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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

im ersten Stock, während sein Wirth, Herr Bauinspector Dittmar, das Erdgeschoß des Schweizerhauses bewohnt.

Von den Tausenden norddeutscher Verehrer Fritz Reuter’s, die allsommerlich von Eisenach aus zur Wartburg aufsteigen, dürften nur wenige wissen, ahnen, wie nahe sie der Weg vorbeiführt an der Wohnung ihres plattdeutschen Lieblingsdichters, aus dessen Schöpfungen ihnen ein nie versiechender Quell herzerfrischenden Humors entgegensprudelt. Ueber das niedrige Gartenpförtchen hinüber könnte der Wanderer dankbar grüßend die Hand des Dichters drücken. Und wie Manchem von den heurigen Sommerreisenden, die seit einem vollen Jahre ohne alle weitere Nachricht geblieben sind über das Schicksal des wackern „Entspeckters Hawermann“, welcher bekanntlich am Ende des zweiten Bandes von „Ut min Stromtid“, durch den unverantwortlichen Leichtsinn des Windhundes Fritz Triddelsitzens in so unverdiente Schmach und Noth geräth, würde es nicht zur tröstlichen Beruhigung gereichen, aus des Dichters eigenem Munde zu erfahren, daß endlich Alles in dem nächstens die Presse verlassenden dritten Bande zu einem glücklichen Ausgange führt und daß auch der engherzige Zamwell Pomuchelskopp seinen Lohn und seine Prügel erhält! –

Ich habe diesen Wohnsitz Fritz Reuter’s als eine mecklenburgische Enclave mitten in der bunten, thüringischen Vielherrschaft bezeichnet, als ein Mecklenburg in Thüringen. Ist das eine poetische Licenz, so hat mich eben der Poet zu dieser Licenz berechtigt.

Fritz Reuter hat in der That sein Vaterland mit nach Thüringen genommen, nicht an seinen Schuhsohlen, aber in seinem volkstreuen Herzen. Er fand eine waldfröhliche Scholle am Fuße der Wartburg und mit dem Rechte des souverainen Dichters, dem die Welt gehört, hat er für Mecklenburg davon Besitz genommen. Freilich nicht für das berüchtigte Stock-Mecklenburg, an dessen Grenzen sich der Wanderer, wenn er nicht etwa Weinreisender ist, scheu vorüber drückt, sondern für jenes Mecklenburg, das in Leid und Lust, in Sitte und Sprache eines gemüthsinnigen Volkslebens, dem Dichter Geburt- und Heimstätte gewesen und ihm eine unwandelbare Seelenheimath geblieben ist.

Und welche Wunder weiß nicht so ein Poet mittels des Zaubers schöpferischen Humors zu vollführen!

Vor den Fenstern seines Arbeitszimmers rauschen und wogen die Baumwipfel aus tiefem Felsengrunde; von seinem Schreibtische aber schaut er sinnenden Blickes, das Herz voll Heimweh und Heimlust, hinein in die weitgestreckten fetten Bodenflächen Mecklenburgs. Gehöfte und Dörfer tauchen auf mit landwirthlich derben Staffagen um Haus und Scheuer, mit Eggen, Pflügen, Rüstwagen, Düngerhaufen, Pfützen, mit Pferden kräftig runden Schlages, breitgehörnten, feisten Rindern, grunzenden Schweinen, mit gänsebrüstigem und sonstigem Federvieh, überhaupt Allem, was zum lebenden und todten Inventarium einer ländlich mecklenburgischen Idylle gehört. Aus den frisch gerissenen Furchen des Sturzackers duftet der Brodem mecklenburgischer Erde. Zwischen Pappeln und geköpften Weiden schleicht eine Landstraße über die weite Ebene dem Horizont zu. Eine Postkutsche arbeitet sich eben durch das tief ausgefahrene Geleise hindurch. Der Schwager wird wohl nichts dagegen haben, daß die Phantasie des Dichters als „blinder Passagier“ aufhockt. Das Fuhrwerk fliegt nur um so rascher dahin. Hat doch der Poet seinen Pegasus mit vorgespannt. Da grüßen schon über enggedrängte Giebel und Dächer hinüber die Thürme von Malchin, Parchim, Dömitz, „Bramburg“, „Stemmhagen“. Das alte Vaterhaus erschließt sich dem Dichter. Er streift durch die Straßen, in denen sich die Erinnerungen seiner Kindheit tummeln; er besucht alte Schulfreunde, Nachbarn und wunderliche Käuze seiner Bekanntschaft. Die Meisten deckt längst das Grab, dem Dichter aber leben sie. Von allen Seiten umtönt ihn das landsmännische Plattdeutsch in voller Treuherzigkeit und Einfalt altväterisch ererbter Ausdrucksweise und doch wiederum so voll natürlichen Humors und lebendigen Volkswitzes. Die patriarchalische Idylle, wie sie in Mecklenburg noch zu Hause ist, der bürgerliche Lebensroman, wie er dort in räumlich und social eng zugeschnittenen Verhältnissen sich abspinnt, die ergötzliche Schnurre etc., das Alles zieht in bunten Erlebnissen und Gestalten an des Dichters geistigem Auge vorüber und doch in der ganzen Frische der Gegenwart, als wär’s noch greiflich, unmittelbar, blutwarmen Hauches. Und was er so schaut und empfindet, schreibt Fritz Reuter aus seinem Herzen und seinem Tintenfasse mittheilsam nieder im ehrlichen Platt, auf daß feine plattdeutschen Mitmenschen sich daran erbauen und ergötzen. Die Hinstorff’sche Hofbuchhandlung in Wismar und Luwigslust aber läßt es in Rostock drucken auf etwas gar „grisem“ Papier, das an die alten deutschen Volksbücher „gedruckt in diesem Jahre“ erinnert, als wollte der Verleger auf diese Weise seines Autors Volksthümlichkeit noch besonders illustriren, was er gar nicht nöthig hat.

Fritz Reuter’s Bücher sind in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren, in immer neu sich folgenden Auflagen, über das weite Sprachgebiet des plattdeutschen Idioms und noch weit darüber hinaus gewandert; über die preußischen Marken und Pommern hinauf gen Osten, wo an der Weichsel der in plattdeutscher Volksmundart gebotene Tagesgruß der dankenden Erwiderung in slavischer Zunge begegnet, und höher hinauf über den Pregel hin, wo an einem Tische in der Dorfschenke nicht selten plattdeutsche „Dönchen“ mit litthauischen Dainos wechseln. Dann wieder westwärts, hin über Niederelbe und Weser, über den braunschweigischen und hannoverschen Harz, hinunter bis an den friesischen Küstensaum, dann abwärts über das Münsterland zum Niederrhein, überall allüberall sind Fritz Reuter’s Schriften die Zierde des Familien-Bücherschrankes und die zerlesensten Bücher der Leihbibliotheken. Auch im europäischen Auslande, auch jenseits des atlantischen Oceans, in New-York, am Mississippi, Missouri, in Californien, inmitten der mexikanischen Sierren, in Honolulu, in der Havanna, kurz wohin nur Mecklenburger und Hamburger Kinder, Schleswig-Holsteiner, Hannoveraner, Oldenburger etc. von Geschäftswegen verschlagen Worten sind, wird jede neue Schrift Fritz Reuter’s mit Jubel begrüßt als ein treuer Bote, der gar viel Herziges und Anmuthendes aus der fernen Heimath zu erzählen weiß.

Für seine des Plattdeutschen kundigen Landsleute ist Fritz Reuter ein Dichter am häuslichen Heerde geworden.

Ich nenne ihn einen Dichter, obwohl gerade die dem Leser sylbenweis zuscandirten und in Reime gefaßten Dichtungen – ich nehme die im Einzelnen so wunderliebliche „Bagel- un Minschengeschicht: Hanne Nüte“ nicht aus – nicht das Bessere sind, was Fritz Reuter geschrieben hat; ich nenne ihn einen Volksdichter, wenn auch kein Lied von ihm im Munde des Volkes lebt. Er darf in seiner Weise dem Franzosen Beranger dreist das Wort nachsprechen: „Le peuple c’est ma muse!“ – Hat doch in der That Fritz Reuter bereits seinen tönenden Rhapsoden gefunden! Ich erinnere an den Mecklenburger Schulmeister, der vor Kurzem eine förmliche Kunstreise durch einen Theil von Norddeutschland gemacht hat, um vor einem großen, entzückt lauschenden Publicum, wie z  B. in Hamburg, Erzählungen von Fritz Reuter mit dem echten Accent und in der naiven Tonart des Mecklenburger Platt vorzutragen. In einer Residenz – ich glaube in Schwerin war’s[WS 1] – wurden ihm sogar die Vorlesungen von Polizeiwegen verboten, weil dieselben dem Besuche des Theaters Abbruch thaten.

Man kann aber außerdem sicher sein, fast in jedem geselligen Kreise des nördlichen Deutschland Jemanden zu finden, der sich auf seine Virtuosität im Vorlesen Reuter’scher Dichtungen etwas zu Gute zu thun weiß und der für alle Fälle einen Band derselben in der Tasche mit sich führt. Selbst in vornehmen Cirkeln, wo sonst Musik, Aesthetik und die Phrase des höheren Schliffs herrscht, ist mit Fritz Reuter das Plattdeutsche mehr als blos salonfähig geworden; es ist an der Tagesordnung oder – um mich correct auszudrücken – an der Abendordnung der Salons. – Ich bin in Hamburg auf einer Soirée eines mit Millionen an der Bank bezifferten Hauses gewesen. Die glänzenden und zugleich comfortabel eingerichteten Gesellschaftsräume zeugten von jenem feinfühligen Geschmack, den der prahlende, beutelstolze Parvenu sich nimmer aneignen wird. Der prachtvolle Flügel war geöffnet. Auf dem Notenpulte lag eine Chopin’sche Etüde aufgeschlagen und harrte der kunstfertigen Finger der Dame vom Hause, die, wie mir bekannt, mit einer an Meisterschaft grenzenden Virtuosität ihr Instrument zu beherrschen wußte. Es fehlte auch nicht an einer Sängerin, deren seelenvollem Augenaufschlage man es ansehen konnte, daß sie sich für Mendelssohn’s „Auf Flügeln des Gesanges“ im Voraus stimmte; auch war ein tüchtiger Baryton da, mit dem sie aus classischen und neueren Opern manch reizendes Duett beifallssicher vortragen konnte. Ein Cello lehnte in einer Ecke neben einem Violinkasten. Es war sichtlich Alles auf einen musikalischen Abend eingerichtet.

Da zog einer der Gäste, der als leidenschaftlicher und auch guter Fritz Reuter-Vorleser bekannt war, einen Band der „Olle


  1. tatsächlich: Rostock, vergl. Erklärung in Heft Nr. 43
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_572.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)