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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Anfangs schien dies ganz und gar unmöglich, denn kein Mensch kannte diese Thiere. Nach und nach fanden sich aber auf dem Markt zu Oran mehr und immermehr Rüsselratten ein, so daß sie gar keine Seltenheit mehr waren. Das kam daher, weil das Recept der Rüsselrattenfabrication verrathen worden war! Dieses Recept war sehr einfach: man nahm die Schwanzspitze einer Ratte und pfropfte dieselbe auf die Nase einer anderen, unterhielt diese Verbindung mit einem Heftpflaster und umwickelte das ganze Thier, damit es den Verband nicht zerstören konnte; nach vierzehn Tagen gab man ihm die Freiheit wieder, und die Rüsselratte – oder vielmehr das Kunststück, war fertig; die inoculirte Schwanzspitze saß ebenso fest an der Nase, wie etwa der Kamm auf einem Hahnenkopfe. Man kann sich vorstellen, daß die Enttäuschung und der Aerger des hochgelehrten Präsidenten nicht gering war, als sich ihm das Geheimniß der Entstehung seiner so theuer erkauften Rüsselratten enthüllte.

Man erzählt sich, wie gesagt, eine Unzahl derartiger Anekdoten, die alle mehr oder weniger dem erfinderischen Scharfsinne der Zuaven viel Ehre machen. In der Regel sind es die Araber, die dem Speculationsgeist der „Schakals“ zum Opfer fallen; auch sind diese armen Eingeborenen sehr mißtrauisch geworden und halten sich so viel wie möglich auf ihrer Hut.

Es giebt unter den Zuaven auch viele Künstler und Kunstverehrer, namentlich sind sie, wie fast alle Franzosen, leidenschaftliche Anhänger Thaliens. Das Theater ist ihnen Bedürfniß, und da ihre nomadenartige Lebensweise sie dieses Genusses öfters beraubt, so haben sie sich selbst ein Theater geschaffen und die dazu erforderlichen Mimen aus ihren Reihen gewählt; die Kunstreisen, die sie später unternahmen, haben ihrer künstlerischen Begabung auch in Deutschland Anerkennung verschafft. Das erste Zuaventheater wurde in Algier gegründet. Ein Tourist, der das Land bereiste, wünschte natürlich auch das Zuaventheater kennen zu lernen, um so mehr als er einige Bekannte unter den „Schakals“ hatte, die zufällig hervorragende Mimen waren und von denen sich besonders einer, ein junger hübscher Mensch, in der Darstellung von Frauenrollen auszeichnete. Man giebt ein Stück von Scribe: „Louise oder die Wiedervergeltung“, und der junge Zuave spielt die Rolle der Louise. Unser Tourist mag diese Vorstellung natürlich nicht versäumen, aber im Augenblick, wo er sich anziehen will, um sich in den militärischen Musentempel zu begeben, vermißt er seine Fußbekleidung, ein Paar neuer sehr schöner Lackstiefeln. Aergerlich über den Verlust, hilft er sich so gut er eben kann und eilt in’s Theater. Louise tritt auf; sie ist sehr zierlich angezogen, kokettirt mit dem Publicum, und um das Parterre ganz und gar zu entzünden, zeigt sie auch ihre netten Füße, an denen – die neuen Lackstiefeln des nicht wenig erstaunten Touristen prangen!

Man liest häufig, daß die Zuaven, namentlich im Felde, Katzen zu Begleiterinnen wählten, die sie auf ihren Tornistern trügen; das ist ein Irrthum. Ein „Mahomed“, den ich darüber befragte, sagte mir ganz naiv: „Wenn wir Katzen hätten, würden wir sie essen!“ Dagegen haben die „Schakals“ Hunde, die ihnen auf ihren Beutezügen vortreffliche Dienste leisten; zuweilen richten sie sich auch Affen ab. Ein kranker Zuave, der zu seiner Herstellung die Luft des Vaterlandes einathmen sollte, brachte sich als Reisegefährtin eine große Feldmaus aus Algier mit; er hatte sie an seine Zündnadel festgebunden, sie fraß ihm aus der Hand und hieß „Gallipoli“.

Der Zuave ist in Frankreich außerordentlich populär; übrigens kennt er auch seine Popularität und ist sich seines Werthes bewußt. Sein Bataillon aber geht ihm über Alles, und er hängt mit ganzer Seele an seiner Fahne, der er mit Begeisterung und mit festem Siegesvertrauen folgt. Er ist ein vortrefflicher Camerad, und es herrscht unter den „Schakals“ ein bewundernswürdiger Corpsgeist, der von den „Mahomeds“ gepflegt und erhalten und den neu eintretenden Rekruten sogleich und, wenn es nöthig ist, sehr energisch eingeimpft wird. Den „Mahomeds“ gilt es für ein Glück und für die höchste Ehre, Zuaven zu sein! Wer von dieser Ansicht nicht ganz durchdrungen ist, thut besser dem tapfern Corps fern zu bleiben; denn wie der Wachtmeister in „Wallenstein’s Lager“ denken die Zuaven:

„Der Soldat muß sich lernen fühlen;
Wer’s nicht edel, wer’s nicht nobel treibt,
Lieber ganz vom Handwerk bleibt!“




Federzeichnungen aus Thüringen.
Erstes Blatt.
Mecklenburg in Thüringen.
Von Ludwig Walesrode.
I.

Den armen Mädchen, welche in dem geographischen Institute von Justus Perthes zu Gotha Landkarten illuminiren, macht gewiß keine Karte mehr Mühe und Noth, als die des kleinen thüringischen Landes. Müssen sie doch, mit dem Aufwande aller Farben des Tuschkastens, eine deutsche Vielherrschaft veranschaulichen, wie sie nirgendwo anders in unserm zerrissenen Vaterlande so buntscheckig zusammengeschweißt ist. – Preußen, Kurhessen, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, die Fürstlich Reußischen Lande älterer und jüngerer Linie, und dazu freundnachbarlichst Sachsen-Altenburg und Baiern, das Alles wälzt und windet sich in mäandrisch verschlungenen Grenzlinien durcheinander, daß es dem Beschauer bunt vor Augen flimmert, wie wenn er lange in das wirr blendende Farbenspiel der Chromatropen hineingeschaut. – Und mit welcher peinlichen Genauigkeit müssen nicht alle diese Linien auf der Karte gezogen werden! Ein einziger unvorsichtiger Zug mit dem Pinsel, ein einziges in die Breite fließendes Farbentüpfelchen könnte einen Heinrich LXVII. von Reuß-Schleiz der Hälfte seines Landes berauben und sonst noch zu den intricatesten Grenzstreitigkeiten führen. Es giebt Stellen in Thüringen, wo auf ein von herzoglich gothaischem Gebiete laut in den Wald hinein gerufenes Wort gleichzeitig ein herzoglich sachsen-meiningisches, ein großherzoglich sachsen-weimar-eisenachisches und ein königlich preußisches Echo antwortet. – Hie und da ist noch dazu ein Bröcklein „fremdländisches“ Gebiet mitten in irgend ein anderes engeres thüringisches Vaterland, wie ein Meteorstein vom Himmel, man weiß nicht wie, hineingefallen. So könnte es einem arglosen Ferienreisenden, der etwa auf einer Fußwanderung nach dem auf gothaischem Grund und Boden romantisch gelegenen Oberhof ein Heft, vielleicht dieses Heft der „Gartenlaube“ aus der Tasche zieht, um lesend sich den Weg zu kürzen, leicht widerfahren, daß er plötzlich von einem Diener königlich preußischer Gerechtigkeit mit sammt seiner Lectüre, „im Namen des Gesetzes!“ confiscirt wird. Warum auch achtete er nicht des Fußpfades, der ihn mit einem einzigen unvorsichtigen Schritte hineintreten ließ in die königlich preußische Enclave Suhl, allwo, wie überall im Großstaate Preußen, die „Gartenlaube“, nach dem Beschlusse der Berliner Rota, auf den Index der verbotenen Schriften gesetzt ist? – Vor Kurzem wurde vor dem Schwurgerichte zu Gotha gegen einen Wilddieb, wegen Attentats auf einen Forstbeamten, ein Proceß verhandelt, der schon einmal, aus internationalen Competenzbedenken, auf mehrere Monate vertagt werden mußte, weil während der Verhandlung gewichtige Zweifel darüber entstanden waren, ob die Kugel, welche in der Nähe eines kurfürstlich hessischen Forsthüters in einen kurhessischen Baum eingeschlagen, von preußischem oder gothaischem Gebiete abgeschossen worden war. Um das herzoglich gothaische forum delicti zu begründen, mußte eine förmliche Grenzregulirung angeordnet und durch eine von einer besondern Commission bewirkte sorgfältige topographische Kartenaufnahme festgestellt werden, daß der Busch, hinter welchem der Wilderer sein Gewehr abgefeuert, kein königlich preußischer, sondern ein herzoglich sächsisch-coburg-gothaischer Busch gewesen, wenn auch die Kugel, bevor sie in’s Kurhessische gelangte, ein Stück königlich preußischer Luft pfeifend durchschnitten hatte. Und doch betrug die Distanz zwischen dem Schützen und seinem Ziel nicht volle 70 Schritte!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_570.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)