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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Pferd unter dem Leibe erschossen, da besteigt er ohne lange Ueberlegung eine Kanone und folgt der Schlacht, wie ein zweiter Turenne, auf diesem sonderbaren Gefährt, zum großen Jubel seines Bataillons. Er ist ein Priester ganz wie für den Zuaven-Geistlichen geschaffen; er versteht es außerordentlich seine „Schakals“ zu behandeln; er raucht, trinkt und flucht, – unschuldige Flüche, die er sich selbst, zu seinem Gebrauch in Nothfällen, zurecht gemacht hat, so meint er. Einige Tage vor der Schlacht bei Magenta tritt er an einen alten Zuaven, einen „Mahomed“ des Bataillons, heran, der als ein energischer Jesuitenfeind bekannt war und auch durchaus kein Hehl daraus machte.

„Nun, alter Schakal,“ redete ihn der Abbe an, „Dir ist wohl warm?“

„Sehr warm, Herr Abbé!“

„Komm und trink ein Glas Wein mit mir, potz Federmesser und Tintenfaß! Das darfst Du mir nicht abschlagen; ein Jesuit bezahlt ja die Zeche!“

„Sie sind sehr gütig, Herr Abbé!“

„Bist Du ein Pariser Kind?“ fragt der Geistliche weiter, indem er die Gläser vollschenkt.

„Echtes Pariser Kind aus dem Faubourg St. Antoine,“ lautet die Antwort.

„Lebt Deine Mutier noch?“

„Ja, Gott sei Dank! und sie hat mich sehr lieb.“

„Du magst ihr große Sorgen gemacht haben, Schlingel!“

„Leider ja, und das thut mir aufrichtig leid, denn sie ist gar so gut!“

„Hier, trink ein zweites Glas auf ihre Gesundheit. Du warst gewiß ein rechter Raufbold, Spieler, Säufer, liefst allen Mädchen nach?“

„Das muß wahr sein, Herr Abbé! Verliebt war ich, wie eine magere Katze, Millionen-Schock …“

„Still! Ich glaube gar, Du fluchst auch?“

„Zuweilen, Herr Abbé, wenn’s kalt ist.“

„Nun wahrhaftig, Du hast alle Laster an Dir, und wenn Du Deine Gewissenskanonen ausfegen wolltest, müßtest Du eine der sieben Todsünden nach der andern herauswerfen.“

„Das glaube ich fast auch, Herr Abbé!“

„Trink ein drittes Glas auf Deine Besserung. Apropos, man sagt mir, daß Du durchaus nicht zur Beichte gehen willst; ist das wahr?“

„Ja, das ist wahr. Sehen Sie, Herr Abbé, Sie sind ein braver Mann, ein wahrer Teufelskerl, und ich schenke Ihnen meine Achtung; aber weder Sie, noch alle Engel oder Heiligen des Paradieses brächten mich dazu einen Beichtstuhl zu betreten!“

„Das hast Du vor der Hand auch gar nicht nöthig, alter Starrkopf! denn Du hast mir soeben hier beim Glase Wein, ohne es zu wissen und zu wollen, Deine Generalbeichte abgelegt. Das genügt mir vollkommen, und Du magst Dich sträuben und weigern wie Du willst, ich ertheile Dir hiermit feierlichst vor allen Deinen Cameraden die Absolution!“

Man kann sich vorstellen, welchen Jubel diese Scene unter den „Schakals“ hervorrief und wie sehr sie die Popularität des Abbé Parabère erhöhte! – Schon seit längerer Zeit hat man den Zuaven die Beleidigung angethan, ihnen ganz eigenthümliche und sonderbare Ansichten über das Eigenthumsrecht zuzuschreiben. Nun wäre es allerdings möglich, daß die afrikanischen Feldzüge ihre Begriffe über diesen zarten Punkt einigermaßen verwirrt hätten, denn in Feindesland nimmt man es wohl im Allgemeinen mit der Frage über „Mein und Dein“ nicht so genau, und so mag ihr Ruf als ausgelernte und abgefeimte Plünderer nicht ganz ungerechtfertigt sein. Sie halten sich aber stets in den Grenzen der erlaubten Plündereien, und ihre Fingerfertigkeit in dieser Beziehung erstreckt sich nur auf eßbare Gegenstände. Sie sind nämlich große Freunde aller Art culinarischer Genüsse, ihr „Fristi“, das heißt ihre Mahlzeit, geht ihnen über Alles, so daß sie kein Mittel verschmähen, das ihnen die Süßigkeiten der Tafelfreuden erhöhen könnte. Sie organisiren Raubzüge auf Hühner und Enten, frische Eier und Speck; bei diesen Unternehmungen ist ihnen ein Bekleidungsstück von höchstem Nutzen, das ich bei der obengemachten Aufzeichnung ihrer Uniform anzugeben vergessen habe; es ist dies ein weiter, braunwollener Mantel, der mit einer ungeheueren Kapuze versehen ist, und diese Kapuze ist trefflich geeignet, die erbeuteten Gegenstände bereitwillig aufzunehmen und in ihren weiten Falten geheimnißvoll zu verbergen. Vor Sebastopol schlich sich ein Zuave allabendlich bis dicht vor die belagerte Stadt heran und holte daselbst alle möglichen Eßbedürfnisse, namentlich auch frische Radieschen, frische Butter etc. Er kam stets mit sehr reicher Beute zurück und wurde nach und nach zum Generallieferanten sämmtlicher Officierstische ernannt, was ihm einen ansehnlichen Verdienst einbrachte, namentlich von Seiten der Herren Engländer, die mit klingenden Guineen zu bezahlen pflegten. Einige Wochen lang setzte der Zuave dieses Geschäft glücklich und ungestört fort; eines Abends aber fehlten plötzlich die Radieschen auf den Officierstischen – große Bestürzung! man zieht Erkundigungen ein: der arme Generallieferant hatte pünktlich zur gewohnten Stunde seinen Beutezug angetreten, aber – er war nicht mehr zurückgekehrt! – Die Zuaven besitzen überhaupt eine reiche Erfindungsgabe, wenn es gilt, sich neben ihrer spärlichen Löhnung kleine Nebenverdienste zu schaffen. Zahlreiche Episoden liefern hierfür den Beleg; ich theile eine davon mit, für die ich meinen Gewährsmann nennen will, es ist Alexander Dumas. Ich selbst habe sie aus dem Munde des großen Romanciers gehört, der sie aus Algier, wo sie sich zugetragen, mitgebracht hat.

Eine Commission, welche wissenschaftliche Forschungen anzustellen beauftragt war, befand sich in der Stadt Oran, wo das dritte Zuaven-Bataillon in Garnison stand. Eines Tages ließ sich ein Zuave beim Präsidenten dieser Commission melden. Er hatte einen kleinen Käfig in der Hand, in welchem ein langschwänziges Thier sich ängstlich hin und herbewegte.

„Was bringen Sie mir denn, mein Freund?“ fragte der Präsident, der ein sehr gelehrter Mann war.

„Ich bringe Ihnen ein kleines Thier, Herr Präsident, und glaube kaum, daß Sie in Ihrem Leben jemals etwas dergleichen gesehen haben.“

„Zeigen Sie mir doch das Wunder!“

„Hier, Herr Präsident!“ und der Zuave überreichte dem gelehrten Herrn den Käfig; dieser betrachtet den Inhalt sehr aufmerksam und ruft nach einer kurzen Pause ziemlich enttäuscht: „Das ist ja eine Ratte!“

„Ja wohl, eine Ratte; aber eine Ratte mit einem Rüssel, wie Sie bemerken werden, Herr Präsident!“

„Wie so, eine Ratte mit einem Rüssel?“

„Betrachten Sie das Thier nur genau, Herr Präsident, prüfen Sie, nehmen Sie die Lupe, um besser zu sehen.“

Der Gelehrte betrachtet, prüft, nimmt die Lupe und entdeckt, daß die Ratte wirklich einen Rüssel hat, der mit der Nase zusammenhängt, ziemlich beweglich scheint, aber aufwärts gekehrt ist. Er ist höchst erstaunt über dies Phänomen, das ihm ganz unerklärlich scheint, und fragt endlich den Zuaven, was die Ratte kosten soll.

„O Herr Präsident,“ entgegnete der Krieger, „das seltene Thier hat eigentlich gar keinen Preis; indessen Sie sollen es für hundert Franken haben!“

Der Gelehrte würde sich jedenfalls zu einem noch höheren Preise verstanden haben, um nur in den Besitz des seltenen Exemplares zu gelangen; er untersucht es nochmals und entdeckt, daß es ein Männchen ist.

„Könnte ich nicht auch das Weibchen haben?“ fragt er den Zuaven.

„Wenn Sie mir für das Männchen hundert Franken bezahlen wollen, werde ich zusehen, daß ich Ihnen auch das Weibchen schaffe.“

„Wann das?“

„Das ist schwer zu bestimmen, denn diese Thiere sind höchst selten und sehr schwer zu fangen; vielleicht in vier Wochen –“

„Gut denn, in vier Wochen! Ich verlasse mich auf Sie. Hier sind vorläufig hundert Franken, und wenn Sie mir das Weibchen bringen, sollen Sie die gleiche Summe haben.“

„Ich danke Ihnen, Herr Präsident!“ ruft der Zuave sehr vergnügt, steckt das Geld ein und trollt von dannen. Pünktlich nach vier Wochen erscheint er ganz triumphirend wieder und überreicht dem Gelehrten eine weibliche Rüsselratte; dieser betrachtet das Thier, findet Alles in schönster Ordnung, zahlt dem Zuaven abermals 100 Francs und ist ganz entzückt sich nun im Besitz eines so phänomenalen Rattenpaares zu befinden. Seine gelehrten Collegen beneiden ihn um diesen Schatz und setzen Himmel und Erde in Bewegung, um sich ebenfalls Rüsselratten zu verschaffen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_569.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)