immer mit dem Vollblut-Viergespann, das stolze Wappen am Kutschenschlage, begleitet von galonnirten Lakaien in weißen Cravatten und Handschuhen und mit allen andern Schaustellungen einer bornirt hochmüthigen Aristokratie paradiren mögen, sie haben Alles gethan, um aus ihrem Vaterlande ein Pasquill zu machen, das dem deutschen Patrioten das Blut brennender Schamröthe in’s Gesicht treibt, während das Ausland hohnlachend darauf hinweist. Sie haben Mecklenburg so tief erniedrigt, daß selbst der wandernde Handwerksbursche sich schämt auf der Herberge zu bekennen, daß er ein geborener Mecklenburger sei, um nicht dem Spotte und den Hänseleien seiner Mitgesellen zu verfallen. – Da tritt ein schlichter Mann aus dem mecklenburgischen Volke auf, der von seiner Studienzeit her in den schwarzen Büchern der politischen Polizei als Hochverräther notirt ist, der lange Jahre hindurch als politischer Verbrecher die Leiden des Kerkers mit der Aussicht auf ewige Gefangenschaft erduldet hat, und dieser Mann, der seine Heimath liebt, trotz alledem und alledem, zwingt die öffentliche Meinung Deutschlands anzuerkennen, daß es noch ein anderes Mecklenburg als das der Junker giebt, welches der Achtung, der Theilnahme, ja der Liebe des Gesammtvaterlandes werth ist, schon um des Dichters willen. Mecklenburg verdankt seine Ehrenrettung dem Humor Fritz Reuter’s!

Wie hoch über dem erbarmungswürdigen Junkerthume steht der Poet, der keine Ahnung davon hat, daß er mit seiner Feder eine geschichtliche Mission erfüllt!

Fritz Reuter ist kein politischer Schriftsteller wie seine beiden wackeren Landsleute, Moritz und Julius Wiggers; kein Tendenzdichter. Mit menschlich heiterem Seelen- und Federzuge schildert er das Kleinstadtleben, die ländliche Volksidylle der Heimath. Aber gerade dieser harmlos menschliche Humor straft, als spräche er in den zürnenden Flammenworten der Propheten des alten Bundes, diejenigen, die durch den Mißbrauch angemaßter Gewalt ihr Vaterland und ihr Volk schänden und dem Spotte der Welt preisgeben. Aus dem tiefen Grunde der Reuter’schen Dichtungen taucht die Nemesis der Geschichte auf, die nicht blos im antiken ionischen und dorischen Dialekte, sondern auch im mecklenburgischen Platt ihr vernichtendes Urtheil spricht.

Und das ist auch Humor!




Doch, da lasse ich meine Leser wohl eine gute halbe Stunde vor dem Eingangspförtchen zu dem thüringischen Mecklenburg stehen und „klöne“ mit denselben über Fritz Reuter’s Schriften, statt sie zu diesem zu führen und ihnen den Dichter in seiner „Hüsung“ zu zeigen.

„Also, meine Herrschaften, bitte mir zu folgen!“ wie der Führer oben auf der Wartburg sagt, sobald er beim Ueberzählen der auf dem Burghöfe wartenden Fremden das Dutzend voll findet – Kopf für Kopf fünf Silbergroschen.

Gleich der Eintritt in das Schweizerhaus zeigt uns, daß das Innere dem gefälligen Aeußern entspricht. Die gebohnte helle Treppe, die wir Hinansteigen, der heitere Oelfarbenanstrich der Wände, die spiegelnden Fenster, das feste und doch zugleich zierliche Holzwerk an Thüren, Pfosten und Simsen, das Alles erinnert an die behäbige Kajütensauberkeit eines Seedampfers. Weniger nautisch gebildete Besucher pflegen ein solches Haus ein wahres Schmuckkästchen zu nennen.

Wir schellen an der mit dem Namen „Fritz Reuter“ bezeichneten Thür. Sie öffnet sich; eine Magd tritt uns entgegen, die frappant einer weiblichen Figur am Gallion eines Kauffahrteischiffes aus älterer Zeit gleicht – derb, aus Eichenholz mehr gehauen als gemeißelt, das Haar über dem Kopf verknotet, das Gesicht mit gesunder rother Oelfarbe blank bemalt, die Gewandung crinolinlos, von einem Faltenwurfe, an welchem die Axt des Schiffszimmermannes ihr ehrlichstes Stück Arbeit geliefert zu haben scheint. – Aber bei alledem erscheint sie in so fragwürdiger Gestalt; wir reden doch mit ihr.

„Herr Doctor Reuter zu sprechen?“

Mais oui!“ antwortet das Gallion in einem tiefen, rauhen Contra-Alt, „mais oui, Monsieur le Docteur est chez lui“ – oder akustisch genau: „Möh fui! Mussjö lö Tocteur ö schö lui“ – „der Herr Toctor sein zu Hause“ – „ö moa schö swi la canzötsch (la concierge)“ – „in dieser Hinsicht werde ich Ihnen melden.“ „Attendöss uhn pö ssil vous plö!“ – „thun Sie nur etwas warten!“

Wie, hören wir recht? Da lacht uns ja schon an der Schwelle zu des Humoristen Wohnung ein ganzes Mirakel von Humor entgegen! Die Thürhüterin des plattdeutschen Fritz Reuter ein altes Schiffsgallion, das französisch spricht – und welch ein Französisch! und wiederum ein Hochdeutsch, das uns, wie aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammend, gespensterhaft anklingt. Beim Himmel, ist das gleich Tollheit, so ist kaum Methode darin!

Aber wir werden in unserm heitern Anstaunen unterbrochen durch eine milde Frauenstimme, die an der weit sich öffnenden Zimmenhür uns freundlich zum Eintreten nöthigt. Diese Stimme gehört der Frau Doctor Reuter an, die eine fernere Verhandlung mit der wunderlichen Erscheinung abschneidet. Bei Reuter’s wird nicht antichambrirt, wenn auch Mademoiselle la concierge, die wir noch besser kennen lernen werden, etwas gar förmlich die Honneurs an der Hausthüre macht. Eine feste, breite Männerhand streckt sich uns zum herzlichen „Willkommen!“ entgegen. Es ist Fritz Reuter.

Fritz Reuter, geboren zu Stavenhagen im Mecklenburgischen – wann? ja wann post Christum natum?– Zu meiner Schande muß ich gestehen: „Ich weiß nicht mehr das Datum,“ wenn ich’s überhaupt je gewußt habe. Fritz Reuter hat mit mir niemals über seinen Geburtstag gesprochen; ein Conversationslexicon neuester Auflage – es ist noch die Frage, ob Reuter darin steht – habe ich nicht zur Hand und ich erinnere mich auch nicht aus Reuter’s Schriften, daß er irgendwo über Jahr und Tag seiner Geburt spricht. Nach ungefährer Schätzung wird er eben die Mitte der Fünfziger überschritten haben. Aber ich will ja auch dem Leser hier

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_587.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)