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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Und warum war er zurückgeblieben?“

„Er hatte ein Gespräch mit zwei Gensdarmen.“

„Ah!“ wollte der Lumpensammler ausrufen. Er erstickte den Ruf und fuhr gleichgültig fort: „Sehen Sie, Herr Pater, sagte ich Ihnen nicht, daß die Franzosen überall spioniren? Sprachen die Gensdarmen lange mit dem Officier?“

„Wie es schien, nur wenige Worte.“

„Und dann?“

„Kehrten sie in den Wald zurück.“

Der Lumpensammler fragte nicht mehr. Er war nachdenklich geworden, und damit still und sogar ernst. Die beiden Wanderer gingen schweigend neben einander weiter und kamen nach einer Weile an das Ende des Waldes. Noch unter den Bäumen machte der Lumpensammler Halt.

„Herr Pater, Sie sind ein frommer, gottesfürchtiger und auch ein ehrlicher Mann.“

„Ich denke es,“ sagte der Mönch.

„So werden Sie mir eine Bitte erfüllen. Verschweigen Sie im Schlosse, daß Sie mich gesehen haben.“

„Ich werde es.“

„Auch wenn Sie nach mir gefragt werden.“

„Ich spreche nie eine Unwahrheit.“

„Hm, Herr Pater, man kann viel verschweigen, ohne gerade die Unwahrheit zu sprechen. Sie werden hier ein gutes Werk thun.“

„Seien Sie beruhigt,“ sagte der Mönch.

„Und wenn Sie mich wieder sehen sollten, so kennen Sie mich nicht.“

„Beruhigen Sie sich auch darüber.“

„So leben Sie wohl, Herr Pater. Wir müssen uns hier trennen. Wenn ich katholisch wäre, so würde ich Sie um Ihren Segen bitten.“

„Der Segen ist des Himmels,“ sagte der Mönch, „und ihn erflehe ich täglich für alle Menschen. Er sei auch mit Ihnen.“

„Ich danke Ihnen, mein guter Pater.“

Der Lumpensammler verließ den Weg, in dem sie waren, aber nicht den Wald; er ging seitab unter den Bäumen weiter und war bald den Augen und den Ohren des Mönchs entschwunden.

Der Mönch verfolgte den Weg. Nach wenigen Minuten hatte er den Saum des Waldes erreicht und ließ sich unter einem der letzten Bäume nieder, um sich das Land anzusehen, in das er hineintreten sollte. Die Abendsonne sandte ihre letzten Strahlen über die Gegend.

Es war eine weite Ebene, in die der Mönch hineinblickte.

Blaue Berge begrenzten sie in der Ferne, Aecker und Wiesen bedeckten sie, von Waldungen durchschnitten. Im Vordergrunde lag ein weitläufiger Edelsitz. Bäume und Buschwerk, die sich noch vor ihm befanden, ließen ihn nur halb erkennen. Man sah nur eine Menge zusammenliegender Gebäude, die sich um ein großes, hohes, altes Schloß zu gruppiren schienen, das mit seinem grauen Dache und mit seinen Spitzen und Thürmen weit über alle die anderen Dächer empor ragte. Schloß und Gebäude lagen zur Seite des Weges, der durch die Ebene führte; eine dichte Allee von Pappeln verband ihn mit dieser.

Der Edelsitz war noch ungefähr zehn Minuten von der Stelle entfernt, an welcher der Mönch unter dem Baume saß. Der Blick des Greises war wie festgebannt auf das alte hohe Schloß, auf die Gebäude, die es umgaben, auf die Pappelallee, die hinführte.

Die Augen waren ihm feucht geworden. Er saß lange so. Der Abend war ruhig, tiefe Stille herrschte umher, auf den Feldern ruhte auch hier die Arbeit; die Sonne schien kaum noch; morgen war Sonntag. Von dem weitläufigen Edelsitze tönte kein Laut herüber.

Die Sonne ging unter. Ihr letzter Strahl war durch die Bäume auf das Schloß gefallen, dunkelroth auf die alten grauen Mauern und Thürme. In der Secunde darauf lagen sie wieder grau und fahl da, wie unter einem Leichentuche. Heute roth, morgen todt! sagt ein Sprüchwort.

Der Mönch hatte stumm gesessen. Als das graue Leichentuch sich über das Schloß legte, fuhr er mit der Hand über die Augen; sie waren ihm wieder trocken. Er wollte sich erheben, um seinen Weg fortzusetzen, wurde aber daran gehindert.

Von dem Schlosse her kam in der Allee ein Reiter in bürgerlicher Kleidung. Er ritt in scharfem Trab, als wenn es eilig sei. Als er das Ende der Allee erreicht halte, bog er in den Landweg nach der Richtung des Waldes ein und ritt dann in diesen hinein.

Er war nahe an dem Mönche vorbeigekommen, hatte diesen aber nicht gesehen. Er konnte in dem Walde kaum hundert Schritte zurückgelegt haben, als er angerufen wurde.

„Doctor, halt!“ hörte der Mönch rufen.

Der Mönch erkannte die Stimme des Lumpensammlers. Der Reiter hielt sein Pferd an. Der Mönch blieb noch einmal auf seiner Stelle. Das Gespräch des Reiters und des Lumpensammlers fesselte ihn.

„Wie steht es, Doctor?“ sagte der Lumpensammler.

„Schlecht, sehr schlecht!“ war die Antwort.

„O, Sie haben doch noch Hoffnung?“

„Wenige. Bis Mitternacht hat sie die Krisis überstanden, oder sie ist todt. Und er, wenn er sie noch sehen will –“

„Herr des Himmels!“ unterbrach der Lumpensammler den Doctor.

„Was giebt’s, Hauptmann?“

„Was es giebt? Er kann heute unmöglich kommen.“

„Er muß, er muß.“

„Es ist nicht möglich, Doctor, sage ich Ihnen.“

„Es muß möglich werden. Hören Sie, Hauptmann, bis Mitternacht ist sie todt, wenn sie ihn bis dahin nicht gesehen hat. Kann in der Welt etwas ihr zu Hülfe kommen, die Krisis zu überwinden, so ist es dieses Wiedersehen. Und welch ein entsetzlicher Tod wäre es, Hauptmann! ich habe bei manchem schweren Todeskampfe stehen müssen, stehen können, heute Nacht würde ich es nicht können. Ich beschwöre Sie, Hauptmann.“

Der Hauptmann, oder Lumpensammler, was er war, antwortete lange nicht. Er sann wohl nach, dann fragte er: „Hat man im Schlosse Nachrichten über ihn?“

„Man erwartet sie von Ihnen.“

„Ich habe nur schlechte.“

„Sie sind?“

„Vorhin zog jenseits des Waldes eine Schwadron Kürassiere vorüber.“

„Kürassiere? Wozu die hier?“

„Hören Sie weiter. Der Adjutant des Obersten war dabei. Er blieb eine Weile zurück. Dann trafen zwei Gensdarmen zu ihm. Sie kamen aus dem Walde und sprachen eilig mit ihm; verschwanden wieder im Walde; er sprengte der Schwadron nach.“

„Was hat man vor?“ fragte der Doctor.

„Hören Sie noch mehr. Vor einer halben Stunde kam der Oberst hier durch den Wald. Er war nicht bei der Schwadron gewesen und jagte eilig dem Schlosse zu.“

„O, das war es also!“ hörte der Mönch den Doctor ausrufen.

„Was war?“ fragte der Lumpensammler.

„Die Gräfin – Aber was geht sie uns an? Sprechen wir von der Anderen –“

„Erzählen Sie von der Gräfin! Was war es mit ihr?“

„Was es denn war? Ich hatte sie am Nachmittage wenig gesehen. Sie war unruhig, verdrießlich; sie schien etwas zu erwarten. Als ich vor zehn Minuten fortreiten wollte, begegnete sie mir zufällig; sie sah so glücklich aus, sie strahlte vor Freude.“

„Ja, ja, Freund Doctor, und wenn Weibern eine Lust im Busen brennt – mir will es fast grausig werden. Doctor, wenn sie zur Verrätherin würde?“

„Es ist nicht möglich!“

„Es ist Alles möglich, Alles einem Weibe, das von der Leidenschaft verblendet ist. Sie fragten, was man vorhabe? Fragen Sie es noch? Die arme Frau liegt im Sterben, bis heute Nacht ist es wahrscheinlich vorbei mit ihr. Heute Abend muß sie noch ihren Mann wiedersehen; sie könnte nicht leben, nicht sterben ohne ihn. Er muß sie wiedersehen; könnte er noch einen einzigen ruhigen Augenblick im Leben haben, wenn er sie nicht gesehen hätte und hinterher jenen entsetzlichen Tod der Frau erführe, von dem Sie eben selbst sprachen? Das Alles ist im Schlosse bekannt. Man erwartet ihn, sobald es dunkel geworden ist. Da sind jene Gensdarmen im Walde; es sind ihrer noch mehrere da; da ziehen die Kürassiere am Walde entlang, unter irgend einem Vorwande, aber in Wahrheit, weil man den Gensdarmen nicht traut, oder ihrer nicht genug hat; da kommt gerade heute der Oberst an, hat die schöne Frau sofort flüchtig gesehen, das Versprechen eines längeren

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